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Startseite ›Afghanistan: Der Rückzug der USA und ihrer Verbündeten
Es ist fast zwanzig Jahre her, seit George W. Bush nach der Weigerung der Taliban Osama Bin Laden als Drahtzieher der Anschläge des 11. September auszuliefern, am 7. Oktober 2001 den Einmarsch in Afghanistan ankündigte. Seine "Rede an die Nation" endete mit den Worten:
„Der Kampf wird jetzt an vielen Fronten geführt. Wir werden nicht zögern, wir werden nicht müde werden, wir werden nicht zaudern und wir werden nicht versagen. Frieden und Freiheit werden obsiegen.“
Wie hohl diese Rhetorik heute wirkt. Und wie hohl die derzeitigen Versuche, diese bedeutende Niederlage des US-Imperialismus schönzureden...
„Das gängige immer wiederholte Narrativ hinsichtlich des Rückzugs der USA aus Afghanistan besagt, dass Washington der Rolle eines Weltpolizisten überdrüssig sei, nicht mehr das Leben seiner Soldaten in aller Welt aufs Spiel setzen und Milliarden für die Finanzierung von Nato-Operationen ausgeben wolle. Nichts liegt der Wahrheit ferner.
Die USA ziehen sich zurück, weil sie besiegt worden sind und nicht weil sie ihre Ziele erreicht hätten, wie Biden behauptet. Nach 20 Jahren Krieg, 2.000 Toten und 2.000 Milliarden Dollar Militärausgaben müssen sie in Afghanistan den Taliban und auf der internationalen Ebene China, Russland und der Türkei das Feld überlassen ohne im imperialistischen Machtspiel den geringsten Vorteil erlangt zu haben. Diejenigen, die argumentieren, dass ein "gerechtfertigter" amerikanischer Rückzug, einschließlich des Plans einer "Exit-Strategie" aus Afghanistan, ein taktischer Schachzug gegen China sei, irren sich gewaltig. Es stimmt zwar, dass China der strategische Feind Nr. 1 ist, sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft, aber das Pentagon hat nicht mehr die Stärke, die es noch vor einigen Jahrzehnten hatte. Die US-Wirtschaft dominiert den Weltmarkt nicht mehr wie früher, ihre Handelsbilanz steckt tief in den roten Zahlen. Die Krise der niedrigen Profitraten, bzw. die Verwertungsprobleme des in die Produktion investierten Kapitals hat die Finanzspekulation gefördert und die Realwirtschaft unter Druck gesetzt, so dass die Kosten für die Rolle des Weltpolizisten als weltweit wichtigstes imperialistisches Land allmählich untragbar werden. Daher ist es besser, sich aus gefährlichen Gebieten zurückzuziehen, in denen eine Niederlage das einzige Ergebnis sein kann (Irak, Syrien und Afghanistan), um sich auf begrenztere, aber strategisch wichtigere Ziele wie China zu konzentrieren. Das ist etwas ganz anderes als die bisherigen Märchengeschichten. Der Abzug der USA aus Afghanistan ermöglicht jedoch auch Peking, Vereinbarungen mit den Taliban zu treffen: Im Gegenzug für politische Anerkennung und "großzügige" Finanzmittel für den Wiederaufbau Afghanistans nach dreißig Jahren Krieg werden sie sich nicht mehr in den Kampf gegen die muslimischen Uiguren in Chinas Provinz Xinjiang einmischen. Darüber hinaus haben russische Energieprodukte nun einen leichteren Zugang nach China und Indien, und die Türkei kann sich als Verhandlungsmacht im zentralasiatischen Raum präsentieren, indem sie ein Treffen der Taliban und ihrer Gegner in Istanbul organisiert. Was mit dem afghanischen Volk und insbesondere den Frauen geschehen wird, interessiert Biden nicht. Nachdem er es versäumt hatte, eine verbündete Marionettenregierung zu unterstützen, gab der amerikanische Präsident den Befehl zum Rückzug und mobilisierte Tausende von Soldaten um diese letzte beschämende Aktion zu decken.“
