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Startseite ›Learning the Hard Way? Eine Kritik der "Angry Workers of the World"
Buchbesprechung: Class Power! Über Produktion und Aufstand, herausgegeben von den Angry Workers (UNRAST Verlag)
„Ein Aufruf zum Kampf für alle, die die herrschenden Verhältnisse nicht mehr ertragen wollen“ heißt es auf dem Klappentext des Buches Class Power! Über Produktion und Aufstand, herausgegeben von den Angry Workers of the World, einer Gruppe aus West-London, die stark vom Operaismus und Syndikalismus beeinflusst ist. In jeden Fall eine vielversprechende Ankündigung. Im Folgenden wollen wir untersuchen, inwieweit das Buch diesem Anspruch gerecht werden kann.
Das Buch dokumentiert die Erfahrungen der AngryWorkers, die, wie sie selbst sagen, die Londoner Innenstadt satt hatten und in das westlich von London gelegenen proletarisch geprägte Viertel Greenford umzogen. Hier gibt es Fabriken, in denen Tausende von ArbeiterInnen beschäftigt sind, hauptsächlich MigrantInnen oder Kinder von MigrantInnen aus dem indischen Subkontinent, der Karibik, Afrika und Osteuropa. Die Angry Workers arbeiteten hier sechs Jahre lang in den verschiedenen Fabriken, um mit großer Einsatz Arbeitskämpfe zu unterstützen, Solidarität herzustellen und bei sozialen Problemen zu helfen. Die Bandbreite ihrer Aktivitäten umfasste das Verteilen von Flugblättern, den Eintritt in die offiziellen Gewerkschaften und/oder die Unterstützung und Rekrutierung für sog. Basisgewerkschaften, sowie die Herausgabe einer Zeitung. Das Buch ist ein ziemlich ehrlicher Bericht über all dies und zeigt auf, wie und warum sie ihre Ziele nicht erreicht haben.
Am Ende der Schilderungen ihrer nachhaltigsten Bemühungen Solidarität von unten in einem Kampf für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen in einer Fabrik für Fertiggerichte des Unternehmens Bakkavor herzustellen, kommen sie zu dem Schluss: „Diesmal klappte es leider nicht. Aber so ist der Klassenkampf nun mal. Auf ein Neues.“ Dies ist gewissermaßen die Zusammenfassung ihrer Bemühungen. Sie haben sich nun entschieden, Greenford zu verlassen. Die Gründe dafür werden nicht ganz klar, aber zwischen den Zeilen schimmert durch, dass einige AktivistInnen ziemlich ausgebrannt sind. Ironischerweise endet das Buch mit einem Aufruf zum Aufbau einer Basisorganisation, die andere auffordert, genau der Strategie zu folgen, deren Scheitern im Buch dokumentiert wird.
„Getting rooted“
Doch der Reihe nach. In der Einleitung heißt es: „Dieses Buch dokumentiert unsere Erfahrungen. Es soll anderen dabei helfen, Ähnliches zu tun. Es ist ein Aufruf für eine unabhängige Organisierung der Arbeiterklasse.“ Vorgeschlagen wird „eine Klassenpolitik, die in das tägliche Leben der Klasse eingebettet ist“. Für die AngryWorkers besteht ein großes Problem darin, dass die „Linke“ „keine konkreten Beziehungen zu Menschen der ArbeiterInnenklasse“ hat. Sie verspüren „das dringende Bedürfnis, aus der kosmopolitischen Blase auszubrechen und unsere Politik im Alltagsleben der Arbeiterklasse zu verankern.“ Nun hoffen sie, andere zu „inspirieren (…) gemeinsam Pläne zu schmieden und eigene Kollektive aufzubauen“, um eine „politische Organisierung der Klasse“ in Angriff zu nehmen, um „die Bosse herausfordern“ zu können. Wir werden uns noch genauer anschauen, was sie unter „politischer Organisierung der Klasse“ verstehen.
Die AngryWorkers skizzieren vier „Aspekte“ der Organisierung, an denen gleichzeitig gearbeitet werden müsse: Die Aktivität am Arbeitsplatz, ein Solidaritätsnetzwerk, eine Zeitung und den Aufbau einer Organisation. Zu Recht sehen sie Betriebsarbeit als zentral an, da „unsere Rolle als Produzenten wesentlich für den Aufbau einer anderen Gesellschaft ist.“
Ein Solidaritätsnetzwerk halten sie für besonders wichtig, um durch direkte gegenseitige Hilfe, Aktion und Solidarität einen Keil zwischen die Mittelschicht und die marginalisierten Teile der ArbeiterInnenklasse getrieben werden könnte. Ferner könne ein Solidaritätsnetzwerk „die Aktionen einer kleineren Gruppe von Arbeiter*innen an größeren Arbeitsplätzen unterstützen.“ Ihre Zeitung Workers’ Wild West habe die Aufgabe „Erfahrungen, die wir am Arbeitsplatz oder in einem Solidaritätsnetzwerk machen zu teilen und zu reflektieren.“ Schließlich sei Organisierung notwendig_, um am Arbeitsplatz aktiv zu sein, das Solidaritätsnetzwerk zusammenzuhalten und unsere Zeitung herauszugeben. Die Form, wie wir uns organisieren muss praktische Bedeutung für die Klasse haben. Sie muss uns mit einen Kompass ausstatten, der uns zeigt, wohin wir uns bewegen. Das ist notwendig, um als Klasse unabhängig vom parlamentarischen und staatlichen System zu agieren, um die Produktionsmittel zu übernehmen und zu verteidigen.“_
Im Folgenden werden wir uns vorrangig auf die Kapitel Betriebsarbeit, Organisation und revolutionäre Strategie des über 500 Seiten umfassenden Buches konzentrieren, da diese notwendigerweise miteinander verknüpft sind. Eine Organisation spiegelt die destillierten Erfahrungen der Geschichte der Kämpfe der ArbeiterInnenklasse wider. Jede Organisation, die danach strebt, eine revolutionäre Kraft in der Gesellschaft zu sein, muss über eine Praxis und einen Fundus kohärenter Theorien verfügen, die ihre Intervention in der Klasse prägen. Wir werden zuerst die Ideen der AngryWorkers zur Organisierung der ArbeiterInnenklasse untersuchen und dann sehen, wie dies mit ihrer „revolutionären Strategie“ in Einklang steht.
