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Startseite ›Anmerkungen zur Streikwelle in Großbritannien
(Von unseren GenossInnen der Communist Workers` Organisation)
Was für einen Unterschied ein paar Jahre machen! Im Zeitraum zwischen 2015 und 2019 gab es einen der geringsten Lohanstiege und trotzdem war auch die Zahl der Streiks im Vereinigten Königreich so niedrig wie nie zuvor. Die Zeit der Covid-19-Pandemie zeigte zwar die tiefe Kluft zwischen der herrschenden Klasse und dem Rest der Gesellschaft, löste aber keinen größeren Widerstand aus. Doch im Jahr 2022 gehörten Streiks zum Alltag. Mit dem Aufflammen von Konflikten im Verkehrswesen, bei der Post, in Krankenhäusern, an Universitäten, in Fabriken, in der Logistik und sogar in Wohlfahrtsverbänden erleben wir die größten Streiks seit einer Generation, bzw. seit Thatcher Premierministerin war.(1)
Für diejenigen unter uns, die der Meinung sind, dass „die Befreiung der ArbeiterInnenklasse nur das Werk der ArbeiterInnenklasse selber sein kann“, wirft die aktuelle Streikwelle ebenso viele Fragen wie Antworten auf
Ursache und Wirkung
Eine Hauptantriebskraft dafür war zweifellos die steigenden Lebenshaltungskosten in Verbindung mit stagnierenden Löhnen.(2) Natürlich ist dies nur Teil eines umfassenderen Trends, der den Anteil der ArbeiterInnen am BIP seit den 1970er Jahren (d. h. seit Beginn der Abwärtsspirale des gegenwärtigen Akkumulationszyklus) sinken ließ. Außerdem wurde erwartet, dass der Arbeitskräftemangel nach der Pandemie die Waage auf dem Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitssuchenden kippen würde. Ein angespannter Arbeitsmarkt bedeutet in der Regel mehr Verhandlungsmacht für die ArbeiterInnen.
Die Gewerkschaftsführung witterte eine Chance und nutzte diese Situation, indem sie in vielen verschiedenen Sektoren zu Streiks aufriefen, bei denen es hauptsächlich um Löhne und Gehälter ging (Renten, Arbeitslosigkeit, Entlassungen usw. sind ebenfalls immer wiederkehrende Themen). Dies betraf sowohl den öffentlichen als auch den privaten Sektor, vor allem aber die Betriebe, in denen der gewerkschaftliche Organisationsgrad höher ist (obwohl die streikbedingten Verkehrsunterbrechungen indirekt auch die Gewinne im Gastgewerbe beeinträchtigt haben). In einigen Fällen haben die ArbeiterInnen sogar selbst die Initiative ergriffen und nicht den offiziellen Verfahrensweg durch die Gewerkschaften abgewartet.(3)
Aussichten
Bislang haben nur wenige Streiks ihr Ziel erreicht. Nur wenige haben Lohnerhöhungen oberhalb der Inflationsrate durchgesetzt, wie die HafenarbeiterInnen in Liverpool, denen nach fast zweimonatigem Streik Lohnerhöhungen zwischen 14 % und 18 % versprochen wurden. Viele andere hingegen haben Zugeständnisse gemacht, wie die BT-Beschäftigten, die sich nach sechs Monaten auf eine pauschale Lohnerhöhung von 1.500 Pfund (zwischen 3,8 und 8 % je nach Tarif) geeinigt haben, statt der ursprünglich geforderten rückwirkenden Lohnerhöhung von 10 %. Und einige Streiks, wie die bei der Bahn und bei der Post, dauern auch nach mehr als einem halben Jahr noch an.
Obwohl einige Gewerkschaftsführer von der Notwendigkeit koordinierter Streiks sprachen, fanden diese nur in sehr begrenztem Umfang statt, selbst wenn die Aktionen in denselben Sektoren oder sogar an denselben Betrieben stattfanden. Die Gewerkschaften brechen nach wie vor gegenseitig ihre Streikpostenketten, und selbst dort, wo sie die Empfehlungen zu Massenstreikposten ignoriert haben, haben sie dafür gesorgt, dass alle Aktionen im Rahmen des Gesetzes über Gewerkschaften und Arbeitsbeziehungen (Consolidation) von 1992 stattfanden. Nach dem Tod der Königin haben viele Gewerkschaften (CWU, RMT, ASLEF und TSSA) ihre Streiks einfach aus Kulanz abgesagt oder ausgesetzt. Trotz all dieses Respekts für das Establishment und seine Regeln droht die Regierung Sunak nun damit, die Anti-Streik-Gesetze weiter auszuweiten, indem sie es möglich macht, Gewerkschaften zu verklagen und Beschäftigte zu entlassen, die während eines Streiks in wichtigen öffentlichen Sektoren kein „Mindestdienstniveau“ gewährleisten. Es sieht so aus, als ob die Gewerkschaften dies vor Gericht und durch symbolische Aktionstage anfechten werden, aber es bleibt abzuwarten, wie die ArbeiterInnen auf solche Angriffe auf ihr Streikrecht auf der Straße und am Arbeitsplatz reagieren werden.
