Die Houthi-Dynastie ist wie die Hamas ein Bestandteil des Imperialismus

"Yemen, Yemen make us proud, turn another ship around“, lautet neuerdings eine beliebte Demoparole der „Woke-Linken“. Der folgende Text unserer italienischen GenossInnen von Battaglia Comunista verweist auf die imperialistischen Zusammenhänge der aktuellen Auseinandersetzungen, die von den „postkolonialen“ Bewunderern der Hamas und den Claqueuren des imperialistischen Gemetzels gerne ausgeblendet werden.(GIK)

Viele politische BeobachterInnen, selbsternannte „Linke“ eingeschlossen, behaupten, dass die militärischen Operationen der Houthis im Roten Meer aus den Anforderungen des brutalen Bürgerkriegs gegen die von Saudi-Arabien unterstützte Regierung des Jemen resultieren. Sie seien ferner ein Beispiel für den Kampf gegen die Arroganz des israelischen Imperialismus. Von dieser Annahme ist es nur ein kurzer Schritt, um zur Forderung der "Selbstbestimmung des Volkes“ im Nordjemen zu gelangen, die mit der Unterstützung des angeblich "antiimperialistischen" Dschihadismus der Hamas gleichzusetzen sei.

Natürlich hat jede/r das Recht zu denken was sie/er will. Da aber ihre Einordnung der Lage darauf abzielt ein möglichst breites Echo pro domo sua zu erreichen(1), ist es für uns ebenso legitim ihre Position als falsch zu bezeichnen. Was den andauernden Bürgerkrieg und die militärischen Operationen in der Meerenge Bab-el-Mandeb zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden angeht, ist ihre Analyse unvollständig und sowohl politisch wie faktisch falsch. Doch weitaus schwerer wiegt der Umstand, dass sie nicht verstehen können wie sich all dies zu einer giftigen Wolke des imperialistischen Krieges entwickelt hat, in der sowohl Hamas als auch die Houthis einfache Schachfiguren sind, egal wie man es dreht und wendet.

Der Konflikt, den die Houthis seit 2015 gegen die von Saudi-Arabien unterstützte Regierung von Mansour Hadi austragen, war und ist für die Rebellen sicherlich von großer Bedeutung. Die regionalen Interessen, die unter dem Deckmantel der Religion ausgefochten werden, Houthis gegen Wahhabiten, Sunniten gegen Schiiten, Sunniten gegen Sunniten etc., fügen sich in den Kampf um die Führung in der muslimischen Welt ein. Doch sobald der religiöse Schleier fällt, offenbart sich die wahre Bedeutung der Interessen als das was sie sind: Es geht um die Kontrolle der für die Weltwirtschaft lebenswichtigen Rohstoffe, um Öl und Gas, sowie um die Kontrolle der durch diese Territorien, die Meerengen und internationalen Häfen verlaufenden Handelsrouten. Dabei wird, je nachdem welche Strategie für den geografischen Ort und den politischen Moment am besten geeignet ist militärische Gewalt oder politischer Druck eingesetzt. Der Imperialismus kennt keine Grenzen, es sei denn, sie werden von einer anderen imperialistischen Macht gesetzt.

In ihrer Rhetorik behauptet die nordjemenitische (Houthi)-Regierung auch das palästinensische Volk gegen den sog. "Genozid" der Netanjahu-Regierung in Gaza verteidigen zu wollen. Dies verdeckt jedoch die anderen wesentlichen Interessen der Houthis, wie den Kampf gegen die Regierung von Mansour Hadi, die Auseinandersetzung mit Riad und das Bedürfnis nach internationaler völkerrechtlicher Anerkennung nach Jahren des Bürgerkriegs. Vordergründig handelt es sich hier um einen Bürgerkrieg in einem kleinen verarmten Land am geographischen und politischen Rand der südlichen arabischen Halbinsel. Doch er findet inmitten einer strukturellen Krise des Weltkapitalismus statt, im Kontext eines viel umfassenderen internationalen Konfliktes in den die imperialistischen Mächte mehr oder weniger direkt eingebunden sind und mitmischen.