Betriebsarbeit und die Organisierung der ArbeiterInnenklasse: Offizielle, Basis- oder Klassengewerkschaft?
Aus der Einleitung des Buches geht hervor, dass sich die AngryWorkers im Jahr 2014 gründeten. In Kapitel 3 erfahren wir von zwei ihrer ersten Aktionen, bei denen Mitglieder der AngryWorkers als LeiharbeiterInnen mit befristeten Verträgen einen Protest gegen Überstunden im Lagerhauskomplex Waitrose und dann in einem ähnlichen Unternehmen in Sainsbury einen Bummelstreik organisierten. Am Standort Waitrose konnten sie die meisten Zeitarbeitskräfte davon überzeugen, Überstunden zu verweigern, doch dies nur für kurze Zeit. Es gab jedoch eine spürbare Spaltung zwischen Zeitarbeitskräften und Festangestellten, und das Management konnte die Festangestellten und Gewerkschaftsvertreter nutzen, um die nicht geleisteten Überstunden abzudecken. Am Standort Sainsbury gelang es ihnen, drei Viertel der Zeitarbeitskräfte dazu zu bringen, ihrem Beispiel zu folgen und ihre Produktivitätsraten deutlich auf unter 70 % der Norm zu senken, was ihnen die Aufmerksamkeit und den Ärger des Managements einbrachte. Die drei beteiligten AngryWorkers wurden als Rädelsführer identifiziert und schließlich gefeuert.
Die AngryWorkers scheinen danach zu dem Schluss gekommen zu sein, dass auf die wichtigsten Gewerkschaften und ihre Vertreter kein Verlass ist, wenn es darum geht die von ihnen organisierten Aktionen für die unmittelbaren Interessen der ArbeiterInnen zu unterstützen. „Während des Überstundenstreiks bei Wincanton konnte die Trennung zwischen Leiharbeitskräften und Festangestellten nicht überwunden werden. Wincanton konnte die Festangestellten als Streikbrecher einsetzen, womit sie ernsthafte Probleme vermeiden konnten. Indem die gewerkschaftlichen Vertrauenspersonen sich ohne mit der Wimper zu zucken auf die Seite des Managements stellten, hatten die Leiharbeitskräfte schlechte Karten.“ Während des Bummelstreiks in Sainsbury waren zwei Mitglieder der AngryWorkers der Gewerkschaft Unite beigetreten, um die Unterstützung der Gewerkschaft für ihre Aktion zu bekommen. Sie ziehen folgendes Fazit: „Die Gewerkschaft meldete sich nie bei uns. Man würde meinen, sie hießen Leiharbeitskräfte herzlich willkommen, wenn schon einmal welche Mitglied waren. Aber dem war nicht so. Für uns bedeutete das, dass wir keinen Grund dafür sahen mehr Leiharbeitskräfte für die Gewerkschaft zu werben. Aussicht auf einen gewerkschaftlichen Aktionsplan gab es keinen. Ein solcher hätte zudem kurzfristig sein müssen“
Die Gewerkschaft machte keine Anstalten LeiharbeiterInnen zu organisieren, deren Fluktuation hoch und deren Löhne viel niedriger sind als die der Festangestellten. Als die AngryWorkers die regionale Gliederung der Gewerkschaft Unite aufforderte, ihre betrieblichen Vertreter dazu zu bringen sie in ihrem Kündigungsverfahren gegen das Management zu unterstützen, wurde ihnen gesagt, dass dies eine Sache der betrieblichen Vertreter sei und an diese zurückverwiesen. Diese erklärten wiederum, dass sie nicht in inoffizielle Aktionen verwickelt werden wollten. (…)
Welche Schlussfolgerungen haben die AWW daraus gezogen? Man könnte annehmen, dass sie aus dieser Erfahrung und nicht zuletzt den vielen Erfahrungen vergangener Kämpfe die Schlussfolgerung ziehen, die Vertretung durch die offiziellen Gewerkschaften als Möglichkeit für die ArbeiterInnen zu kämpfen ablehnen würden. Bezugnehmend auf die Gewerkschaft am Standort Waitrose stellen die AutorInnen jedoch offenbar mit Erstaunen fest: „Wie sieht es heute, fünf Jahre später aus? Die Gewerkschaft ist immer noch scheiße.“ Als ob die Gewerkschaft innerhalb von fünf Jahren oder eines beliebig langen Zeitraums ihren Charakter ändern würde! Die offiziellen Gewerkschaften sind seit mehr als einem Jahrhundert vollständig in den Staatsapparat integriert, und weil sie überall kein Interesse daran haben, niedrig bezahlte LeiharbeiterInnen und/oder Gig-ArbeiterInnen zu organisieren, wird diese Lücke mittlerweile von neuen Basisgewerkschaften gefüllt, die die AngryWorkers offenbar ab 2015 entdeckt haben.
Unter dem Titel „Vertrauensperson der Gewerkschaft werden oder nicht?“ wird ab Seite 372 der Frage verhandelt, ob RevolutionärInnen in der Gewerkschaft Positionen bekleiden sollten oder nicht: „Als Vertrauensperson musst du dich an die Regeln halten, die durch die offizielle Anerkennung der Gewerkschaft festgelegt wurden. Wenn du (trotzdem) gute Arbeit machst, wird sie der Gewerkschaftsorganisation zugeschrieben, die in Wirklichkeit niemals eine echte Waffe im Klassenkampf sein kann. Warum nicht? Dazu müssen wir uns die Geschichte der Gewerkschaften ansehen. Es gibt materielle und historische Gründe dafür, warum Gewerkschaften heute die Ausbeutung der Arbeiterklasse mitverwalten.“
Nichtsdestotrotz schimmert im 10. Kapitel des Buches durch, dass die AngryWorkers mit anderen GenossInnen weiter experimentierten und im Rahmen einer „militanten Untersuchung“ versuchten gewerkschaftliche Positionen in dem Lager- und Logistikzentrum Tesco CFC in Greenford zu besetzen. Nach eigenen Bekunden wollten sie wissen, ob die Gewerkschaftsstruktur es ermögliche sich am Arbeitsplatz aber auch außerhalb mit anderen KollegInnen auszutauschen. In diesem Sinne sei die Entscheidung Teil der Arbeiteruntersuchung gewesen.