So schrieben unsere italienischen GenossInnen von Battaglia Comunista kurz vor dem Fall Kabuls. Natürlich stimmen wir dem voll und ganz zu. Wir wollen, inmitten all der Kommentare und Propagandafloskeln, die seither die Runde gemacht haben, ein Update geben. Die Medien haben besonders in den USA die Rolle Bidens hervorgehoben. Trump hat nicht gezögert, das Chaos auf dem Kabuler Flughafen propagandistisch auszuschlachten, um Bidens Kompetenz infrage zu stellen. Doch das lenkt vom Hauptstrang der ganzen Geschichte ab. Wie wir bereits vor über zehn Jahren in unserem Artikel „Afghanistan im Fadenkreuz imperialistischer Ambitionen“ angedeutet haben, war das Projekt „Operation Enduring Freedom" faktisch schon lange beendet. (Obama verkündete 2014 sein Ende, weil es eindeutig gescheitert war). Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass die US-Invasion nur eine Reihe von korrupten Regierungen hervorgebracht hatte, die aus zusammengewürfelten Stammesfraktionen bestanden. Sie bereicherten sich emsig an dem Geld, das eigentlich nach Afghanistan floss, um dort eine Armee zur Abwehr der Taliban aufzubauen. Die Taliban machen sich jetzt einen Spaß daraus, Videos von den Innenräumen ihrer verlassenen Luxusvillen in den Außenbezirken von Mazar-i-Sharif, Kabul und anderen Städten zu veröffentlichen. Von größerer Bedeutung ist die Tatsache, dass durch diese Korruption die Größe der afghanischen Armee stark überschätzt wurde. Die von offiziellen Stellen veranschlagten Soldzahlungen für eine angeblich 100 000 Mann starke Armee entpuppten sich als eine Investition in "Phantomsoldaten“
Dies ist nicht einfach eine Wiederholung des Abzugs aus Saigon im Jahr 1975. Damals hatten die USA den Abzug ihrer Truppen faktisch schon zwei Jahre zuvor eingeleitet. Dieser Rückzug ist weitaus verzweifelter und historisch bedeutsamer. Das US-Militär plante das Land erst Ende dieses Monats vollständig zu verlassen, wurde aber von der Geschwindigkeit des Vorrückens der Taliban völlig überrumpelt und überrascht. Doch trotz aller Ablenkungsmanöver wurde dieses zweite schmachvolle Scheitern der USA ein marodes Marionettenregime zu stützen bereits durch Trump eingeleitet. Die Trump-Administration hat 2018 viele gefangene Taliban freigelassen (wie Abdul Ghani Baradur, einer der vier Gründungsmitglieder der Taliban, der seit 2010 inhaftiert war), um zu einem "Deal" mit den Taliban zu kommen. Dieser kam mit dem Abkommen von Doha (Katar) zustande, das im Februar 2020 von US-Außenminister Mike Pompeo und dem Islamischen Emirat Afghanistan (so der offizielle Name des Talibanregimes) unter Führung von Mullah Abdul Hakeem und Abdul Ghani Baradur unterzeichnet wurde. Es enthielt drei wesentliche Bestimmungen. Wir geben sie im Folgenden wortwörtlich wieder:
„1. Die Vereinigten Staaten verpflichten sich, alle militärischen Streitkräfte der Vereinigten Staaten, ihrer Verbündeten und Koalitionspartner, einschließlich des gesamten nicht-diplomatischen Zivilpersonals, der privaten Sicherheitsunternehmen, der Ausbilder, der Berater und des Personals der unterstützenden Dienste innerhalb von vierzehn Monaten nach Bekanntgabe dieses Abkommens aus Afghanistan abzuziehen.
2. Die Vereinigten Staaten und das Islamische Emirat Afghanistan, das von den Vereinigten Staaten nicht als Staat anerkannt wird und unter dem Namen Taliban bekannt ist, streben positive Beziehungen zueinander an und erwarten, dass die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der neuen islamischen afghanischen Regierung nach der Beilegung des Konflikts, wie sie durch den innerafghanischen Dialog und die Verhandlungen bestimmt wird, positiv sein werden.