Von ihren anfänglichen Prioritäten im bewaffneten Widerstand gegen die von Saudi-Arabien unterstützte Regierung in Aden sahen sich die Houthis zunehmend in eine politische Auseinandersetzung verstrickt, die sie dazu zwang, den Krieg zu einem der Eckpfeiler ihres wirtschaftlichen und politischen Überlebens zu machen. Zu diesem Zweck rekrutierten sie rund 25.000 Kämpfer in ihren Tufan-al-Aqsa-Brigaden, die die reguläre Militärstruktur der Ansar Allah ergänzen sollten.(2) Offiziell zielten diese Rekrutierungen darauf ab, ihre militärischen Reihen zu füllen, um sowohl gegen den von Saudi-Arabien unterstützten inneren Feind als auch gegen den äußeren Feind, Israel, zu kämpfen, die besetzten Gebiete zu befreien und Gaza zu den Thermopylen(3) des Dschihadismus zu machen. Einer der führenden Houthi-Vertreter dieses Projekts, General Abdel-Malik al-Houthi, forderte alle benachbarten und nicht benachbarten Länder auf, ihre Grenzen zu öffnen um den dschihadistischen Kämpfern freie Hand zu lassen. Nur diese seien die wahren Verteidiger des palästinensischen Volkes und zwar mit Taten statt nur mit Worten. In Wirklichkeit ging keiner dieser Kämpfer nach Gaza und kein Nachbarland öffnete seine Grenzen. Das war vorauszusehen und Abdel-Malik al-Houthi selbst war sich dessen sehr wohl bewusst. Das eigentliche Ziel der Regierung in Sanaa bestand darin, eine völkerrechtlich nicht anerkannte militärische Struktur zu schaffen um ihren nationalen politischen Interessen Nachdruck zu verleihen. Anders gesagt ging es darum, Riad einzuschüchtern oder zumindest den Wahhabiten zu verstehen zu geben, dass die Zaiditen(4) im Nordjemen kein leicht verdaulicher Happen sind, mit denen die Saudis ein "Entgegenkommen" auf der arabischen Halbinsel aushandeln müssten.

All das hat natürlich seinen Preis, jenen Preis, den der Imperialismus diesen anachronistischen Nationalismen nicht nur politisch, sondern auch strategisch abverlangt, indem er sie für seine eigenen Interessen einspannt und sie Stellvertreterkriege von internationalem Ausmaß führen lässt. Imperialistische Mächte instrumentalisieren nationale Interessen stets in ihrem Sinne, während sie gleichzeitig vorgeben, sie uneigennützig zu unterstützen.

Das offensichtlichste Beispiel ist das "Bündnis" zwischen den schiitischen Zaidi-Houthi und den iranischen Ayatollahs, aber auch die religiös merkwürdig anmutende Allianz zwischen dem schiitischen Iran und der sunnitischen Hamas.

Die erste und wichtigste dieser Allianzen - die politische, militärische und finanzielle Unterstützung, die Teheran Sanaa seit Jahren gewährt - hat einen ganz bestimmten Zweck. Seit dem Zusammenstoß mit der Zentralregierung 2009 werden die Houthis von den Pasdaran(5) und der Hisbollah mit Geld und Waffen versorgt. Nach der Eroberung von Sana'a durch Abd-Rabbu Mansour Hadi im Jahr 2015 begann Teheran dann, die Houthis mit leichten Guerillawaffen, schweren Waffen wie auf Pickups verlastbaren Mörsern und Geschützen, Anti-Schiffs-Raketen, ballistischen Raketen und Kampfdrohnen zu beliefern. Anschließend kamen Militärtechniker auf jemenitisches Gebiet um vor Ort Fabriken für die Herstellung von Aufklärungs- und Kampfdrohnen zu errichten.