Die AngryWorkers stießen unweigerlich auf Schwierigkeiten als sie versuchten gleichzeitig in ihrem Sinne zu organisieren und als GewerkschaftsvertreterInnen zu agieren. Sie wurden von den führenden Gewerkschaftsfunktionären daran gehindert, einen gewerkschaftlichen Newsletter herauszugeben, und von den anderen Gewerkschaftern auch nicht unterstützt, weswegen dieses Projekt scheiterte. Versuche, die AngryWorkers-Zeitung zu verbreiten, erregten die Aufmerksamkeit der Geschäftsleitung. Ein AngryWorker wurde von der Geschäftsleitung identifiziert weswegen sie beschlossen, dass „die beste Verteidigung ein gut geplanter Angriff“ sei. Er informierten die Gesundheits- und Sicherheitsbehörden über die Praxis der Unternehmensleitung, ArbeiterInnen nach Unfällen zu bestrafen, und legte Beschwerde „gegen ein paar hochrangige Manager ein, die mich keine Umfragen im Namen der Gewerkschaft machen ließen.“ Schließlich wurde auch zu einem Protest gegen Entlassungen aufgerufen. In diesem Zusammenhang wurde das betroffene AngryWorkers-Mitglied zu einem Gespräch mit dem CFC-Hauptgeschäftsführer und dem regionalen USDAW-Organiser vorgeladen, der erklärte: „Wir können deine Tätigkeiten nicht unterbinden, aber es gibt Vertrauenspersonen die wegen solcher Aktivitäten nicht nur ihren gewerkschaftlichen Auftrag als Vertrauenspersonen verloren haben, sondern auch ihren Job.“
Nachdem das AngryWorkers-Mitglied in einige kleinere Konflikte mit der Geschäftsleitung über die Verpackung von 6 x 2-Liter-Wasserpackungen verwickelt wurde und mit ansehen musste, wie die Gewerkschaft es wieder nicht schaffte, etwas gegen Entlassungen zu tun und die ArbeiterInnen bei der daraus resultierenden Erhöhung der Arbeitsbelastung zu unterstützen, wird folgendes Resümee gezogen: „Irgendwann fühlst du dich als gewerkschaftliche Vertrauensperson wie eine Karikatur. Du reichst eine Beschwerde nach der anderen ein, aber das Management unternimmt nie strukturelle Änderungen. Jede Beschwerde wird individuell behandelt. Du kannst nicht einmal drohen, gängige gewerkschaftliche Werkzeuge einzusetzen (Newsletter, Arbeiterversammlungen), weil die Gewerkschaftsführung dich nicht unterstützt. In diesem Sinne war es ein strategischer Fehler gewerkschaftliche Vertrauensperson zu werden.“
Wir fragen uns, warum dieser „strategische Fehler" überhaupt begangen wurde, wo doch die AngryWorkers selbst die Basisgewerkschaften bereits zugunsten von „Klassengewerkschaften" verworfen hatte. Warum wurde dann hier nicht gleich versucht, sich auf Basisgewerkschaften zu stützen oder eine „Klassengewerkschaft" zu gründen? „Mangelnde Kapazität" scheint kaum eine angemessene Antwort zu sein, wenn die Alternative darin zu bestehen scheint, „als Vertrauensleute in den größeren Gewerkschaften mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen". Sie hätten genauso gut mit dem Kopf gegen die Wand rennen können, um eine „Klassengewerkschaft" aufzubauen. Der Ansatz der AngryWorkers zur Organisierung von ArbeiterInnen weist viele Widersprüche auf. Einer davon besteht darin, versuchen zu wollen, ArbeiterInnen zu militanten Aktionen zu drängen, bevor diese dazu bereit sind. Die einzige Möglichkeit, dies zu tun, ist der Rückgriff auf das Modell der gewerkschaftlichen Organisierung, die die Entwicklung von Klassenbewusstsein nicht nur vorgreift, sondern im Keim erstickt.
