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Startseite ›Proteste in China: Es geht nicht nur um Covid
China erlebt derzeit die größte Welle von Unruhen seit den ArbeiterInnenstreiks Anfang der 2010er Jahre, wenn nicht sogar seit der Protestbewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Dabei spielen eine Reihe von Faktoren eine Rolle. Der 20. Parteitag der „Kommunistischen“ Partei Chinas (KPCh) im Oktober löste bereits symbolischen Protest in Form von Spruchbändern aus, die anschließend im Internet verbreitet wurden. Diese brachten die weit verbreitete Frustration über die Herrschaft von Xi Jinping und die Null-Covid-Strategie zum Ausdruck, mit der China das Virus zu bekämpfen versucht. Dies war jedoch nur ein Vorbote für die Dinge die noch kommen sollten, da sich Wut und Unzufriedenheit bald auf die Straßen übertrugen.
15. November: Proteste in Guangzhou
Als Reaktion auf den schlimmsten Covid-Ausbruch in der Stadt seit Beginn der Pandemie wurde Guangzhou am 5. November nahezu vollständig abgeriegelt. Am 15. November kam es zu den ersten Zusammenstößen, bei denen eine Menschenmenge die Absperrungen umwarf, die sie in ihren Häusern festhalten sollten. Es sieht so aus, dass besonders WanderarbeiterInnen aus der Textilbranche, die während der Abriegelung aufgrund der Reisebeschränkungen nicht in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, im Mittelpunkt der Unruhen standen. Beschwerden über Lebensmittelknappheit und explodierende Preise sowie unbestätigte Gerüchte, dass die Zahl Covid-Fälle künstlich aufgebläht werden um die Gewinne der Testunternehmen zu steigern, scheinen ebenfalls eine Rolle gespielt zu haben.(1) Nach dem Einsatz der Bereitschaftspolizei schien sich die Lage zu beruhigen.
23. November: Foxconn-Proteste
Wie das chinesische Kapital im Allgemeinen leidet auch das Foxconn-Werk seit Jahren unter geringer Rentabilität und steigenden Arbeitskosten. Die Notwendigkeit, die Produktion aufrechtzuerhalten, selbst angesichts eines hochgradig ansteckenden Virus, verschärfte die Arbeitsdisziplin an einem ohnehin schon dystopischen Arbeitsplatz.(2) Als die Covid-Fälle in Zhengzhou Anfang Oktober zu steigen begannen, sperrte Foxconn die ArbeiterInnen im Rahmen eines so genannten "Closed-Loop"-Systems faktisch in ihrer Fabrik ein. Die ArbeiterInnen waren gezwungen, auf dem Gelände zu wohnen und zu arbeiten, sich regelmäßig PCR-Tests zu unterziehen und durften die Räumlichkeiten nicht einmal zum Essen verlassen. Dies konnte einen Ausbruch von Covid innerhalb der Fabrikmauern nicht verhindern, sodass schon bald die Isolierstationen überfüllt waren. Ende Oktober begannen die ArbeiterInnen massenhaft aus der Fabrik zu fliehen, obwohl die Sicherheitskräfte versuchten sie aufzuhalten. Um dem entstehenden Arbeitskräftemangel zu begegnen, führte Foxconn Anwesenheitsprämien ein und startete Anfang November eine erfolgreiche Anwerbungskampagne. Schon bald mussten die Neuangestellten jedoch feststellen, dass die Realität nicht ihren Erwartungen entsprach: Die Bonuszahlungen verzögerten sich, und positiv auf Covid getestete wurden nicht isoliert, was zu weiteren Infektionen führte. Dies führte am 23. November zu Protesten und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften.(3) Foxconn reagierte schnell und bot den Neuangestellten eine Abfindung von 10.000 Yuan (ca. 1.330 Euro) an wenn sie ihren Job aufgeben würden, während die Regierung ganz Zhengzhou abriegelte um weitere Unruhen zu verhindern.
24. November: Ürümqi-Proteste
Xinjiang, die Region in der viele Angehörige der uigurischen Minderheit leben, ist seit August abgeriegelt. Am 24. November brach in einem Wohnhochhaus in Ürümqi, der Hauptstadt der Region, ein Feuer aus. Berichten zufolge wurde das Feuer durch einen Defekt in einer Steckdosenverlängerung ausgelöst. Es dauerte drei Stunden bis es gelöscht war und 10 Menschen starben dabei. In den sozialen Medien wurde die Zahl der Todesopfer weitgehend auf die Covid-Bestimmungen zurückgeführt, die es den Menschen erschwerten das Gebäude zu verlassen (ähnliche Kritik an den Covid-Bestimmungen, die mehr Todesopfer gefordert hätten als das Virus selbst, wurde bereits zwei Monate zuvor geäußert, als 27 Menschen bei einem Unfall mit einem Covid-Quarantänebus in Guizhou starben). Die Behörden bestritten, dass an diesen Behauptungen etwas dran sei, aber eine Bemerkung des Leiters der Feuerwehr, dass „die Möglichkeiten einiger Bewohner, sich selbst zu retten, sehr begrenz gewesen sei“, heizte die Flammen weiter an. Proteste breiteten sich in ganz Westchina aus, und es wurden Forderungen nach einem Ende der Null-Covid-Strategie laut. Die Behörden von Ürümqi haben bereits angekündigt die Abriegelung zu lockern um die Situation zu beruhigen.(4)
Wie weiter?
Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts scheinen sich die Unruhen in ganz China auszubreiten. Es tauchen Videos von Demonstranten auf die PCR-Teststände in Lanzhou zerstören, von Studierenden der Universität Peking, die die Internationale singen, während auf den Straßen von Shanghai die politische Forderung nach dem Rücktritt der KPCh und Xi Jinpings erhoben wird. Wir wissen, was als Nächstes passiert: Sowohl die Peitsche als auch das Zuckerbrot, Repressionen und Zugeständnisse, werden eingesetzt werden um weiteren Dissens zu unterdrücken. Wahrscheinlich werden die Lockdowns taktisch eingeführt und wieder aufgehoben. Allerdings wird es der Regierung schwerfallen eine sofortige Kehrtwende zu vollziehen, wenn man bedenkt, dass die Covid-Infektionen in China derzeit einen Rekordstand erreichen.
Vor allem ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass es bei den Protesten in China nicht nur um Covid geht. Die Ereignisse werden sicherlich von verschiedenen Seiten unterschiedlich interpretiert werden, aber die zugrundeliegenden Probleme sind für die ArbeiterInnenklasse überall die gleichen: prekäre Arbeitsbedingungen, repressive Arbeitsdisziplin und unsichere Lebensbedingungen. Wie wir bereits zu Beginn der Pandemie sagten ist der Staat keine neutrale Instanz, sondern ein Instrument zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere und so sollte es nicht überraschen, dass Maßnahmen der sozialen Kontrolle, die in Notfallsituationen eingeführt werden, bei Bedarf auch zur Unterdrückung des Widerstands der ArbeiterInnenklasse eingesetzt werden können. Die Art und Weise, wie die herrschende Klasse mit der Pandemie umgeht ist jedoch nur ein Teil des Puzzles. Das größere Ganze ist die Spaltung der Gesellschaft in Klassen, bei der die übergroße Mehrzahl arbeiten muss, um zu überleben, während die Wenigen profitieren.
Es ist noch zu früh, um zu sagen in welche Richtung sich die derzeitigen Proteste entwickeln werden, wenn sie sich nicht in nächster Zeit erschöpfen. Wir können nur wiederholen: Solange die ArbeiterInnenklasse nicht als unabhängige gesellschaftliche Kraft auftritt, mit eigenen politischen Perspektiven die über reformistische Forderungen hinausgehen (in diesem Fall freie Wahlen oder ein Ende der Null-Covid-Strategien) werden diverse kapitalistische Fraktionen mit ihren eigenen Interessen einspringen und die Situation ausnutzen. Wie wir bereits im Jahr 2019 geschrieben haben:
Der Weg nach vorn in China, wie auch anderswo, bleibt die Autonomie der ArbeiterInnenklasse und ein kommunistisches Programm. Erstere muss gegen diejenigen verteidigt werden, die sie unterminieren wollen (staatliche Akteure, NGOs, Gewerkschaften), letzteres muss von den klassenbewussteren Teilen der Gesellschaft wiederbelebt werden, die über die Lehren der Vergangenheit nachdenken (und sich schließlich in einer internationalistischen politischen Organisation zusammenschließen). Das ist keineswegs einfach, aber angesichts des langsamsten Wirtschaftswachstums in China seit fast drei Jahrzehnten und der Verschuldung sowie des Schreckgespensts eines internationalen Krieges und der Klimakrise, die das Leben von Millionen von Menschen gefährdet, wird dies von Tag zu Tag dringlicher. Wenn die chinesische ArbeiterInnenklasse den Weg des massenhaften Klassenkampfes beschreitet und die Lehren aus ihren eigenen historischen Erfahrungen zieht, mögen die herrschenden Klassen dieser Welt vielleicht wieder erzittern.(5)
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- 1960s
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- 1999: WTO conference in Seattle
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- 2000s
- 2000: Second intifada
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- 1926: Lyons Congress of PCd’I
- 1927: Vienna revolt
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