All dies geschah im Gegenzug für einen grundlegenden Strategiewechsel der Houthi. Der Kampf richtete sich nun nicht mehr nur gegen die Saudis und die Regierung von Südjemen, sondern umfasste nun auch eine Reihe von militärischen Drohungen gegen Israel und eine massive Störung der USA und ihrer westlichen Verbündeten am Eingang zum Roten Meer. Indem sie die Straße von Bab-al-Mandeb unpassierbar machten, wenn auch offiziell nur für Schiffe auf dem Weg zum Hafen von Eilat in Israel, unterbrachen sie die einzige Passage zum Mittelmeer und zwangen den westlichen Seeverkehr, den gesamten afrikanischen Kontinent zu umfahren.

Mehr als 40 % des gesamten Seeverkehrs und 15 % des weltweiten Öl- und Flüssiggasverkehrs zwischen Asien und Europa verläuft durch Bab-al-Mandeb, das Rote Meer und den Suezkanal. Dies hat viele Containerschiffe, Öltanker, Reedereien und die wichtigen strategischen Interessen der USA in Dschibuti, wo sie bereits mit China konkurrieren, in große Schwierigkeiten gebracht. Um deutlich zu machen, dass die imperialistische Verflechtung alles umfasst haben die Houthis die Durchfahrt durch das Rote Meer nur für russische und chinesische Schiffe freigegeben(6) und damit die imperialistische Kette, die von der Hamas, der Hisbollah, den syrischen Alawiten, den irakischen Schiiten, Russland, Nordkorea bis hin zu China reicht, das in jüngster Zeit beschlossen hat, die Regierung von Sanaa im Rahmen ihrer antiamerikanischen Ziele mit Finanzmitteln und Waffen zu unterstützen, weiter verfestigt. Darüber hinaus hat Peking sein politisches Interesse an der Verteidigung von Inseln im Roten Meer wie Kamaran, insbesondere der Halbinsel Ras Douglas, und Taqfash (oder Antofash) bekundet, die in den Stockholmer Vereinbarungen von 2018 Sana'a zugesprochen wurden, was die offizielle Regierung in Aden jedoch stets angefochten hat.

Die besagten Inseln haben nicht nur eine strategische militärische Bedeutung. Sie liegen auch an wichtigen Handelsrouten und an vorgelagerten Ölfeldern. Gleichzeitig sind die nahe gelegenen Landgebiete Marib, al Jawf und Masila, die weit von der Küste des Roten Meeres entfernt sind, von den vom Iran unterstützten militärischen Kräften der Ansar Allah besetzt und werden von technischen Beratern chinesischer Ölgesellschaften verwaltet. Nach dem Staatsstreich gegen Präsident Saleh im Jahr 2011 waren die Bohranlagen ungenutzt und wurden 2019 teilweise wieder in Betrieb genommen, mit einem Durchfluss von 55.000 Barrel pro Tag, von denen - wenig überraschend – 30.000 nach China exportiert wurden. Sobald sie mit chinesischer Hilfe vollständig wiedereröffnet und mit voller Kapazität betrieben werden, werden sie sowohl für den großen Imperialismus Pekings als auch für die winzige Regierung in Sanaa, die dieses Öl wie das tägliche Wasser braucht, sehr wichtig werden. Es versteht sich von selbst, dass die Beziehungen zwischen China und dem Nordjemen zum Vorteil Chinas sind. (…)

Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die Houthis schwere Angriffe auf den israelischen Hafen von Eilat verübt haben und dass sie im September 2019 unter dem Druck des Irans bereits die saudischen Öleinrichtungen angegriffen haben. Daher ist es im Hinblick auf mögliche Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Inseln im Roten Meer sicherlich nützlich, wenn die imperialistische Macht China hinter ihnen steht, natürlich zu einem hohen Preis für ihre eigene angebliche Autonomie. Aus all diesen Gründen ist es kein Zufall, dass sich die kleine nationalistische Houthi-Bewegung im Zentrum eines imperialistischen Sturms wiederfand, als einfaches aber nützliches Instrument für Interessen, die, obwohl sie sich anfangs mit den eigenen deckten, schließlich von anderen gesteuert wurden. China, das sich wie üblich als uneigennütziger Verfechter und Verteidiger der Interessen der Regierung von Sanaa gegen die imperialistische Gefräßigkeit seiner Konkurrenten ausgibt, wird seinen Teil dazu beitragen um einen unmittelbaren Wettbewerbsvorteil gegenüber der imperialistischen Konkurrenz zu erlangen um seine umfassenderen strategischen Ambitionen in der Region weiter zu verfolgen.