Die zweitbeste Sache nach einer Klassengewerkschaft: Die Industrial Workers of the World (IWW)
Im Kapitel 11 geht es um die dritte militante Untersuchung der AngryWorkers. Diese spielte sich in einer Fabrik für 3D-Drucker ab und konzentrierte sich auf den Versuch, eine Betriebsgruppe der IWW zu gründen. Scheinbar hatte man in diesem Fall beschlossen nicht auf die offiziellen Gewerkschaften und ihre Vertreter zu setzen, da das Werk weitgehend gewerkschaftsfrei war, die ArbeiterInnen aber nicht genug Bewusstsein hatten, um eine Klassengewerkschaft zu gründen. Die Bemerkungen über die Gewerkschaft GMB in Kapitel 8, in dem es um den Versuch geht, einen Streik in einem Bakkavor-Werk zu organisieren, fassen den widersprüchlichen Ansatz der AngryWorkers zusammen: „Die Kultur und die Rahmenbedingungen des Arbeiterkampfs als Klassenkampf sind verschwunden. Sie müssen von der Basis her neu aufgebaut werden. Meinen persönlichen Erfahrungen zufolge haben die Mainstream-Gewerkschaften so gut wie nichts dazu beizutragen.“
Einige Mitglieder der AngryWorkers arbeiteten 2016 in der 3D-Fabrik und kehrten ein Jahr später, 2017, an die Werkstore zurück, nachdem sie der IWW beigetreten warum um nun zu versuchen die ArbeiterInnen zur Gründung einer Betriebsgruppe der IWW zu bewegen. Die ArbeiterInnen dieser Fabrik wurden niedrig entlohnt und mussten immer dann Kurzarbeit machen, wenn es dem Unternehmen in den Kram passte. Die Angry Workers verteilten Flugblätter an die Beschäftigten, in denen sie die Heuchelei der Unternehmensleitung anprangerten und die Tatsache ansprachen, dass einige Beschäftigte schlechte Erfahrungen mit den etablierten Gewerkschaften gemacht hätten. Gleichzeitig wurde hervorgehoben, dass in der IWW die Entscheidungen von den ArbeiterInnen selbst getroffen und von anderen Beschäftigten unterstützt würden. In der Folgezeit wurde versucht sich mit ArbeiterInnen außerhalb der Fabrik zu treffen, was jedoch scheiterte, weil die Unternehmensleitung offenbar als Reaktion auf die Aktivitäten der AngryWorkers die Beschäftigten mit einer Prämie von 100 Pfund und dem Versprechen einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen abgespeist hatte. Anstatt dies als einen kleinen Erfolg zu betrachten, da offenbar die Angst vor einer kollektiven Aktion die Bosse zu Zugeständnissen gezwungen hatte, schließt das Kapitel mit den Worten: „Die Arbeiter haben also eine Prämie erhalten, aber immer noch keine Gewerkschaft.“
Die ArbeiterInnen hatten also immer noch keine Gewerkschaft, und die AngryWorkers hatten immer noch keinen Erfolg bei der Gründung einer IWW- Betriebsgruppe, geschweige denn bei der Schaffung einer „Klassengewerkschaft". Diese Art von voluntaristischem Aktivismus, insbesondere in Zeiten, in denen es kaum Klassenkämpfe gibt, führt zwangsläufig ins Leere. Die AngryWorkers jagten Luftschlössern hinterher.
Konfusionen und Inkonsistenz
Kapitel 6 mit dem Titel "Syndikalismus 2.0 und die Organisierungskampagne der IWW" versucht, die Entstehung ihrer Positionen in Bezug auf die Gewerkschaftsbewegung zu erklären. Es wird deutlich, dass die AngryWorkers die Rolle, die die etablierten Gewerkschaften in der dekadenten Phase des Kapitalismus spielen, ansatzweise verstanden und sogar eine Kritik am Syndikalismus haben. Dann wird geschildert, wie sie sich dennoch 2015 den Syndikalismus zuwandten, um ihn schließlich mit der IWW zugunsten dessen, was sie als „Klassengewerkschaft" bezeichnen, abzulehnen. In den sechs Jahren ihres Bestehens wurden jedoch verschiedene Versuche unternommen, den gewerkschaftlichen Rahmen zur Organisierung von ArbeiterInnen zu nutzen, wie in den Kapiteln 3, 8, 10 und 11 beschrieben, was darauf hindeutet, dass die AngryWorkers immer noch der Meinung sind, dass die Gewerkschaften unter bestimmten Umständen als Instrument im Interesse der ArbeiterInnenklasse genutzt werden könnten. Einerseits wird erklärt, dass die italienische Gewerkschaft SiCobas(1) aufgrund ihrer erfolgreichen Arbeit unter migrantischen ArbeiterInnen in der Logistik für sie eine Offenbarung war und daher als Weg nach vorne begriffen wurde, anderseits schimmern weiterhin Überlegungen durch die offiziellen Gewerkschaften nutzen zu können. Dann wiederum scheinen die AngryWorkers im weiteren Verlauf des Kapitels zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass die Basisgewerkschaften, einschließlich der IWW, zugunsten einer „Klassengewerkschaft" abzulehnen seien, um dann doch wieder zu versuchen eine Betriebsgruppe der IWW zu gründen. Das erscheint alles nicht nur widersprüchlich und verwirrend, es ist es auch.
Während die AngryWorkers die Probleme des Syndikalismus anerkennen, begründen sie ihr Eintreten für die IWW mit dem Argument, „dass die IWW als juristische Person“ helfen könne „innerhalb relativ kurzer Zeit Streiks für höhere Löhne zu organisieren.“ Es ist diese Notwendigkeit, innerhalb des rechtlichen Rahmens der Bourgeoisie zu handeln, die die Organisierungsarbeit einschränkt und begrenzt. Es ist unvermeidlich, dass man in diesem rechtlichen Rahmen gefangen ist, wenn man versucht, den Mindestlohn (eine von der Bourgeoisie willkürlich festgelegte Summe) im Namen der ArbeiterInnen auszuhandeln. Der Begriff „ArbeiterInnenautonomie" findet in dem Buch häufig Erwähnung. Wenn darunter verstanden wird, dass Bewusstsein der ArbeiterInnen zu schärfen, dann ist der Ansatz der AngryWorkers der falsche Weg. Er birgt nicht nur die große Gefahr eines Burnouts. Ihre Methode, jedes verfügbare „Vehikel" (sei es eine offizielle Gewerkschaft, eine Basisgewerkschaft, eine Klassengewerkschaft oder ein Solidaritätsnetzwerk) zu nutzen, um ArbeiterInnen „zu organisieren", offenbart eine völlige Inkonsistenz und gerät mehr als einmal in Widerspruch zu den vorher erklärten politischen Positionen.
Klassengewerkschaften?
