In Gedenken an unseren Genossen Olivier

Wir müssen die traurige Nachricht vermelden, dass unser Genosse Olivier am 3. Juli verstorben ist.

Nur eine tödliche Krankheit konnte die Großzügigkeit, die Leidenschaft und die Hartnäckigkeit eines wahren revolutionären Aktivisten brechen, der mehr als fünfzig Jahre lang für eine grundlegende Veränderung dieser Welt kämpfte, gegen die unmenschliche Welt der Bourgeoisie, die sich selbst schon längst überlebt hat. Er tat dies, ohne sich selbst zu schonen. In seinen Zwanzigern nährte er sich den Positionen der internationalen Kommunistischen Linken an, die sich in den 1920er Jahren herausgebildet hatte und beteiligte sich an der Gründung der Internationalen Kommunistischen Strömung (IKS).(1) Dort bekleidete er aufgrund seiner Fähigkeiten, seines Engagements verantwortungsvolle Positionen, bis er und andere GenossInnen Anfang der 2000er Jahre aufgrund infamster, aber tatsächlich unbegründeter Anschuldigungen hinausgeworfen wurden - oder gezwungen wurden, zu gehen. In Wirklichkeit zielten die Verleumdungen gegen Olivier und andere GenossInnen, wie immer in solchen Fällen, darauf ab, die Kritik politisch unbequemer Elemente zu diskreditieren, weil sie mit dem politischen Kurs der Organisation, die sie einst mitbegründet hatten, nicht mehr einverstanden waren und diesen anprangerten.

Viele GenossInnen, zogen sich zutiefst demoralisiert und desillusioniert aus der politischen Aktivität zurück, gaben sich geschlagen, doch Olivier und einige andere taten dies nicht. Nachdem er sich eine Zeit lang an den Aktivitäten der Internen Fraktion der IKS (FICCI) beteiligt hatten, schlugen sie den Weg zu uns, zur IKT, ein.

Jahrelang hat Olivier praktisch im Alleingang geduldig wie zielstrebig politische Arbeit geleistet, um den Grundstein unserer Organisation in einem so wichtigen Land wie Frankreich zu legen. Er gab die französischen Ausgaben zweier Bücher von Onorato Damen heraus, das über Amadeo Bordiga sowie die „Ausgewählten Schriften“; gleichzeitig nahm er die regelmäßige Herausgabe der Zeitschrift „Bilan et Perspectives“ wieder auf, schrieb Originalartikel und übersetzte Dokumente von anderen Sektionen der IKT.

Während er seine hartnäckige, direkt militante Tätigkeit fortsetzte, indem er Kontakte zu GenossInnen knüpfte und intensivierte, die Interesse an unseren Positionen zeigten, widmete er sich gleichzeitig historischen Studien - allerdings immer aus einer Perspektive der revolutionären Militanz, niemals akademisch. Diese Arbeit zeigt sich in der Veröffentlichung von Texten über die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken im Exil in den 1930er Jahren, über die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschland (KAPD), über die Türkische Kommunistische Linke, über die Russische Linke Opposition in den 1920er Jahren, in der Veröffentlichung der Zeitschrift Kommunist auf Französisch, dem Organ der „linken Kommunisten“ der bolschewistischen Partei im Jahr 1918, deren englische Fassung von den Genossen der CWO herausgegeben wurde. Es handelt sich um wichtige Texte, die einen bemerkenswerten Beitrag zur Kenntnis von verdrängten Seiten der Geschichte leisten, die normalerweise unbekannt sind oder, schlimmer noch, vom Stalinismus und seinen politischen Erben bewusst verzerrt und entstellt werden.

Seine intensive Tätigkeit trug schließlich wesentlich zur Gründung der Groupe révolutionnaire internationaliste (GRI) bei, die der IKT angehört und im September 2023 mit einer öffentlichen Veranstaltung gegen den imperialistischen Krieg erstmals in Erscheinung trat. Bei dieser Veranstaltung setzte er alle, die von seiner Monate andauernden Chemotherapie wussten in Erstaunen, als er über 45 Minuten lang über die Kriegsgefahr und unsere Aufgaben referierte und mit großer Gelassenheit auf einige beleidigende Angriffe aus dem Publikum reagierte. Es war ein letzter Beweis für seinen Mut und seine Integrität.

