Vor 50 Jahren: Der Streik der migrantischen ArbeiterInnen bei Imperial Typewriters

Am 1. Mai 1974 nahm eine Gruppe von dreißig bis vierzig Arbeiterinnen von „Imperial Typewriters“,einer Fabrik mit ca. 16.000 Beschäftigten in Leicester, an einer Kundgebung zum 1.Mai teil. Damals war der 1. Mai noch kein Feiertag (Es sollte noch vier Jahre dauern bis in Großbritannien der erste Montag im Mai als sog. „Bank Holiday“ durch den linken Vorzeigeabgeordneten Michael Foot eingeführt wurde). Bei der Kundgebung handelte es sich auch nicht um eines der üblichen gewerkschaftlichen Rituale. Obwohl die Mehrheit der Beschäftigten in der TGWU (dem Vorläufer der heutigen Unite) organisiert war, wurde die Arbeitsniederlegung nicht von der Gewerkschaft gebilligt, deren Bezirksleiter zudem ein besonders fieser Rassist war. In den beiden Imperial-Werken in Leicester arbeiteten mehrheitlich Frauen. Die meisten von ihnen waren außerdem nicht weiß, etwa zwei Drittel kamen aus Südostasien oder Ostafrika. Trotz des Equal Pay Act erhielten sie wesentlich niedrigere Lohnzuschläge als die Minderheit ihrer weißen "Kollegen". Manchmal wurden die Lohnzuschläge auch überhaupt nicht gezahlt. Dies war der unmittelbare Auslöser für die Arbeitsniederlegung, die sich zu einem dreimonatigen Streikmarathon inklusive Aussperrung entwickelte.

Angesichts der zunehmenden Inflation, die in der Nachkriegszeit einen Rekordwert von rund 20 % erreichte, blieben die Löhne weit hinter den Lebenshaltungskosten zurück. Es überrascht nicht, dass 1974 auch die höchste Zahl von Streiks seit Beginn des Nachkriegsbooms zu verzeichnen war. Im Februar war die konservative Regierung von Edward Heath über die Frage "Wer regiert Großbritannien?" zerbrochen. Dabei waren die Auswirkungen des Klassenkampfes und der verhängnisvollen Drei-Tage-Woche, die eingeführt wurde um angesichts des Überstundenverbots im Bergbau und bei der Eisenbahn Energie zu sparen, offen zum Tragen gekommen. Innerhalb weniger Tage nachdem Heath Neuwahlen angekündigt hatte, begann die NUM einen Generalstreik für eine Lohnerhöhung von 30-40 %. Eine der ersten Amtshandlungen der Labour-Minderheitsregierung von Harold Wilson bestand schließlich darin, die Löhne der Bergarbeiter um 35 % zu erhöhen.

Es gab also kaum einen Grund nicht zu streiken oder zumindest die Arbeit niederzulegen um sich an der Maikundgebung zu beteiligen. In Leicester schlossen sich den Arbeiterinnen der Abteilung 61 von Imperial Typewriters, weitere 300 von British United Shoe Machinery, 300 von den Bentley-Autowerken und 200 von der örtlichen General Electric Company an. Viele von ihnen kehrten an ihren Arbeitsplatz zurück, aber die meisten von Imperial gingen am 3. Mai auf die Strasse und brachten weitere 500 KollegInnen mit. Angesichts der "Teile und Herrsche"-Politik des Managements gingen die Forderungen der Streikenden zwangsläufig über die Nicht- und Unterbezahlung von Lohnzuschlägen an schwarze/asiatische ArbeiterInnen hinaus. Nun wurde eine Reihe weiterer Missstände, von fehlenden Beförderungsmöglichkeiten bis hin zur demütigenden Überwachung der Toilettenpausen angeprangert.

Nachdem sie die vom Betriebsrat vorgeschlagene Lösung abgelehnt hatten, stellten sie vier Forderungen auf: Rückdatierung der Auszahlung der Lohnzuschläge auf Januar 1973 in Höhe von 125 Prozent und ab Mai 1974 in Höhe von 140 Prozent; gleiche Beförderungsmöglichkeiten in der Fabrik, gleiche Rechte für Vorarbeiter, Aufseher, Hilfskräfte, besondere Aufmerksamkeit für die Ausbeutung von Frauen und keine Maßregelungen von Streikenden. Der 22-jährige ugandisch-asiatische Sprecher des Streikkomitees, Hasmukh Khetani, skizzierte die Forderungen in einem Schreiben an den TGWU-Regionalsekretär Brian Mathers folgendermaßen: Transparentere und demokratische Wahlen der Vertrauensleute (ohne Manipulation durch die Amtsinhaber), ein ordnungsgemäß geregeltesLohnsystem ohne Überstunden und Prämienbetrug sowie Chancengleichheit für alle ArbeiterInnen.(1)

Der Betriebsrat schloss die Delegierten der Streikenden von der Teilnahme aus und erklärte Hasmukh Khetani und N.C. Patel zu Rädelsführern des Ausstands. Auch die örtliche TGWU-Zweigstelle verweigerte ihre Unterstützung. Der örtliche hauptamtliche Funktionär George Bromley, langjähriges Mitglied der Labour-Partei in Leicester, Richter und ein ausgesprochener Rassist, erklärte:

