„Zeit für was Neues“ – oder doch nur für ein linksbürgerliches Projekt?

Kommentar zum Rück- und Austritt des Bundesvorstands der Grünen Jugend

Unmittelbar nach dem Rücktritt der Vorsitzenden der Grünen Partei, Ricarda Lang und Omid Nouripour, meldete sich der Vorstand der Grüne Jugend zu Wort. In einem zunächst internen Brief an die Partei- und Fraktionsführung erklärten sie den alsbaldigen Rücktritt von ihren Ämtern und den Austritt aus der Partei:

Wie Ihr vielleicht schon gehört habt, haben wir - der gesamte Bundesvorstand der Grünen Jugend - uns dazu entschieden, nicht erneut zu kandidieren und morgen aus der Partei auszutreten. (…) Wir haben die Entscheidung, die Partei zu verlassen, in den letzten Wochen, also bereits vor der Bekanntgabe des Rücktritts des Parteivorstands, getroffen“. Weiter heißt es: „Wir hielten es allerdings nicht für verantwortlich, unsere Entscheidung während der Landtagswahlkämpfe zu verkünden, da wir Sorge hatten, dass es die ohnehin schon schwierigen Wahlkämpfe überschattet hätte.

Nach eigenem Bekunden fühlten sie sich bei zentralen Fragen übergangen:

Sei es bei der Debatte um das 100-Mrd-Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, bei der Auseinandersetzung rund um Lützerath, bei den Asylrechtsverschärfungen oder den Haushalten. In allen Fällen haben wir parteiintern versucht, Entwicklungen aufzuhalten, die wir für falsch gehalten haben - und konnten uns damit nicht durchsetzen.

Mit der massiven militaristischen Hetze der Grünen im Zuge des Ukrainekrieges scheinen sie hingegen weniger Probleme zu haben. However! Jedenfalls kommen sie zu der Schlussfolgerung,

dass unsere inhaltlichen aber auch strategischen Vorstellungen von Politik immer weiter auseinander gehen - und glauben, dass es mittelfristig keine Mehrheiten in der Partei für eine klassenorientierte Politik gibt, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt.

Besser spät als nie könnte man meinen! Den Vorwurf Illusionen aufgesessen zu sein und diese zum Inhalt ihrer Politik gemacht zu haben kann man den Mitgliedern des ehemaligen Bundesvorstandes der Grünen Jugend nicht ersparen. Ob damit ein Abrücken von einer parlamentsfixierten reformistischen Politik verbunden ist, bleibt äußerst fraglich. Substantielle politische Brüche sind kaum erwartbar. Davon zeugt nicht zuletzt der betont versöhnliche Ton der besagten Erklärung:

Wir machen allen ein Angebot, mit uns an einem anderen Ort Politik zu machen, werden aber niemanden unter Druck setzen. Wer gerne in der Grünen Jugend bleiben und sich hier an der Entwicklung eines neuen Kurses beteiligen möchte, kann das tun. Wir machen damit in der Grünen Jugend Platz für Menschen, die gerne wieder verstärkt in die Partei hineinwirken und sich aus der Daueropposition herausbewegen wollen.

Ein wirklich konsequente politisch Trennung sähe anders aus.

Die Grünen und ihre Jugend

Wie bei den Grünen selbst verlief die Entwicklung ihrer Jugendverbände alles andere als geradlinig. Bereits Anfang der Achtziger Jahre entstanden an einzelnen Schulen "politische Schülergruppen"; ein erster Verband in Niedersachsen war die 1981 gegründete „Grüne Jugend Braunschweig“. Ein Teil der ehemaligen Jugendorganisation der FDP, die Jungdemokraten, versuchten ihr Glück in einer Zusammenarbeit mit den Grünen ohne sich selbst vollständig in die Partei integrieren zu wollen. Um 1986 formierte sich unabhängig von den Grünen ein Netzwerk grüner, alternativer, bunter und (dem Namen nach) autonomer Jugendgruppen, das sich als GA-BA-Spektrum bezeichnete. Von Anfang an war den Grünen jegliche Unabhängigkeit ihrer Jugendstrukturen suspekt. Zwischen 1990 und 1994, dem Jahr der Etablierung der „Grün-Alternativen Jugendkoordination“, hatten die Grünen lediglich eine Koordinationsstelle für die lose Vernetzung der Jugendorganisationen. Daraus entwickelte sich ab den 2000er Jahren die Grüne Jugend als Teilorganisation der Partei, die nach eigenen Angaben ca. 16.000 Mitglieder hat. Ob und inwieweit nennenswerte Teile der Grünen Jugend den Schritt ihres Bundesvorstandes um Svenja Appuhn und Katharina Stollan mitgehen werden ist völlig offen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stellt der Abgang des Grüne-Jugend-Vorstandes einen beträchtlichen Imageschaden für die Grünen dar. Bei den Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen mussten die Grünen schwere Rückschläge hinnehmen. Einige sehen gar die Existenz der Partei gefährdet. Gerade der Einbruch bei jungen WählerInnen in den Altersklassen von 18 bis 24 und 25 bis 34 ist gravierend und wird den Vorstand der Grünen Jugend zusätzlich zum Rücktritt bewegt haben. Die Führungsgremien der Grünen scheinen den Weggang von Svenja Appuhn und Co allerdings schon eingepreist zu haben. Anton Hofreiter begrüßte diesen Schritt sogar ausdrücklich:

Es ist gut, wenn es hier einen Neustart gibt, der der Grünen Jugend wieder eine starke Stimme gibt.