Ohne den Beitrag anderer GenossInnen zu schmälern, kann man wohl sagen, dass Olivier einen entscheidenden Beitrag zur Präsenz der IKT in Frankreich geleistet hat, und zwar in dem Wissen, dass er nicht mehr lange leben würde. Er tat alles um in Frankreich einen revolutionären Bezugspunkt zu schaffen, auf dem man aufbauen kann.

Olivier verstand es, seinen GenossInnen seine Leidenschaft für den Kommunismus lebendig zu vermitteln. Sein tiefgehendes Wissen über die Geschichte der linken Fraktionen verband er stets mit einem großen Interesse an den weltweiten Entwicklungen. Dieses Interesse führte ihn dazu, stets das internationale Zeitgeschehen zu berücksichtigen, dass er mit Klarheit zusammenfassen und erklären konnte. In der Eskalation der imperialistischen Spannungen sah er deutlich welche großen Gefahren drohen und dies bestätigte ihn in seiner Überzeugung, dass der Kriegsgefahr nicht anders als mit einer revolutionären Perspektive begegnet werden kann. Es motivierte ihn zu seinen letzten politischen Interventionen und der Suche nach Interventionsformen, in denen diese entschieden internationalistische Perspektive zum Tragen kommen könnte.

Er verteidigte mit Nachdruck die Lehren aus der historischen Erfahrung, die für ihn unverzichtbare Klassenpositionen waren. Gleichzeitig war es ihm wichtig, die sich verändernden Bedingungen der sozialen Kämpfe aufmerksam zu verfolgen. Die Entstehung von Bewegungen, die manchmal unerwartete Formen annahmen, war für ihn eine ständige Quelle des Interesses, ebenso wie die materiellen Veränderungen des Kapitalismus und der Klassenzusammensetzung die er in einem Land wie Frankreich mitverfolgte. Aus dieser Erfahrung zog er sein Misstrauen gegenüber den sektiererischen Praktiken derjenigen Organisationen, die sich überlebt haben und ihre Militanten auslaugen und erschöpfen.

Sein revolutionärer Geist war daher weniger an die äußeren Formen der kommunistischen Bewegung orientiert, die er als dauerhaft durch den Stalinismus und seine Folgeerscheinungen kontaminiert ansah, als an ihre lebendige Substanz. „Wir sind keine Ja-Sager“, „wir haben keine Mama und keinen Papa“, scherzte er gerne mit seiner kräftigen, warmen und leicht provokanten Stimme. Damit meinte er, dass alle KommunistInnen in der Lage sein sollten, Situationen selbstständig zu untersuchen und mit ihrem eigenen Denken in deren Entwicklung einzugreifen, anstatt aus Konformität zu handeln oder stereotype Formeln zu rezitieren.

Daher verlangte er von uns auch, die von ihm gegebenen Antworten in Frage zu stellen, um zu zeigen, dass wir in der Lage sind in den Klassenbewegungen eine Rolle zu spielen. Er stand den vereinfachenden Formeln und den Exzessen, die sie rechtfertigen sollen, stets kritisch gegenüber und wies auf die Notwendigkeit hin, einen positiven Beitrag zum Widerstand der Ausgebeuteten zu leisten. Für ihn war es wichtig, dass die KommunistInnen sich der Situation stellen, das heißt, dass sie in der Lage sind, die Kämpfe der Klasse und ihr Bewusstsein wirklich voranzubringen.

Es ist kein Übertreibung zu sagen, dass wir mit Olivier einen Genossen verloren haben, der ein Beispiel für die Verbliebenen war und ist.

Mit Olivier ist ein Kommunist, einer von uns, von uns gegangen. Indem wir seinen Angehörigen unser Mitgefühl zum Ausdruck bringen, nehmen wir unverblümt Abschied von einem Kommunisten.

Au revoir, Olivier!

Internationalistische Kommunistische Tendenz

Anmerkungen:

(1) Für detailliertere Informationen zu diesem und anderen Aspekten von Oliviers Leben verweisen wir auf den Nachruf des Genossen Juan von der IGCL, der jahrelang den gleichen politischen Weg mit ihm ging und ihm freundschaftlich verbunden war: igcl.org

Thursday, July 25, 2024