Die Beschäftigten haben sich nicht an das ordnungsgemäße Schlichtungsverfahren gehalten. Sie haben keine legitimen Beschwerden, und es ist schwer zu erkennen, was sie wollen. Ich glaube, es gibt rassische Spannungen, aber nicht zwischen Weißen und Farbigen. Die Spannungen bestehen zwischen den Asiaten vom Subkontinent und denen aus Afrika. Dies ist kein Einzelfall, diese Dinge werden noch viele Jahre andauern. Aber in einer zivilisierten Gesellschaft wird sich die Mehrheitsmeinung durchsetzen. Manche Menschen müssen halt lernen, wie die Dinge laufen...(2)

Dagegen betonten die Streikenden die Einheit von schwarzen und weißen KollegInnen. In ihrem ersten Streikbulletin hieß es:

Eine Sache möchten wir klarstellen. Wir betrachten unseren Streik nicht nur als einen Streik zugunsten der schwarzen ArbeiterInnen. Wir kämpfen für die allgemeinen Interessen der gesamten ArbeiterInnenklasse in Großbritannien. Die schwarze ArbeiterInnenklasse ist Teil der ArbeiterInnenklasse Großbritanniens. Wir glauben, dass die weißen ArbeiterInnen bei Imperial, die dies im Moment noch nicht sehen, es eines Tages verstehen werden. Aus diesem Grund werden wir sie NIEMALS als Feind betrachten. Unsere Hand der Freundschaft wird ihnen immer entgegengestreckt sein. (…) Wir sind uns im Klaren, dass wir als ArbeiterInnen ein gemeinsames Schicksal haben, wir rufen die weißen ArbeiterInnen auf, sich uns im Kampf gegen unseren gemeinsamen Feind - die Bosse - anzuschließen, die nur daran interessiert sind, aus uns Profit zu schlagen.(3)

Es war jedoch fast unvermeidlich, dass der Streik zunehmend als eine „Rassenfrage“ dargestellt wurde. Nachdem sich die Indian Workers Association mit ihrer eigenen Agenda und dem Ziel sich als offizieller Ansprechpartner in Sachen „race relation“ zu etablieren, wurden fast alle öffentlichen Erklärungen stellvertretend für die Streikenden von Benny Bunsi, einem lokalen Funktionär der Indian Workers Association, abgegeben, der den „Ausschuss für Rassenfragen“ mit einer Untersuchung beauftragte. (Damals gab es noch kein „Race Relation Act“.)

Doch trotz Entlassungen und ohne Streikgeld kämpften rund 400 Streikende auf eigene Faust weiter. Ende Mai reisten etwa 150 von ihnen zum TGWU-Hauptquartier in London, um offizielle Unterstützung von der Gewerkschaft einzufordern. Der Gewerkschaftsboss Moss Evans verweigerte Benny Bunsi den Zutritt, weil er nicht bei Imperial beschäftigt war, doch schließlich wurde H. Khatemi zusammen mit zwei anderen Delegierten gestattet, für seine Kollegen zu sprechen. Es sollte noch etwa sechs Wochen dauern, bis der Streik durch eine von der Fabrikleitung, der TGWU und den Schlichtern des Arbeitsministeriums ausgehandelte Vereinbarung beendet wurde. Es enthielt Zusagen über Lohnerhöhungen, das Recht auf Beförderung, den Verzicht auf Maßreglungen usw.

Im Katalog des National Archives ist auch vermerkt, dass:

die streikenden migrantischen ArbeiterInnen auch eine Erklärung abgaben, in der sie zur Solidarität zwischen schwarzen und weißen ArbeiterInnen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung aufriefen.(4)

Doch das war nicht das Happy End der ganzen Geschichte. Imperial Typewriters war Teil eines multinationalen US-Unternehmens, Litton Industries, das ein Imperium durch verschiedene Verkäufe an das US-Militär aufgebaut hatte und in den USA für die Misshandlung seiner Arbeitskräfte berüchtigt war. Einer der Gründe für die Ansiedlung des Unternehmens in Großbritannien war das Vorhandensein billiger und vermeintlich willfähriger Arbeitskräfte. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das Schicksal der Imperial-Beschäftigten in Großbritannien mit der Entscheidung von Litton Industries verknüpft war, die Produktion in den USA nach einem Streik im Februar 1969 im Werk für tragbare Schreibmaschinen in Springfield zu reduzieren und schließlich ganz einzustellen.