3. Die Vereinigten Staaten werden sich um eine wirtschaftliche Zusammenarbeit für den Wiederaufbau mit der neuen islamischen afghanischen Regierung in diesem Prozess bemühen, wie sie durch den innerafghanischen Dialog und die Verhandlungen festgelegt wird, und werden sich nicht in deren innere Angelegenheiten einmischen.“
Es ist klar, dass dies nicht nur ein Verzicht auf jegliches Mitspracherecht der USA in die Angelegenheiten Afghanistans ist. Gleichzeitig wurde die Vorstellung begraben, dass der damalige Präsident der Kabuler Regierung Gahni in der Nachkriegsordnung überhaupt noch eine Rolle spielen könne. Es war ein Blankoscheck für die Übernahme der Macht durch die Taliban, da alle anderen Bedingungen auf reinem Wunschdenken beruhten. Biden und Trump waren sich im Kern einig, dass die USA keine "ewigen Kriege" mehr führen sollten, und so setzte Biden die Politik der vorherigen Regierung fort. Er blieb tatsächlich zwei Monate länger in Afghanistan als in dieser Vereinbarung vorgesehen. Doch es war absehbar, dass der Truppenabzug stümperhaft sein würde. Die US-Streitkräfte verachteten ihre afghanischen Verbündeten so sehr, dass sie den Luftwaffenstützpunkt Bagram ohne jede Vorkehrungen und Warnungen an diese verließen. Als die afghanischen Regierungstruppen dort eintrafen, war der Stützpunkt bereits geplündert. Den Taliban fielen dort und anderswo hochentwickelte Waffensystem in die Hände.
Die Taliban hingegen nutzten die achtzehn Monate nach Unterzeichnung des Abkommens von Katar um ihre Machtübernahme vorzubereiten, die durch lokale Verhandlungen und mit so wenig Kämpfen wie möglich erfolgen sollte. Eine afghanische Armee, die von ihrem wichtigsten Verbündeten im Stich gelassen wurde, sollte für ein korruptes Regime kämpfen und sterben (das kaum Anstrengungen unternahm, die verschiedenen Warlords einzubinden, die in der Vergangenheit die Taliban in Schach gehalten hatten, die aber von Präsident Ghani verachtet wurden). Sie wurden aufgefordert, ein Abkommen einzuhalten, das ihnen keine Zukunft bot, und setzten sich daher einfach ab. Es gab nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnte.
Was Afghanistan selbst betrifft, so wird vor allem über das Schicksal derjenigen spekuliert, die sich den Taliban wiedersetzten, sowie über die Zukunft von Frauen und „Minderheiten" wie den schiitischen Hazara, deren führende Repräsentanten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan seit zwei Jahrzehnten regelmäßig von den Taliban und anderen Salafisten ermordet werden. Die Taliban sind vorwiegend Paschtunen. Doch Paschtu wird nur von knapp der Hälfte der Bevölkerung gesprochen. Vor 2001 hatten die Taliban nie die volle Kontrolle über das ganze Land. (Das hatte in der Geschichte Afghanistan bisher niemand). Es scheint, dass die Taliban derzeit eine klügere PR-Strategie verfolgen als während ihrer Regierungszeit in Kabul. Sie behaupten, dass ehemaligen Gegnern Amnestie gewährt werde, fordern Regierungsbeamte auf, ihre Ämter wieder zu übernehmen, und erklären, dass Frauen Rechte gewährt werden würden (ominöser Weise aber nur "solche, die mit dem islamischen Recht und den lokalen Bräuchen übereinstimmen"). Die Tatsachen vor Ort legen nahe, dass dies nur leere Worte sind, die allenfalls für die Weltpresse bestimmt sind. Taliban-Führer haben die Verhaftung bekannter Gegner in den Medien und der Regierung angeordnet, und Taliban-Kämpfer gehen von Tür zu Tür, um sie aufzuspüren. Wenn sie feststellen, dass sie geflohen sind, töten sie deren Angehörige. Mädchen wurden bereits zur „Heirat" mit Taliban-Kämpfern gezwungen, und einige Frauen wurden bereits ausgepeitscht, nur weil sie sich außerhalb des Hauses aufgehalten hatten.