Was kann man nun unter einer „Klassengewerkschaft", wie sie von den AngryWorkers propagiert wird, verstehen? Auf Seite 159 erfahren wir, dass „eine Klassengewerkschaft viele Charakteristika syndikalistischer Basisgewerkschaften“ aufweist. Sie sei keine Dienstleistungsgewerkschaft und sie sei nicht übermäßig bürokratisch. Sie ist für alle ArbeiterInnen da, nicht nur für bestimmte Berufe oder Sektoren. „Das Ziel einer Klassengewerkschaft jedoch ist ausdrücklich der Kampf gegen die Bosse. Sie ist kein Mittel, dass für beliebige politische Ziele genutzt werden kann (was sie von Organisationen wie der IWW-Großbritannien unterscheidet, die sich für regionale und nationale Befreiungsbewegungen ausspricht.“(2) Eine Klassengewerkschaft „wäre vollkommen selbstorganisiert, was bedeutet, dass sie keine professionellen Organizer*innen hat. Der wichtigste Unterschied zum Syndikalismus ist die konsequente Klassenlinie.“ Eine Klassengewerkschaft würde bspw. keine Lohnunterschiede unterstützen, die spaltend wirken würden.
Für die AngryWorkers gibt es drei wesentliche Aufgaben für eine Klassengewerkschaft:
„1. Sie ermöglicht als formale und rechtliche Körperschaft offizielle Streikaktionen. 2. Sie kann Arbeiter*innen vereinen, die an sich über keine kollektive Macht verfügen, etwa weil die Belegschaft zu klein ist oder weil durch die Arbeitsprozesse zu wenig Leute zusammengeführt werden. 3. Sie dient als Organisation in Zeiten, in denen die Bewegung der Klasse zu schwach ist, um offensivere Organisationsformen zu schaffen.“ All dies deutet jedoch eher auf die Vorstellung hin, das Klassenbewusstsein ersetzen zu können. Folgerichtig schreiben die AngryWorkers weiter: „Arbeiter*innen aus West-London zeigen wenig Interesse an Arbeitskämpfen, wir versuchten meist, sie zu solchen zu motivieren. Diese Form der kalten Organisierung ist kein guter Ausgangspunkt. Du brauchst Arbeiter*innen, die gewillt und bereit sind zu kämpfen.“ In der Tat! ArbeiterInnen, die zum Kampf bereit sind, brauchen keine Gewerkschaft, die ihn stellvertretend für sie organisiert. Und die klassenbewusstesten ArbeiterInnen werden den weniger klassenbewussten ArbeiterInnen den Weg weisen, aber das wird nur unter bestimmten Bedingungen geschehen. Es kann nicht erzwungen werden.
Klassenautonomie und die kapitalistische Krise
In vielerlei Hinsicht ist Kapitel 6 das interessanteste Kapitel des Buches. Es ist bedauerlich, dass die AngryWorkers ihre eigene Analyse des Mainstream-Gewerkschaftswesens und ihr Verständnis von Syndikalismus und Basisgewerkschaft aus den Augen verlieren. Es ist jedoch bezeichnend, dass die Frage der „Klassengewerkschaft" knapp zwei Seite des gesamten Kapitels einnimmt. Es wird erklärt, dass Klassengewerkschaften alles in ihrer Macht Stehende tun sollten, um Führer überflüssig zu machen, was aber im Rahmen einer Gewerkschaft unmöglich ist. Diejenigen, die den Preis für die Lohnarbeit aushandeln, werden immer an der Spitze stehen. Eine dauerhafte Organisation wie eine Gewerkschaft wird unweigerlich bürokratisch werden. Die AngryWorkers verzetteln sich in dem Versuch, „die Grenze zwischen Organisierenden und Organisierten“ aufzulösen_,_ aber das ist ein unlösbares Problem. Das gesamte Konzept der „Organisierung von ArbeiterInnen“ führt dazu, dass die Kontrolle über den Kampf den ArbeiterInnen entzogen wird. Aber die AngryWorkers wissen sehr wohl um die Gefahren einer solchen Organisierung der ArbeiterInnen, und wenn ihr Ziel wirklich darin besteht, eine revolutionäre Strategie zu entwickeln, dann gehen sie dabei den falschen Weg.
Der Versuch, eine solche „Klassengewerkschaft“ zu gründen, würde zum Scheitern verurteilt sein oder bestenfalls dazu führen, dass eine klassische Basisgewerkschaft entsteht, die sich am Ende genauso verhält wie eine herkömmliche Gewerkschaft. Es würde zwangsläufig eine Bürokratie entstehen, die die gewerkschaftliche Organisation über den Kampf stellen würde, wie die Erfahrung der verschiedenen Cobas-Organisationen in Italien zeigt. Selbst in Großbritannien haben wir gesehen, dass das erste, was die Basisgewerkschaften tun, darin besteht, Mitglieder zu gewinnen und sie dazu zu bringen, Beiträge zu zahlen. Ihre Priorität ist der Aufbau ihrer Gewerkschaft.
