Editorial - Sozialismus oder Barbarei #30

Wir leben in apokalyptisch anmutenden Zeiten. Eine ökologische Krise, die das Überleben auf diesem Planten immer mehr bedroht und als Folge daraus eine seit nunmehr zwei Jahren schwelende Pandemie, der bisher über 6 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, deren Ende nicht absehbar ist. Und nun noch ein Krieg, der die Widersprüche der kapitalistischen Krise auf allen Ebenen zum Kochen bringt. Mit den üblichen ideologischen Begleitfolgen. Eine neue „Zeitenwende“ wird beschworen und parteiübergreifend nach Waffen und Verzicht krakeelt. „Wir können auch mal frieren für die Freiheit, und wir können auch mal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben“ gab diesbezüglich der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck zum Besten. Das lauwarme Gewäsch des Pfaffen sollte besonders jenen in den Ohren klingen, die ohnehin schon frieren müssen, die tagtäglich um ihr Lebensglück betrogen werden und deren Lebenserwartung durch sinntötende Lohnarbeit fortwährend reduziert wird. Eines sollte jetzt schon klar sein: Beim Frieren wird es nicht bleiben. Die jüngsten Berechnungen der Welternährungsorganisation stellen diesbezüglich einen deutlichen Befund aus.

Auch wenn in letzter Zeit weltweit eine Zunahme von Kämpfen und Streiks zu beobachten ist, steht ein kollektives Aufbegehren der Klasse immer noch vor vielen Hindernissen. Die sozialen Kämpfe die sich nach dem Kriseneinbruch 2008 entwickelten, sie es nun der sog. Arabische Frühling, die Platzbesetzung der Indignados, Occupy und die Bewegungen gegen die Austeritätsprogramme in Griechenland riefen in der „Linken“ große Hoffnungen und Erwartungen hervor. Folgerichtig wurde ihr Scheitern mit großer Enttäuschung, Frustrationen und Zynismus quittiert. Derartige Momente bieten einen fruchtbaren Boden für fragwürdige theoretische Innovationen und Erklärungsmuster des „Scheiterns der alten Arbeiterklasse“, die dann gewissermaßen als letzter Schrei durch die Debatten geistern. Eine dieser Modeströmungen, die sich zu allen Überfluss auch noch mit dem Aushängeschild „Linkskommunismus“ schmückt, ist die sog. „Theorie der Kommunisierung“, mit der wir uns in diesem Heft schwerpunktmäßig auseinandersetzen. Daran anschließend geht es um die Arbeitszeitrechnung und den Kommunismus, die in den tristen Zeiten von Lockdown und Pandemie von einigen Linken wieder verstärkt diskutiert wurde. Bisher erschöpfte sich die Debatte in der schnöden Feststellung es heute irgendwie besser zu wissen als die „alten Rätekommunisten“ anno 1930. Warum es jedoch wenig bis gar keinen Sinn macht beim tollkühnen Unterfangen einer Überwindung der Lohnarbeit hinter den „alten Marx“ zurückzufallen, unterstreicht der Beitrag „Die Kommunistische Gesellschaft – Wert, Arbeit und Zeit“, der als Replik auf Gilles Dauvé, einen besonderen „Heroen“ der Kommunisierung, verfasst wurde.

Im Rahmen der derzeit emsig verhandelten Frage einer „Neuen Klassenpolitik“ ist dem Buch „Class Power! Über Produktion und Aufstand“ eine weite Verbreitung zu wünschen. Es dokumentiert anschaulich die Erfahrungen einer von dem britischen Kollektiv AngryWorkers durchgeführten militanten Untersuchung in der Lebensmittel -und Logistikindustrie West-Londons, aus denen es gerade angesichts ihrer ökonomistischen Begrenzungen und Fallstricke viel zu lernen gibt. Dies macht der Text unserer britischen GenossInnen „Learning the Hard Way“ deutlich, der sich kritisch mit dem Konzept einer „Organisierung von ArbeiterInnen“ auseinandersetzt. Unsere Hoffnungen auf weitergehende produktive Diskussionen über derartige Konzepte halten sich jedoch in Grenzen. Der seit Kriegsausbruch auf der Webseite der AngryWorkers zu besichtigende sozialchauvinistische Unfug(1) deutet eher darauf hin, dass sie auf den besten Wege sind die „Fasern der Nabelschnur, die uns mit den Hinterzimmern von Zimmerwald und anderen kommunistischen Internationalist:innen der Vergangenheit verbindet“ [s.i.c.] zu kappen, um der Krise der Restlinken anheim zu fallen.(2)

Der Begriff des Rätekommunismus hat in letzter Zeit gleichermaßen eine Renaissance und grobe Verballhornung erfahren. Dafür steht nicht zuletzt der Name Felix Klopotek, dessen jüngstes Traktat zu diesem Thema uns bisher weder Zeit noch Platz für eine eingehende Beschäftigung wert war. Stattdessen beschließen wir diese Ausgabe mit einer Besprechung der äußerst informativen Biographie Garry Roths über das Leben und Wirken Paul Matticks, die die Begrenzungen und Widersprüche rätekommunistischer Theorie nicht ausspart.

Es ist lange her seit die letzte SoB erschienen ist. Bei der „Kritik im Handgemenge“ sind wir zuweilen gezwungen Schwerpunkte zu setzen. Wir haben uns in letzter Zeit verstärkt auf Interventionen mit unserer Flugschrift „Germinal“ und während der Lockdowns auf Onlinepublikationen konzentriert. Des Weiteren schlägt bei uns der chronische Mangel an Geld zu Buche, welches für Druck und Vertrieb derzeit leider erforderlich ist. Wir schließen daher mit dem Aufruf an geneigte LeserInnen uns damit auszuhelfen und so einen sinnvollen Beitrag zu seiner Abschaffung zu leisten.

Gruppe Internationalistischer KommunistInnen (im Frühjahr 2022)

Inhalt:

  • Die Theorie der Kommunisierung – Grundzüge einer Kritik
  • Die Kommunistische Gesellschaft – Wert, Arbeit und Zeit: Eine Replik auf Gilles Dauvé
  • Learning the Hard Way? Eine Kritik der Angry Workers
  • Der revolutionäre Beitrag von Paul Mattick

Bestellungen unter:de@leftcom.org

(1) angryworkers.org

(2) communaut.org

Friday, May 27, 2022