Die Angriffe auf den Hafen von Eilat, die Raketen, die auf die saudischen Öleinrichtungen abgefeuert wurden und zur jüngsten Blockade der Einfahrt zum Roten Meer führten, hatten eine rasche Antwort des anderen imperialistischen Lagers zur Folge. Die amerikanische und die britische Luftwaffe bombardierten die jemenitischen Raketen- und Drohnenabschussrampen, die die Durchfahrt durch die Bab-al-Mandeb Meerenge bedrohten. Damit wurde nach den Kriegen zwischen der Hamas und Israel im Gazastreifen und zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon eine weitere Front im Nahen Osten eröffnet. Gleichzeitig besteht auch die Gefahr, dass auch das Westjordanland in diesen tragischen Konflikt einbezogen wird.

Mit der üblichen britischen Unterstützung patrouillieren amerikanische Kriegsschiffe in dem fraglichen Seegebiet um die Houthis und ihre imperialistischen Herren (in Teheran und Peking) zu warnen. All dies geschieht vor dem Hintergrund des Krieges zwischen Russland und der Ukraine und der gefährlich zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA im Konflikt um Taiwan und der Kontrolle über die Inseln im Indopazifik. Außerdem hat die Europäische Union, wahrscheinlich auf Druck des Pentagons, auf die Krise im Roten Meer mit der Entsendung einer Flotte im Rahmen der Operation Aspides reagiert.(7) Die Operation, die am 19. Februar 2024 begann, umfasst den Einsatz von fünf Schiffen, die von Deutschland, Frankreich, Griechenland und Belgien unter italienischem Kommando bereitgestellt werden, um europäische Handelsschiffe vor Angriffen der Houthi zu schützen. Sie behaupten der Einsatz diene der Verteidigung, aber Tatsache ist, dass Europa an einem laufenden Krieg in einem der strategisch wichtigsten Seegebiete der Welt beteiligt ist.

Auch hier hat die andere Seite schnell reagiert. Iranische, russische und chinesische Schiffe haben in demselben Seegebiet Patrouillenfahrten begonnen, was nichts Gutes verheißt. Kurz gesagt, als Reaktion auf die Angriffe der Houthis in Sanaa (und niemand weiß, ob die Entscheidung dazu wirklich aus freien Stücken der Houthis erfolgte) wurden die Flotten Europas, der Vereinigten Staaten, Großbritanniens sowie Chinas, Irans und Russlands mobilisiert.

Daher widerspricht es nicht nur den Tatsachen den jemenitischen Bürgerkrieg als Folge einer einfachen Sezession von der Zentralregierung in Aden zu betrachten, die einfach nur durch die Einmischung Saudi-Arabiens hervorgerufen wurde. Eine solche Perspektive missachtet zudem die neuesten Erkenntnisse geopolitischer AnalystInnen.

Die Perspektive

In der gegenwärtigen historischen Phase offenbart der Weltkapitalismus seinen Niedergang als Produktions- und Gesellschaftsform. Dies äußert sich darin, dass es ihm aufgrund des tendenziellen Falls der Profitrate immer schwerer fällt, Kapital für produktive Investitionen zu verwerten. Die Spekulation scheint der einfachste, aber auch der unwirksamste Ausweg zu sein, da sie am Ende die grundlegenden Probleme katalysiert. Das Platzen von Finanzblasen verschärft die Krise des sie hervorbringenden Wirtschaftssystems zusätzlich und führt zu einer weiteren Schwächung der produktiven Basis; außerdem verschärfen sich die imperialistischen Spannungen fortschreitend weiter. Unter diesen Umständen ist die Rede von der „Selbstbestimmung der Völker“, von „nationalen Befreiungskriegen“, von der „Unabhängigkeit der Völker“ einfach ein historisches Oxymoron. In dieses Oxymoron fließen die Vorstellungen von der Hamas als angebliche nationale Befreiungsbewegung oder der politischen und wirtschaftlichen Autonomie der Houthis ein. (…)