Das Gerangel um die echte Bewegung
Gleichzeitig mit der Rückkehr der Streiks hat in der Linken des Kapitals das Gerangel darum begonnen, welche politische Fraktion die Bewegung in ihre Richtung lenken wird. Der Sturz von Corbyn nach den Parlamentswahlen 2019 und der offen wirtschaftsfreundliche Kurs der Labour-Partei unter Starmer hat ein Vakuum für andere Formationen hinterlassen, die sich an die Corbyn-Diaspora wenden.(4)
Bereits Anfang 2022, bevor die Streikwelle richtig losging, organisierte die People's Assembly mit der ehemaligen Labour-Abgeordneten Laura Pidcock an der Spitze Proteste gegen die steigenden Lebenshaltungskosten. Dies wurde bald von der Kampagne „Enough is Enough“ überschattet, die im August 2022 von Mick Lynch von der RMT und den Labour-Abgeordneten Zarah Sultana und Ian Byrne ins Leben gerufen wurde. Auf der aktivistischeren Seite hat die Kampagne Don't Pay (etwas verwirrend) zur massenhaften Nichtbezahlung von Energierechnungen aufgerufen. All diese Kampagnen haben versucht, durch die Gründung lokaler Gruppen Präsenz zu zeigen - mit begrenztem Erfolg. Hinzu kommen die verschiedenen trotzkistischen und stalinistischen Gruppen, die aus der Labour-Linken rekrutiert haben, sowie lokale linke Stadträte, die nun versuchen, ihre Karriere als „unabhängige Sozialisten“ voranzutreiben, und schon ist die Verwirrung groß. 2023 wird es weiterhin eine Fortsetzung dieser Fraktionskämpfe innerhalb der Gewerkschaften und der Labour-Linken geben.
Die wirkliche Alternative
Seit Beginn dieser Streikwelle haben wir erklärt:
Unsere Macht, uns zu wehren, liegt in unseren eigenen Händen als Klasse, und es liegt an uns, sie durch unsere eigenen Organe zum Ausdruck zu bringen, seien es Streikkomitees, Stadtteilversammlungen und schließlich ArbeiterInnenräte. Wir können es uns nicht leisten, diese Macht in die Hände von Politikern und Gewerkschaftsbürokraten zu legen, so sehr sie auch vorgeben, auf unserer Seite zu stehen.(5)
In diesem Sinne haben sich Mitglieder und SympathisantInnen der CWO während des gesamten letzten Jahres an den Streikpostenketten, den Kundgebungen und Demonstrationen beteiligt und mit anderen ArbeiterInnen über die Notwendigkeit einer wirklichen Alternative diskutiert (was für uns sowohl die Selbstorganisation des Kampfes als auch einen neuen internationalen politischen Bezugspunkt für ArbeiterInnen, die das System in Frage stellen, beinhaltet). Und wir werden dies auch weiterhin tun. Eine solche Alternative kann nur aus der ArbeiterInnenklasse heraus entstehen, wenn sie sowohl mit dem gewerkschaftlichen Rahmen, der die ArbeiterInnen entlang von Sektoren, Branchen und Betrieben spaltet, als auch mit einer institutionellen Linken, die lediglich um ihren Platz am Futtertrog kämpft, bricht. In diesem Sinne sind wir noch weit von der Militanz der 1970er Jahre entfernt (auch wenn die gleiche Gefahr der „money militancy“ besteht, bei der sich isolierte Teile der ArbeiterInnen in kräftezehrenden Streiks erschöpfen und letztlich nur um Brosamen kämpfen).
Wir sind uns im Klaren darüber, dass viele ArbeiterInnen bereits die Notwendigkeit koordinierter Aktionen erkennen (auch wenn sie noch darauf warten, dass die Gewerkschaftsführung diese ankündigt). Viele erkennen auch, dass die derzeitige Streikwelle eine politische Dimension hat (auch wenn diese im Moment nur auf der Ebene von „Tories raus“ verbleibt). Der krisengeschüttelte Kapitalismus ist zwar in der Lage, bestimmte Zugeständnisse zu machen und ArbeiterInnen in bestimmten Sektoren entgegenzukommen, doch welche Regierung auch immer antritt, sie wird nicht in der Lage sein, die Entwicklungen der letzten 50 Jahre umzukehren (zumindest nicht ohne eine katastrophale kriegerische Kapitalvernichtung, die einen neuen Akkumulationszyklus anfachen könnte). Weltweit sehen wir, wie die Infrastruktur, die wichtige Dienstleistungen wie die Gesundheitsversorgung bereitstellt, zerbröckelt, während rivalisierende imperialistische Mächte um einen Planeten rangeln, dessen Ökosysteme zunehmend zerstört werden. Zu Beginn des neuen Jahres stellt sich die Frage, ob die ArbeiterInnenklasse - die einzige Kraft, die in der Lage ist, eine neue Gesellschaft zu schaffen - für mehr als nur Löhne streiken wird. Letztendlich haben wir eine Welt zu gewinnen und auch eine Welt zu retten. (Dyjbas, CWO)
Anmerkungen:
(1) Siehe: bloomberg.com
(2) Zu unserer Analyse der so genannten "Lebenshaltungskostenkrise" siehe: leftcom.org
(4) Unsere Kritik am Corbynismus: leftcom.org
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