Und Gewerkschaften verbleiben immer auf dem Terrain der Aushandlung von Arbeitsbedingungen. In Zeiten von Kämpfen wäre der Versuch, eine „Klassengewerkschaft" zu gründen, entweder überflüssig oder kontraproduktiv und ein Hindernis für die Herausbildung eines antikapitalistischen Klassenbewusstseins. RevolutionärInnen sollten in einer solchen Situation in den Betrieben die ersten sein, die eine ArbeiterInnenversammlung einberufen, um die nächsten Schritte zu diskutieren. Die ArbeiterInnen haben unzählige Male bewiesen, dass sie wissen, wie sie sich selbst organisieren können, wenn sie dazu bereit sind. Betriebsversammlungen und Streikkomitees treten in Zeiten der Militanz auf. In Betrieben, in denen es bereits AktivistInnen der revolutionären Organisation gibt, werden diese wahrscheinlich eine wichtige Rolle spielen. Unsere Hauptaufgabe als RevolutionärInnen ist es, eine politische Perspektive zu aufzuzeigen und auf die Ausweitung von Kämpfen innerhalb und außerhalb der Betriebe zu drängen, wann immer sie entstehen. Wir „beteiligen uns an den Kämpfen in unseren Betrieben und Stadtteilen - aber ohne jemals bezahlte OrganisatorInnen, GewerkschaftsvertreterInnen oder BeraterInnen der Kämpfenden zu werden (wir wollen nicht die Arbeitsteilung zwischen RevolutionärInnen als DienstleisterInnen und ArbeiterInnen als "DienstleistungsnehmerInnen" reproduzieren). _Wir unterstützen die Forderungen, die den Kampf ausweiten, und kritisieren die, die das nicht tun - aber wir wollen nicht nur, höhere Löhne für die ArbeiterInnen erkämpfen, wir wollen das Lohnsystem abzuschaffen!(3)_
Wir haben bereits gesagt, dass die AngryWorkers „anscheinend" die Rolle der Gewerkschaften in der dekadenten Phase des Kapitalismus in Ansätzen verstanden haben, doch hinsichtlich der strukturellen Krise in der der Kapitalismus steckt, geben sie allenfalls Lippenbekenntnisse ab. Eine strukturelle Krise hat zur Folge, dass die Kapitalisten aufgrund des tendenziellen Falls der Profitrate gezwungen sind, den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse anzugreifen, um mehr Profit zu machen, sowohl direkt durch Lohnkürzungen als auch indirekt durch Kürzungen von Sozialleistungen. Wie wir im Kontext eines von SiCobas geführten Streiks in Rom geschrieben haben, ist es unter diesen Bedingungen notwendig, den Kampf für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit einer revolutionären Perspektive zu führen:
„Eine internationalistische kommunistische Intervention muss notwendigerweise versuchen, das zu tun, was SiCobas und andere ähnliche Bewegungen aufgrund ihres Charakters als Gewerkschaften nicht tun und nicht tun können, als Bewegungen also, die vollständig innerhalb des Systems operieren. Das bedeutet, dass wir die unmittelbaren Forderungen direkt mit der Perspektive des Klassenkampfes gegen den Kapitalismus verbinden müssen. Kurz gesagt, es muss gesagt werden, dass die Auseinandersetzung [...] ein unmittelbarer Kampf ist, der von der gesamten Klasse unterstützt werden muss, über die Grenzen des Sektors oder dieses oder jenes Gewerkschafts-Akronym hinaus. Bis zu diesem Punkt würden wir einigen der Reden, die wir gehört haben, zustimmen -, aber da die Ursache der Ausbeutung der ArbeiterInnen der Kapitalismus selbst ist, und da die Krise des Kapitals (…) eine strukturelle Krise ist, ist es notwendig, für die unmittelbare Forderung zu kämpfen und deutlich zu betonen, dass wir in keinem Kampf stehen bleiben können. Niemals“(4)
Einige Anmerkung zu „Eroberung und Verteidigung der Produktionsmittel“
In den Kapiteln 12-15 über die revolutionäre Strategie wird großen Wert darauf gelegt, zu analysieren, wie die Produktion organisiert ist, wo sich die wichtigsten Anlagen befinden, wo die ArbeiterInnen ansetzen und wie sie die Kontrolle über die Produktionsmittel übernehmen könnten usw. Streiks werden als eine Möglichkeit diskutiert, „die Arbeit anders zu organisieren, ohne die Vermittlung und Kontrolle des Kapitals", aber es wird nie etwas über den politischen Kampf gesagt. Der Staat findet nur im Zusammenhang mit der Verteidigung der Produktionsmittel Erwähnung. Es ist keine Rede davon, in die Offensive zu gehen. Wenn wir den Staat in einer revolutionären Situation passiv ignorieren, während wir Schritte nach vorne machen, werden wir früher oder später gezwungen sein, uns einer Offensive des Staates zu stellen, sobald die Bourgeoisie ihre Kräfte gesammelt hat und der revolutionäre Schwung nachgelassen hat. Die Priorität muss darin bestehen, sobald die proletarischen Kräfte stark genug sind, den bürgerlichen Staat überall dort, wo die Revolution stattfindet, zuerst vollständig zu zerschlagen und dann die Anstrengungen auf die Ausdehnung der Revolution auf jedes andere Land zu konzentrieren.
Gleichzeitig müssen Schritte unternommen werden, um dem Griff des Wertgesetzes über unser Leben Einhalt zu gebieten, wohl wissend, dass dies vollständig erst dann erreicht werden kann, wenn der bürgerliche Staat überall zerstört ist. Demgegenüber ist in Kapitel 13 folgendes zu lesen: „Die radikale Linke verfolgte im Wesentlichen zwei Strategien: entweder den gewalttätigen Angriff auf den Staat oder die friedliche Übernahme der Staatsmacht im Rahmen des Parlamentarismus. Beide verkennen jedoch, wo die Macht des Systems lokalisiert ist.“ Wir haben den Eindruck, dass die AngryWorkers völlig verkennen wo die Macht des Systems zu verorten ist. Sie fahren fort: „Weder die gewalttätige Rebellion noch die Wahlpolitik können der Macht des Kapitals etwas anhaben, da sie nicht dagegen angehen, dass das Kapital bestimmt, wie wir produzieren und unser Leben organisieren.“
Es liegt auf der Hand, dass die Auswechselung einer Regierung die Macht des Kapitals nicht aufheben kann. Das ist das Ziel der kapitalistischen Linken, die den Staatskapitalismus für den „Sozialismus“ halten. Aber glauben die AngryWorkers wirklich, dass der bürgerliche Staat tatenlos zusehen wird, wie die ArbeiterInnen in den Betrieben die Produktion nach sozialistischen Gesichtspunkten neu organisieren und umstrukturieren? Auch hier können wir aus der Geschichte lernen. Die Ereignisse in Spanien (1936-9) oder Italien (1919-20), bei denen die ArbeiterInnenklasse die Produktionsmittel übernahm, während der Staat unangetastet blieb und damit freie Hand hatte, seine Pläne für die Konterrevolution zu schmieden, führten zu verheerenden Niederlagen, nachdem der erste Schwung abebbte und die herrschende Klasse ihre Kräfte wieder sammeln konnte. Das Tragische daran war, dass es in beiden Fällen keine politische Organisation gab, die in der Lage gewesen wäre, der Klasse eine Perspektive zur Zerschlagung des Staates aufzuzeigen. Faktisch ähnelt der gesamte Ansatz der AngryWorkers zur Entfachung des ArbeiterInnenkampfes mit seiner Betonung des Aufbaus eines „Solidaritätsnetzwerks" eher der gradualistischen Perspektive eines Antonio Gramsci, die sich nur auf die Fabrik konzentrierte und die Macht des bürgerlichen Staates ignorierte. Wie Amadeo Bordiga es seinerzeit formulierte, ist die Revolution nicht einfach ein Prozess der Demokratisierung der Arbeitswelt, um so den Beweis zu liefern, dass die Arbeiterklasse „die Produktion verantwortungsvoll und effizient verwalten" könne. Vielmehr geht es um eine bewusste politische Bewegung zum Sturz des bestehenden Staates, die von einer Organisation mit einem klaren revolutionären Programm zentralisiert und koordiniert werden muss. Die AngryWorkers scheinen dazu zu tendieren, die Frage der politischen Führung auszuklammern, und ziehen es vor, die ArbeiterInnenklasse geschichtliche Lehren neu lernen zu lassen, die bereits Teil ihrer historischen Erfahrung der RevolutionärInnen sind.