Doch auch wenn sich der Kapitalismus in einer tiefen Krise befindet, wird er nicht eines natürlichen Todes sterben. Seine Gegenmittel sind immer dieselben, sie variieren lediglich in Bezug auf die Vorgehensweise und den Intensitätsgrad. Die erste vom Kapital ergriffene Maßnahme um seine unlösbaren Widersprüche zu überwinden, besteht darin, die Kosten der Ware Arbeitskraft, den direkten Lohn, so weit wie möglich zu senken. Dann baut es die Sozialleistungen ab und kürzt zunehmend die Mittel für unproduktive Bereiche wie Schulen, Gesundheitswesen und Renten. Mit anderen Worten, das absolute und wesentliche Ziel besteht darin, die ArbeiterInnenklasse für die Krisen des Kapitals zahlen zu lassen, indem die aufgeschobenen und indirekten Löhne eingedämmt oder gesenkt werden.

Ferner wird Kapital und Produktion dorthin verlagert wo die Arbeitskosten deutlich niedriger, die Steuersysteme und staatlichen Beihilfen für das Kapital deutlich günstiger sind und wo es nicht zuletzt sehr harte Anti-Streik-Gesetze gibt. Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, und sie reichen nicht aus, dann führt die Fortsetzung der inzwischen in allen Breitengraden systemischen Krise, zum verheerenden und gewaltsamen Rückgriff auf das Mittel des Krieges. Ein auf ein begrenztes Gebiet beschränkter und stellvertretend geführter Krieg auf dem die imperialistischen Mächte hinter den Kulissen die Strippen ziehen. Sie stellen Finanzmittel, Waffen und Versprechungen für künftige Hilfen bereit, die fast nie eintreffen, und wenn sie doch eintreffen, haben sie einen absolut unerträglichen Preis für diejenigen die sie erhalten. Der Imperialismus entfacht Kriege oder befeuert sie zwischen Ländern von geringem politischem, aber von hohem wirtschaftlichen oder strategischen Wert. Wenn viel auf dem Spiel steht kann die Krise des Kapitalismus auch zu einer direkten Beteiligung imperialistischer Großmächte führen, und es opportun ist Waffengewalt einzusetzen (bspw. Russland-Ukraine), auch auf die Gefahr hin den Konflikt auf andere Gebiete auszuweiten. Ein Szenario in dem sich imperialistische Akteure wie der Iran, China und die Vereinigten Staaten in einem verallgemeinerten Krieg offen gegenüberstehen scheint immer wahrscheinlicher zu werden.

Der Krieg im Kapitalismus führt zu schrecklicher Grausamkeit, die kaum jemanden verschont. Für den möglichen „Gewinner“ winkt hingegen die Aussicht, Marktkonkurrenten ausschalten und sich deren Gebiete aneignen zu können, die für die Produktionsbedürfnisse einer modernen Wirtschaft in einer Strukturkrise nützlich sind. Es bedeutet mehr Öl und Gas, während eine dringend notwendige ökologischer Transformation nur mühsam in Gang kommt. Es bedeutet einen Kampf um Lithium und "seltene Erden". Es bedeutet den Versuch die Profitrate zu erhöhen (…) und schließlich bedeutet es die Zerstörung von Kapitalwerten für das Geschäft des Wiederaufbaus. Ob sich dies mit oder ohne Atombomben vollzieht wird von den aktuellen Kriegssituationen in der Ukraine (wie in Putins Drohungen und Bidens Gegendrohungen Anfang März), von der schrecklichen Situation (…) in Gaza, von der möglichen Ausweitung des Krieges im Nahen Osten, (…) der Krise am Roten Meer und vom Verhalten anderer imperialistischer Akteure, vor allem der USA und Chinas, abhängen. Diese werden sicherlich nicht ewig untätig bleiben oder sich auf militärische Schachzüge ihrer Stellvertreter beschränken. Die Zukunft die der Imperialismus für uns vorbereitet ist wie nie zuvor eine Zukunft voller Zerstörung, Tod und einer grausamen Barbarei. Wer wird die Zeche dafür zahlen?