Bevor wir jedoch die bevorstehende humanitäre Katastrophe eingehen, sollten wir uns auch daran erinnern, was in den letzten 20 Jahren im Namen von "Demokratie und Freiheit" (also den imperialistischen Interessen der USA und ihrer NATO-Verbündeten) passiert ist:
„Etwa 241.000 Menschen wurden seit 2001 im Kriegsgebiet Afghanistan und Pakistan getötet. Mehr als 71.000 der Getöteten waren zivile Opfer.“ (1)
Allein im Jahr 2019 starben 42.000 Zivilisten (2), was Afghanistan zum tödlichsten Konfliktherd der Welt macht. Der soeben zitierte Bericht des Watson Institute an der Brown University in den USA kommt zu dem Schluss, dass der massive Anstieg der zivilen Opfer vor allem auf eine Lockerung der US-Einsatzregeln für Luftangriffe in Afghanistan im Jahr 2017 zurückzuführen ist (wenngleich die von den Taliban und anderen Salafisten ausgeführten Sprengstoffanschläge ebenfalls eine Rolle spielten).
Ferner wird in dem besagten Bericht festgestellt, dass
„Die CIA afghanische Milizen bewaffnete und finanzierte, die für schwere Menschenrechtsverletzungen und die Ermordung von Zivilisten verantwortlich waren.“
Dazu gehörte auch die afghanische Polizei,_„eine 30.000 Mann starke regierungsnahe Miliz, die von den USA aufgestellt wurde, die Zivilisten ermordete und in Betrugsfälle, Diebstahl, Vergewaltigung, Entführung, Drogenhandel und Erpressung verstrickt war.“(3)
Amnesty International zeichnet im Bericht zur Lage in Afghanistan im Jahr 2020 ein noch düstereres Bild. Während etwa die Hälfte der zivilen Opfer den Taliban und anderen islamischen Extremistengruppen zugeschrieben werden können, hat sich das Leben der meisten Afghanen in den letzten zwei Jahrzehnten verschlechtert:
„Kinder wurden nach wie vor für den Kampf rekrutiert, insbesondere von bewaffneten Gruppen und den afghanischen Sicherheitskräften - regierungsnahen Milizen und der örtlichen Polizei. Sie waren zahlreichen Misshandlungen, einschließlich sexuellen Missbrauchs, ausgesetzt. Afghanistan ist nach wie vor `eines der tödlichsten Länder für Kinder`, wobei sowohl regierungsnahe als auch regierungsfeindliche Kräfte für jeweils mehr als 700 Opfer verantwortlich sind. Im Oktober gab der Erste Vizepräsident Amrullah Saleh bekannt, dass er die Verhaftung einer Person anordnete, die über zivile Opfer bei einem Luftangriff der afghanischen Regierung auf eine Schule berichtete, bei dem 12 Kinder getötet worden waren. Später berichtete der Sprecher des Gouverneurs der Provinz Takhar, dass er seines Amtes enthoben wurde, weil er über Opfer unter der Zivilbevölkerung berichtet hatte, die auf das Konto der afghanischen Sicherheitskräfte gingen.“ (4)
Im besagten Bericht heißt es weiter:„Obwohl der sexuelle Missbrauch von Kindern in der Öffentlichkeit bekannt ist und die missbräuchliche Praxis des "bacha bazi" (sexueller Missbrauch von Jungen durch ältere Männer) 2018 unter Strafe gestellt wurde, haben die Behörden kaum Anstrengungen unternommen, die Straffreiheit zu beenden und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.“
Es sind bei weitem nicht nur die Taliban, die Frauen unterdrücken. Während das "fortschrittliche" internationale Erscheinungsbild der afghanischen Regierung auf den rund 60 für Frauen reservierten Sitzen im Parlament basiert, waren „die wenigen Frauen in der Regierung in der Praxis Einschüchterungen, Schikanen und Diskriminierungen ausgesetzt. Sie hatten keinen gleichberechtigten Zugang zu den Büroressourcen wie ihre männlichen Kollegen, und Überstunden deren Bezahlung ihnen oft verweigert wurde."