Renate Künast erklärte:

Da wundere ich mich nicht drüber und da weine ich nicht.

Der Grüne-Jugend-Vorstand sei „nicht realitätstauglich“ und wolle „einen Klassensystem-Sozialismus aufbauen“. Künast erklärte weiter:

Ich glaube, dass es viele junge Menschen in und um die Grünen gibt, die sich jetzt vielleicht freier engagieren können bei den Grünen.

Nahtlos schließt sich daran mit Boris Palmer einer Stimme aus dem Off an:

Wer Politik gegen die Wirtschaft und mit Marx‘ Theorien machen will, ist bei einer grünen Partei einfach völlig falsch aufgehoben. Die Klimafrage ist dringend. Sie duldet keinen Aufschub für den Klassenkampf.

Hinter derartigen Statements steckt mehr als nur Trotz. Offenbar genügt bei den Grünen mittlerweile schon der rein rhetorische Verweis auf eine wie auch immer geartete „klassenorientierte Politik“ oder den Begriff des „Sozialismus“ um in Schnappatmung zu verfallen.

Aus einer Formation, die zu Gründungszeiten mit dem Pazifismus hausieren ging, ist eine Partei geworden die ihren Frieden mit dem Krieg gemacht hat, eine Partei der Hofreiter und anderer aggressiver Kriegstreiber. Von Anfang an waren die Grünen nichts anderes als eine im Prinzip kleinbürgerliche Partei, die seinerzeit von einem politischen Vakuum profitierte und im Laufe der Zeit den gesellschaftlichen Rechtsruck eher mit beförderte als gegen ihn aufzutreten. Wenn man die Sprüche aller Verantwortlichen der Grünen zusammennimmt, ist es mehr als absehbar, dass sich die Grünen auch weiterhin in den Rechtstrend einfügen werden, um ihr Heil auf den Regierungssesseln suchen.

Frischzellenkur für die Linkspartei?

Was den ehemaligen Grüne-Jugend-Vorstand angeht, stellt sich die Frage wohin die Reise nun gehen soll. Nach eigenem Bekunden wollen sie sich

danach aufmachen, einen neuen, dezidiert linken Jugendverband zu gründen.

Gleichzeitig wolle man so dazu beitragen,

dass es bald eine starke linke Partei in Deutschland geben kann. Eine Partei, die nicht so ist wie alle anderen.

Von einem reinen Konkurrenzprojekt zur Linkspartei und ihrem Jugendverband [solid] ist dabei nicht auszugehen. Hier zeigt man sich angesichts der neuen Entwicklung völlig aus dem Häuschen:

Wir ziehen unseren Hut vor diesem Mut. [...] Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit für eine befreite Gesellschaft.

erklärte die Linksjugend [solid]. Und die als künftige Vorsitzende der Linkpartei gehandelte Ines Schwerdtner ließ in einem Pressestatement wissen:

Der Schritt des Vorstands der Grünen Jugend ist sehr konsequent. (…) Und wir werden gern mit allen an diesem Ziel arbeiten, die für eine starke linke und sozialistische Kraft in diesem Land kämpfen.

Überrascht scheint man über den Rücktritt des Grüne-Jugend-Vorstandes jedenfalls nicht zu sein und so plappert das „Neue Deutschland“ hinsichtlich der zukünftigen Beziehungen schon einmal aus dem Nähkästchen:

Ähnlich wie im Falle der österreichischen Jungen Linken würde der neue Jugendverband zwar vorerst unabhängig bleiben, aber für Die Linke, etwa bei der kommenden Bundestagswahl, Wahlkampf machen. Einzelnen Mitgliedern des neuen Jugendverbandes stünde es dann offen, Mitglied bei der Linkspartei zu werden und direkt für sie zu kandidieren.

Und das werden sie sicherlich auch tun, wahrscheinlich sogar auf aussichtsreichen Listenplätzen, da sie momentan das Einzige sind, was die angeschlagene Linkspartei etwas auffrischen könnte. Die medienwirksam und großspurig angekündigte „Zeit für etwas Neues“ entpuppt sich somit als nicht mehr und nicht weniger als ein sorgfältig vorbereiteter Schachzug linker KarrieristInnen. Folgerichtig brüsten sich die ProtagonistInnen der „Zeit für etwas Neues“ damit „die Hoffnungen der Menschen in die Parlamente zu tragen“. Neu ist das wahrlich nicht und wohin diese Art der Stellvertreterpolitik führt, sollten nicht zuletzt die Grünen wie auch die sog. Linkspartei zur Genüge gezeigt haben…

GIK
Sunday, September 29, 2024