Die ArbeiterInnenklasse und der Krieg

Die Antwort liegt auf der Hand: Diejenigen ProletarierInnen, die unter der Flagge ihrer eigenen Bourgeoisie oder ihrer imperialistischen Bundesgenossen in den Krieg ziehen müssen. Die Zivilbevölkerung die durch die menschenverachtenden Bombardierungen buchstäblich dezimiert wird, die alles zerstören, von den Produktionsstätten bis zu den Krankenhäusern, von den Wohnhäusern der Zivilbevölkerung bis zu den bestellten Feldern. Nichts bleibt von der blutigen Hand des krisengeschüttelten Kapitalismus unberührt.

Der Gefahr eines noch zerstörerischen Krieges als alle vorangegangenen, kann sich nur eine Kraft entgegenstellen. Diese Kraft ist die der Ausgebeuteten, des internationalen Proletariats, der riesigen Massen von Enteigneten, die durch die Krise des Kapitalismus hervorgebracht wurde. Es sind diese LohnsklavInnen die mit ihrer Arbeitskraft den gesellschaftlichen Reichtum eines jeden Landes produzieren, von dem sie nur mühsam einige Brosamen zurückerhalten. Zu bestimmten Zeiten sind sie arbeitslos, unterbeschäftigt und überleben irgendwie am Rande dieser ungleichen Gesellschaft, die nach dem Bild und Gleichnis der bürgerlichen Bedürfnisse geschaffen wurde. Diese Kraft, die in Friedenszeiten ausgebeutet und in Kriegszeiten als Kanonenfutter verheizt wird, kann das mächtigste Gegenmittel gegen die Barbarei des Imperialismus sein, vorausgesetzt sie verhält sich wie eine Klasse die auf ihrem eigenen Terrain gegen den Kapitalismus, seine unlösbaren Widersprüche, seine Wirtschaftskrisen und seine verheerenden Kriege ankämpft. Doch dazu muss diese Kraft mit ihrem immensen Potenzial sich zunächst von der Dominanz der Ideologie der herrschenden Klasse freimachen. Kriege werden durch die Krisen des Kapitals erzwungen, sie werden von der Bourgeoisie geführt um ihre wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen, auf denen ihre politischen und sozialen Privilegien ruhen. Doch sie werden von ProletarierInnen ausgefochten, die den Ideologien der herrschenden Klasse unterworfen sind. Ideologien deren Spannweite von der Verteidigung oder dem Export der „Demokratie“, der Verteidigung der „nationalen Interessen“ bis hin zu "universellen" religiösen Grundsätzen reicht, die mit Gewalt durchgesetzt werden müssten. Ganz zu schweigen von all den alten und neuen rassistischen und homophoben Ideologien, die den Krieg als ein Instrument der "Reinigung" gegen die Invasion der neuen "Barbaren" theoretisieren.

Das ideologische Arsenal der Bourgeoisie, mit dem sie das Proletariat dazu bringen will sich mit ihren Interessen zu identifizieren, ist reich bestückt, insbesondere wenn es um den Krieg geht. Aus diesen Gründen ist es unerlässlich, dass die Klasse eine internationale politische Führung mit einer eigenen Taktik und Strategie hervorbringt. Das Wesen des Imperialismus und seine tödlichen Aktionen sind international. Deshalb brauchen wir eine internationale Partei, die all unsere Kräfte für ein einziges Ziel bündelt: den Kampf gegen den Kapitalismus in all seinen ökonomischen und sozialen Erscheinungsformen, angefangen bei den einzelnen nationalen Bourgeoisien, unabhängig davon, welche Rolle sie im imperialistischen Kriegsszenario spielen, ob als Zuschauer oder Teilnehmer.