2 Millionen Mädchen gehen immer noch nicht zur Schule, und die Taliban sind nicht die einzige Kraft, die diejenigen angreift, die für die Rechte der Frauen eintreten:
„MenschenrechtsaktivistInnen wurden weiterhin angegriffen und waren Einschüchterungen, Gewalt und Tötungen ausgesetzt. Im März griffen Regierungsbeamte in der Provinz Helmand MenschenrechtsaktivistInnen, die Korruptionsvorwürfe erhoben hatten, körperlich an. Sie mussten wegen ihrer Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden. Im Mai wurde Mohammad Ibrahim Ebrat, ein Vermittler der Gemeinsamen Arbeitsgruppe der Zivilgesellschaft, in der Provinz Zabul von unbekannten Bewaffneten angegriffen und verletzt. Er erlag anschließend seinen Verletzungen. Im Juni wurden zwei MitarbeiterInnen der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission, Fatima Khalil und Jawad Folad, bei einem Anschlag auf ihr Auto in Kabul getötet.“
Insgesamt hat der Krieg Afghanistan "mit Blindgängern verseucht, die Zehntausende von AfghanInnen, insbesondere Kinder bei der Verrichtung ihrer täglichen Arbeit töten und verletzen.“ Und er hat auch „die Auswirkungen von Armut, Unterernährung, schlechten sanitären Verhältnissen, fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung und Umweltzerstörung auf die Gesundheit der Afghanen verschärft.“ (5)
So viel zu den Vorteilen der "Freiheit", die der Westen versprochen hat. Da die Taliban jetzt das Sagen haben, wird sich diese Situation nicht zum Besseren wenden, und die meisten derjenigen, die sich an den Fahrgestellen der US-Transportflugzeuge auf dem Flughafen von Kabul festklammern ist dies schmerzlich bewusst. Die Tatsache, dass die USA und die NATO-Staaten nicht einmal die Sicherheit derer garantieren können, die sie beschäftigt haben, ist vielleicht die beschämende Krönung eines katastrophalen imperialistischen Abenteuers. Sie sind nicht die ersten Imperialisten, die feststellen, dass Afghanistan der Friedhof ihrer Ambitionen ist.
Bereits 1857 schrieb Engels über die Schwierigkeiten der Briten, im Ersten Afghanischen Krieg (1839-42) die Kontrolle über das Land zu erlangen.(6) Leonid Breschnew hätte sein Werk lesen sollen, bevor er sich auf die Besetzung des Landes durch die Rote Armee (1979-89) einließ, ein Ereignis, das den Niedergang der UdSSR als imperialistische Macht sowohl unterstrich als auch beschleunigte. Die Ironie besteht darin, dass es die finanzielle und militärische Unterstützung der USA durch den pakistanischen Militärgeheimdienst „Inter-Services Intelligence“ (ISI) für die Mudschaheddin war, die schließlich den Weg für den Aufstieg der Taliban ebnete (ebenso wie der Sturz von Saddam Hussein zur Entstehung des sunnitischen Widerstands führte, der später das Rückgrat von Daesh (bzw. ISIS) bildete). Die Taliban sind aus den pakistanischen Madrassas hervorgingen, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls unter dem Einfluss der wahhabitischen Version des Islam von Saudi-Arabien standen. Saudi-Arabien bewaffnete die Taliban in dem Bürgerkrieg, der auf den Abzug der Sowjetunion folgte, und lieferte ihnen sogar Verstärkung. Die meisten der Selbstmordattentäter vom 11. September 2001 waren (wie Osama bin Laden selbst) saudische Staatsbürger, aber die USA hatten seit 1945 einen „Teufelspakt“ mit Saudi-Arabien geschlossen (Öl im Gegenzug für den Schutz der USA), weshalb ihre Rolle heruntergespielt wurde. Trotz dieser und vieler anderer Spannungen hat dieses Zweckbündnis überlebt. Öl ist für die USA nicht mehr so wichtig wie früher, da sie sich bei Bedarf wieder selbst versorgen können. Der Kitt der saudi-amerikanischen Beziehungen ist jetzt der gemeinsame Kampf gegen den Iran.