Die Konfusionen der AngryWorkers in dieser Frage illustriert der auf libcom.org(5) publizierte AWW-Text „Factory occupation! Temporary and permanent Honda workers in Manesar India”. In der Einleitung zur Werksbesetzung heißt es: „Was uns fehlt, ist eine kollektive Reflexion über die innere Dynamik und die globale Dimension der aktuellen Proteste. Uns fehlt eine Vision, wie wir über die Auseinandersetzung mit den staatlichen Kräften hinausgehen und uns eine kollektive Übernahme der Mittel zur Herstellung eines besseren Lebens vorstellen können. Deshalb sind Kämpfe wie die derzeitige Fabrikbesetzung der Honda-ArbeiterInnen von entscheidender Bedeutung. Sie besetzen buchstäblich die Produktionsmittel und finden dabei neue Wege, um kollektives Wissen zu entwickeln."
Was soll das heißen? Die Debatte über diese Frage auf libcom.org ist recht aufschlussreich. Sie zeigt, dass die AngryWorkers der Frage der politischen Führung von Kämpfen ausweichen. Anstatt für eine Ausweitung des Streiks einzutreten, um den Kampf über die Grenzen der Besetzung hinauszuführen, ziehen sie es vor darauf zu warten, dass die ArbeiterInnen diese Perspektive spontan entwickeln. Diese Art von „Arbeitertümelei“ ist wenig geeignet eine politische Perspektive zu entwickeln und kann zu weiteren Konfusionen unter den ArbeiterInnen führen. Fredo Corvo bringt es in einem Diskussionsbeitrag mit den AngryWorkers auf dem Punkt: „Die gegenwärtigen Situation in Manesar impliziert, dass diese Organisationen der Minderheit für eine Ausweitung Kampfes auf andere ArbeiterInnen agitieren sollten. Es tut mir leid, sagen zu müssen, dass ich keinen Hinweis darauf habe, dass Sie dies jetzt tun, und dass Sie zu warten scheinen, bis die ArbeiterInnen dies 'spontan' tun. Das ist ein Punkt, den es zu klären gilt, denn das betrifft nicht nur Manesar oder Indien, sondern ArbeiterInnen auf der ganzen Welt, eine winzige Minderheit versucht, dem zu folgen, was Sie tun." Er stellt den AngryWorkers die Frage: „Ist es möglich, dass eure Bemühungen, eine ständige Organisation für eine größere Anzahl von ArbeiterInnen zu schaffen, euch zögern lässt, das vorzubringen, was ihr als kleine Minderheit als notwendig im Kampf erachtet?" Dies ist eine sehr berechtigte Frage. Wir denken, dass die AngryWorkers von ihrer „industriellen Strategie" so besessen sind, dass sie die Notwendigkeit für RevolutionärInnen eine politische Führung zu geben kategorisch ausblenden.
Schlussfolgerung
In der Einleitung ihres Buches bezeichnen sich AngryWorkers als „LinkskommunistInnen“. Allerdings übernehmen mittlerweile viele unterschiedliche Einzelpersonen, Gruppen und Strömungen das Etikett „Linkskommunismus“ ohne seine Bedeutung wirklich zu verstehen. Die Kommunistische Linke verbrachte die Jahre nach der Niederschlagung der revolutionären Welle der frühen 20er Jahre damit, die Lehren aus dieser Niederlage zu verstehen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Viele der heutigen Positionen der IKT leiten sich aus dieser Analyse ab und bilden einen wichtigen Teil unseres Programms. Wir wissen, dass die AngryWorkers die Lehren aus dem kommunistischen Programm ablehnen: „Das Programm kann nicht am Reißbrett entworfen werden. Wir richten die Scheinwerfer auf das was Arbeiter*innen selbst tun, bzw. auf das was wir zu tun versuchen, gemeinsam mit unseren Kolleg*innen. Doch gerade ihr Buch „Class Power“ illustriert nur, dass unsere heutigen Theorien, auf tatsächlichen Erfahrungen beruhen. Indem sie die Kritik der Kommunistischen Linken an den Gewerkschaften ignorieren sind die AngryWorkers gezwungen, sie in der Praxis neu zu lernen. Die hart erkämpften Lehren des Programms abzulehnen oder nicht zu verstehen, führt unweigerlich dazu, dass man dazu verdammt ist, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Keine ernsthafte Gruppe, die wirklich Teil der Kommunistischen Linken ist, würde innerhalb der IWW arbeiten oder mit linksbürgerlichen Gruppen wie der AWL (Alliance for Worker`s Liberty) auf Basis einer gemeinsamen Plattform kooperieren. Faktisch legen die AngryWorkers ähnliche Konfusionen an den Tag wie die aufgelöste britische Gruppe Solidarity (die sie sehr bewundern). Diese ging aus dem Trotzkismus hervor, konnte jedoch nie vollständig mit der bürgerlichen Linken brechen, geschweige denn ihre Verwirrungen in der Gewerkschaftsfrage auflösen.(6)