Das Werk wurde am 27. März 1969 nach einer Schießerei mit einem Streikposten geschlossen; es wurde kein Aufhebungsvertrag unterzeichnet, und fünfundzwanzig gewerkschaftlich organisierte Arbeiter verloren ihren Arbeitsplatz, Abfindungen und andere Leistungen.(5)

Später wurde die Produktion an eine portugiesische Firma ausgelagert, die unter der Salazar-Diktatur arbeitete (und die Maschinen des Werks in Springfield kaufte). Eine Zeit lang produzierte Litton in den Vereinigten Staaten in Hartford, Connecticut, unter dem Namen Royal weiter. Gleichzeitig wurde die Produktion jedoch in andere europäische Werke verlagert, darunter Hull und Leicester. Das Werk in Hartford wurde 1973 stillgelegt. Nur sechs Wochen zuvor hatte der Präsident des Unternehmens den Arbeitnehmern "eine aufregende Ära mit neuen und besseren Möglichkeiten für die Zukunft" versprochen.(6)

Kurz nach dem Streik kündigte Litton seine Absicht an, die beiden Werke in Leicester und das Schwesterwerk in Hull zu schließen. (Dort hatten die Beschäftigten nichts zur Unterstützung von Leicester unternommen, sondern vergeblich versucht, die Schließung des Werks in Hull mit einer Sitzblockade zu verhindern.)

Der Streik in Leicester ist in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung als Vorläufer des zweijährigen Kampfes der "Streikenden in Saris" in Grunwick eingegangen: ein Schritt nach vorn im Kampf gegen rassistische Spaltung und Lohnunterschiede.

Für diejenigen unter uns, die ein Ende der kapitalistischen Ausbeutung und eine Welt mit wirklich emanzipierten Menschen anstreben, gibt es verschiedene Lektionen zu lernen. Die erste ist, dass die ArbeiterInnen die Kontrolle über ihren eigenen Kampf behalten müssen: Man sollte sich vor profilierungssüchtigen Wortführern (wie der Indian Workers Association) hüten, die versuchen sich mit ihrer eigenen Agenda einzumischen. Ebenso sollte man nicht auf die Gewerkschaften vertrauen, die nur versuchen werden, die ganze Sache zu deckeln. Stattdessen sollte man auf regelmäßige Versammlungen der gesamten Belegschaft und aller Streikenden setzen. Natürlich hat nicht jeder Kampf das Potenzial, sich zu einer klassenweiten Massenbewegung zu entwickeln, die den Kapitalismus über nationale Grenzen hinweg herausfordern kann. Aber jede Erfahrung eines echten Kampfes ist allemal besser als passiv die Hinterzimmergespräche von Gewerkschaften und Bossen abzuwarten und damit ein Schritt in die richtige Richtung.

In den 1970er Jahren setzte die zyklische kapitalistische Krise der fallenden Profitraten ein. Sie beschränkte sich nicht auf zwielichtige multinationale Unternehmen wie die Eigentümer von Imperial, nicht auf einen Sektor und nicht auf ein Land. Dies war der Beginn einer existenziellen Krise für den Weltkapitalismus, auf die die Kapitalisten und Regierungen mit massiven Betriebsschließungen und einem rücksichtslosen Vorgehen gegen jeden Widerstand der ArbeiterInnen reagieren sollten. Es war eine Situation, die eine klassenweite Antwort erforderte und immer noch erfordert: keine blinde Explosion der Empörung, sondern einen koordinierten politischen Kampf, für die Überwindung des Kapitalismus und seines Lohnsystems.

Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass es "bei der derzeitigen Fortschrittsrate" 132 Jahre dauern wird, bis Frauen weltweit ein gleiches Entgelt erhalten, ganz zu schweigen von den umfassenderen Maßnahmen, die erforderlich sind, um die soziale Gleichstellung von Frauen zu erreichen. Das sollten sie mal den Tausenden krass unterbezahlten Textilarbeiterinnen in Leicester erzählen, die immer noch in aller Öffentlichkeit für zwielichtige Subunternehmer in baufälligen Schuppen und Fabriken (wie einem alten Imperial Typewriter-Gebäude) arbeiten.(7) Währenddessen gehen die kapitalistischen Kriege und die kapitalistische Umweltzerstörung, ganz zu schweigen von der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeitskraft der ArbeiterInnen, unaufhaltsam weiter. Wir haben keine 132 Jahre Zeit, um eine fiktive Gleichstellung der Geschlechter abzuwarten. Die Antwort darauf liegt in unserer Hand …

Anmerkungen:

(1) Der Streik der Imperial Typewriters, 1974, Ron Ramdin. Auszug aus The Making of the Black Working Class in Britain (1987), S. 271-280. thoughtsofaleicestersocialist.wordpress.com- typewriters-strike-of-1974/

(2) The Struggle of Asian Workers in Britain, The Race Today Collective, 1983, S. 22.

(3) Racialized Obsolescence: Multinational Corporations, Labor Conflict, and the Closure of the Imperial Typewriter Company in Britain, 1974–1975, Matt Myers

(4) The Imperial Typewriters Dispute - The National Archives, online verfügbar.

(5) Myers S. 28

(6) a.a.O.

(7) Siehe z. B. den jüngsten Bericht der Low Pay Commission von 2022, der einen Artikel der Financial Times mit dem Titel „Leicester garment factories still exploiting staff“ provozierte. Tatsache ist natürlich, dass nicht nur die schwitzenden ArbeiterInnen in Leicester unterhalb des Mindestlohns bezahlt werden.

Sunday, May 26, 2024