Dies ist keine leichte Aufgabe und steht wie jede Perspektive von historischer Bedeutung vor vielen Hindernissen. Der Weg ist mit Fallstricken gepflastert und nicht alle davon sind ein unmittelbares Produkt der bürgerlichen Reaktion.

Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass nicht wenige "linke" Kräfte, insbesondere jene die von sich behaupten revolutionär und internationalistisch zu sein, mit ihren Parolen und Programmen von einer Wiederaufnahme des Klassenkampfes und eines Krieges in einem antiimperialistischen Sinne, sich selbst in einem Netz verfangen haben, das von eben jenem Kapitalismus gesponnen wird, den sie in Worten zu bekämpfen vorgeben.

Um bei den aktuellen Beispielen zu bleiben: Angesichts der andauernden Kriege in der Ukraine, in Palästina, am Roten Meer, angesichts der exzessiven militärischen Macht, z.B. Russlands gegenüber der vom Westen unterstützten Ukraine, kommen diese politischen Kräfte in erschreckendem Maße ins Wanken. Ein weiteres bezeichnendes Beispiel ist die militärische Überlegenheit Israels gegenüber der Hamas, welches einen "Genozid" an der palästinensischen Bevölkerung begehe, und, last but not least, die Unterstützung eines angebliche nationale Selbstbestimmungsrechts der Houthis im Jemen gegenüber der von Saudi-Arabien unterstützten anerkannten Regierung in Aden: In all diesen Fällen nimmt die Verwirrung immer mehr zu, wird jeglicher Internationalismus aufgegeben.

Sie unterstützen die Hamas trotz ihres Dschihadismus, der auf der Vorstellung einer mittelalterlichen Gesellschaftsordnung beruht, wie der fast, aber nicht ganz untergegangene „Islamische Staat“. Und das obwohl die Hamas vom Regime der Ayatollahs im Iran bewaffnet und finanziert wird, einer rassistischen, frauenfeindlichen Regierung, die mit tödlicher Grausamkeit gegen jede Opposition vorgeht. Es handelt sich um ein regionales imperialistisches Regime, das mit Saudi-Arabien um die Energievorherrschaft in der muslimischen Welt und darüber hinaus kämpft. Wie kann man eine politische Formation verteidigen, die das Produkt eines dschihadistischen, faschistischen Nationalismus ist? Um in der Führung der arabischen Welt im Allgemeinen und der palästinensischen Szenerie im Besonderen mitzuspielen, besondere wenn es gegen die Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde von Abu Mazen geht, die sich als einziger wahrer Gegenspieler des „israelischen Zionismus“ positioniert, schickt die Hamas Proletarisierte in ihrem Einflussgebiet in ein sicheres Massaker und zwingt ihre Zivilbevölkerung zum "Genozid". Dies ist der Preis, den die Verdammten Palästinas für die kleinkarierten Ziele einer bürgerlichen Führungsschicht zahlen müssen, die im Luxus der Marmorsäle von Doha lebt und ihrerseits von den politischen Ambitionen und wirtschaftlichen Interessen von al Thani, dem Emir von Katar und Hauptfinanzier der Hamas, beherrscht wird.