Am Ende des Buches reflektieren die AngryWorkers über die Erfolge und Misserfolge während der sechs Jahre ihres Bestehens: „Wir können andere inspirieren, indem wir ein konkretes Beispiel mit einer klaren politischen Linie setzen." Wir stimmen voll und ganz zu, dass eine klare politische Linie notwendig ist, aber bis jetzt haben wir keine Anzeichen dafür gesehen, dass die AngryWorkers eine solche haben. Sie geben offen zu, dass sie keine großen Fortschritte machten, indem sie auf informeller Ebene arbeiteten und darauf hofften, dass die Leute sich ihnen einfach anschließen würden. Sie räumen nun zögernd ein, dass die Gründung einer formelleren Organisation notwendig sein könnte: „Es würde bedeuten, dass wir uns als Organisation mit einem politischen Programm präsentieren, dass wir wollen, dass andere sich uns anschließen und das sich Ortsgruppen bilden. Es muss dabei klar sein, dass es nicht darum geht, irgendein Programm zu unterschreiben, sondern darum, sich mithilfe von Publikationen, Solidaritätsnetzwerken, Arbeitsplatzgruppen und Arbeiterbildungsinitiativen auf Augenhöhe in der Arbeiterklasse zu verankern.“ In gewisser Weise können wir, die seit Jahrzehnten versuchen, das „Traditionsbehaftete und Mühsame" zu tun das nur begrüßen. Unser Ziel war es immer, Kerne von Betriebsgruppen zu bilden, aber das ist uns bis jetzt nur in Italien gelungen.(7)
Selbst hier sind diese Gruppen mit dem Aufkommen und dem Niedergang lokaler Kämpfe entstanden und auch wieder eingeschlafen. Unseren italienischen GenossInnen ist es gelungen, eine Betriebsgruppe in den FIAT-Werken von Turin und Asti für die meiste, wenn nicht die ganze Zeit aufrechtzuerhalten (die 1950er Jahre waren für die Organisierung am Arbeitsplatz genauso schwierig wie heute), aber das war nicht einfach. Unsere Erfahrung mit der Schikanierung von AktivistInnen sowohl durch die Gewerkschaften als auch durch die Bosse (die oft unter einer Decke stecken, wie die AngryWorkers herausfand) zeigte, dass diese alles tun, um uns an der Arbeit zu hindern. Dabei sollte nicht unter den Teppich gekehrt werden, dass wir stets versucht haben, politische und nicht nur rein defensive Organisationen am Arbeitsplatz aufzubauen. Dies ist eine schwierigere Aufgabe, und wie die AngryWorkers haben wir mehr Misserfolge als Erfolge zu verzeichnen. Dazu gehört, dass die besten Genossinnen und Genossen zu den ersten gehören, die entlassen werden, aber auch, dass einige durch die Verlockungen der Gewerkschaften (oder dem Druck ihrer ArbeitskollegInnen) dazu verleitet werden, in die unterste Sprosse der Gewerkschaftsstruktur einzutreten, nur um dann demoralisiert zu werden. In Wirklichkeit kann niemand von uns über die aktuelle Bewusstseinsebene des Kampfes hinausgehen. Und Voluntarismus ist kein Ersatz für die lange und geduldige Arbeit des ständigen Kontakts und Austauschs, die notwendig ist, um eine revolutionäre politische Organisation aufzubauen, die in der ArbeiterInnenklasse verankert ist. Solange die Klasse ihre allgemeinen Kämpfe nicht wiederbelebt, haben wir wenig Spielraum, in dem wir agieren können.
Heute gibt es Anzeichen dafür, dass unter den jüngeren ArbeiterInnen die Erkenntnis wächst, dass die ArbeiterInnenklasse den Preis für 40 Jahre kapitalistische Krise bezahlt hat, aber abgesehen von den am stärksten benachteiligten migrantischen ArbeiterInnen (dies ist ein weltweites Phänomen) sind bisher nur wenige Sektoren offen kämpferisch aufgetreten. Dies alles könnten Punkte sein, die mit der AngryWorkers fruchtbar zu diskutieren wären. Doch seit der Veröffentlichung des Buches haben sie im Internet eine „Gründungskonferenz" angekündigt, um die „Strategie und Organisation der ArbeiterInnenklasse" im oben beschriebenen Sinne zu diskutieren. Es gibt einen Link zur Plattform der AngryWorkers, um die herum sich die neue Organisation vermutlich entwickeln soll. Die Plattform enthält jedoch viele der hier bereits kritisierten Unklarheiten. Wir bezweifeln, dass diese Initiative zur Schaffung einer formelleren Organisation erfolgreicher sein wird als ihre früheren Bemühungen. Sollte diese jedoch zustande kommen, kann dies alles hier als unseren ersten Beitrag zu den wichtigen Fragen der revolutionären Strategie betrachtet werden, die sie aufgeworfen, aber nicht gelöst haben. (Ergosum)
Erstmals erschienen in Sozialismus oder Barbarei Nr. 30: leftcom.org
Anmerkungen
(1)Mehr zu den SiCobas und der Problematik der Basisgewerkschaften siehe: leftcom.org
(2) Anscheinend beziehen sie sich hier auf die Unterstützung der kurdischen Nationalisten in Rojava durch die IWW. Sie scheinen nicht zu wissen, dass SiCobas (die von einigen bordigistische Gruppen als „Klassengewerkschaft" bezeichnet wird) auch die „nationale Befreiung“ sog. „unterdrückter Völker“ unterstützt. Das hilft, ihre Botschaft auch den von ihnen organisierten migrantischen ArbeiterInnen zu verkaufen.
(4) Siehe: leftcom.org
(5) Siehe: libcom.org
(6) Und aus der der Großteil der Kommunistischen Linken in Großbritannien hervorging, einschließlich der Gründer von Revolutionary Perspectives, dem Vorläufer der CWO.
(7) Mehr zu unserer Strategie bei der Betriebsarbeit siehe: leftcom.org
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