Dieser falsche Internationalismus erstreckt sich auf diejenigen, die Russland oder die Ukraine verteidigen, je nachdem, ob sie sich im Krieg und seinen formalen Begründungen eher auf die eine oder die andere Seite einer falschen Ideologie stellen. Dabei lassen sie völlig außer Acht, dass das tragische gemeinsame Merkmal eines jeden Krieges im blutigen Zusammenstoß der ArbeiterInnen beider Seiten besteht, obwohl diese als Ausgebeutete besser daran täten einen gemeinsamen Kampf gegen ihre jeweiligen Bourgeoisien zu führen. Dasselbe gilt für diejenigen die den Kampf der Houthi-Dynastie gegen Israel und die pro-westliche Regierung in Aden als angeblich unterstützenswerten antiimperialistischen Akt betrachten. Auch in diesem Fall wird vergessen, dass der jemenitische Dschihadismus, der für die Blockade der Straße von Bab-al-Mandeb verantwortlich ist, um den Suezkanal für Tel Aviv und westliche Schiffe unbrauchbar zu machen, ganz im Sinne des iranischen und chinesischen Imperialismus agiert, wie wir bereits ausführten. Auf die iranischen Interessen haben wir bereits hingewiesen. Sana'as Unterstützung durch Peking gegen Aden (ein weiterer Krieg in denen sich die ArbeiterInnen der verfeindeten Lager gegenseitig abschlachten) läuft für China auf die Verwirklichung eines doppelten Ziels hinaus: Den Zugriff auf das nordjemenitische Öl zu erlangen und die Rentabilität eines Hafens am Roten Meer zu nutzen, um eine Basis für das hyperimperialistische Projekt einer neuen Seidenstraße zu schaffen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Interessen des Proletariats nicht verteidigt werden können, indem man das Schicksal der Lohnabhängigen in den Händen der Bourgeoisie belässt, egal ob es sich um Dschihadisten oder säkulare Kräfte handelt. Man kann schwerlich zum Wiedererstarken des revolutionären Internationalismus beitragen, indem man in imperialistischen Kriegen Partei ergreift. Man kann nicht gegen den Krieg kämpfen indem man sich an ihm beteiligt, egal unter welchem Vorwand oder Begründung. Im Gegenteil, die erste Aufgabe der internationalistischen politischen Organisationen ist es, die ArbeiterInnenklasse aus den tausend Tentakeln der nationalen Bourgeoisien und des internationalen Imperialismus zu befreien. Dies erfordert die Ablehnung aller Formen des Nationalismus und aller Kriege und das Eintreten für eine revolutionäre Alternative zum Kapitalismus. Alles andere läuft auf eine konterrevolutionäre Politik und die Bewahrung des "Status quo" hinaus. (FD)

Anmerkungen:

(1) Pro domo sua, wörtlich "für das eigene Haus", stammt von dem römischen Politiker Marcus Tullius Cicero (1. Jahrhundert v. Chr.). Es bedeutet so viel wie "für das eigene Publikum/die eigenen Interessen eintreten".

(2) Tufan al Aqsa („Al-Aqsa-Flut“) war der Codename des Hamas-Anschlags vom 7. Oktober 2023. "Ansar Allah" bedeutet "Anhänger Gottes" und ist der offizielle Name der Houthi-Bewegung.

(3) Der Pass, an dem 480 v. Chr. 7.000 Griechen eine viel größere persische Streitmacht unter Xerxes sieben Tage lang aufhielten, bevor sie überflügelt wurden - der Großteil der griechischen Armee zog sich zurück, gedeckt von einer Nachhut von 300 Mann unter dem spartanischen König Leonidas, die bis zum Tod kämpften. Seitdem wird es als Symbol des heroischen nationalistischen Widerstands verwendet

(4) Der Zaidismus ist eine der drei Hauptrichtungen des Schiitentums. Praktisch alle seine Anhänger sind im Nordjemen und in der saudischen Region Nayran zu finden.

(5) Iranische Revolutionsgarden

(6) Seit der Erstveröffentlichung dieses Artikels in italienischer Sprache haben die Houthis ein chinesisches Schiff angegriffen (23. März 2024), doch scheint es sich um eine Verwechslung zu handeln, da das Schiff bis Februar 2024 einen anderen Eigner hatte. Siehe news.usni.org

(7) Aspides ist griechisch für "Schild".

Wednesday, April 10, 2024