Das bringt uns zur Bedeutung des jüngsten imperialistischen Debakels der USA und ihrer NATO-Verbündeten. Imran Khan, der pakistanische Premierminister, hat aus seiner Freude über die Ereignisse in Afghanistan keinen Hehl gemacht. Die Afghanen, sagte er, hätten „die Fesseln der Sklaverei gesprengt". Imran Khan ist eine Marionette der pakistanischen Armee, und es ist kein Geheimnis, dass die Taliban in Pakistan nicht nur Unterschlupf gefunden haben und dort Geschäfte machen konnten, sondern dass der pakistanische Geheimdienst ISI auch Geld an die Taliban weitergeleitet hat (das er ursprünglich von der CIA erhalten hatten). Hamid Gul, ein ehemaliger ISI-Chef, verkündete 2014 sogar im Fernsehen: „Wenn die Geschichte geschrieben wird, wird es heißen, dass der ISI mit Hilfe Amerikas die Sowjetunion in Afghanistan besiegt hat, dann wird es einen weiteren Satz geben. Der ISI hat mit Hilfe Amerikas Amerika besiegt." (7) Noch bedeutsamer für das künftige imperialistische Kräfteverhältnis ist, dass Khan offen erklärte, dass Pakistans Verbundenheit mit China stärker sei, da die USA nun zu sehr mit Modis Indien verbündet seien (das während der Regierung Ghani an Einfluss in Kabul gewonnen hatte). Angesichts der andauernden Grenzstreitigkeiten Indiens mit Pakistan und China in Kaschmir und im Himalaya dürfte sich der Kampf in Zentralasien also eher zuspitzen. Und alle diese Staaten sind Atommächte.
Die Position des Irans ist zweideutiger. Die iranische Führung freut sich über die jüngste Demütigung der USA, aber die Intoleranz der Taliban gegenüber schiitischen MuslimInnen hat dazu geführt, dass Tausende in den Iran geflohen sind, was die ohnehin schon dramatische Wirtschaftskrise weiter verschärft. Letztes Jahr hat der Iran 700.000 Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgeschickt, aber da er nun Teil der chinesischen "Belt and Road"-Strategie ist, könnte er angesichts des kürzlich mit China unterzeichneten 25-Jahres-Vertrags(8) bei den Taliban noch ein paar Trümpfe in der Hand haben. Dies ist umso wahrscheinlicher, als die Gelder der afghanischen Zentralbank in New York deponiert sind. Dies (und die Möglichkeit, IWF-Gelder zurückzuhalten) bleiben für die USA die letzten Druckmittel gegenüber den Taliban. Letztere werden daher zumindest kurzfristig finanzielle Unterstützung von irgendwoher benötigen, und der wahrscheinlichste Geldgeber ist China. Wie unsere italienischen Genossinnen und Genossen bereits ausführten, wird die Gegenleistung darin bestehen, dass die Taliban hinsichtlich der Behandlung ihrer uigurischen Glaubensbrüder in Xinjiang schweigen. China hat seit fast zwei Jahrzehnten ein Auge auf Lithium, Kupfer und andere Bodenschätze wie seltene Erden in Afghanistan geworfen und verfügt über die Mittel, diese abzubauen. Diese Ressourcen sollen im Überfluss vorhanden sein und würden sowohl die militärischen als auch die industriellen Kapazitäten des Landes stärken, doch für die Taliban dürfte es noch eine Weile dauern, bis sich diese Ressourcen rentieren. Die Entwicklung einer chinesischen Achse durch Eurasien ist jedoch wahrscheinlicher als je zuvor. Ein Indiz dafür ist, dass Pakistan, China und Russland die einzigen Staaten sind, die seit der Machtübernahme durch die Taliban noch Botschaften in Kabul unterhalten.
Für die USA wird das Desaster noch dadurch verschlimmert, dass sie ihre NATO-Verbündeten kaum konsultiert haben, bevor sie das Datum ihres Abzugs aus Afghanistan bekannt gaben. Dadurch trat die militärische Abhängigkeit anderer Mächte, wie Großbritannien und Deutschland offen zutage. Sie hatten keine andere Wahl, als mit den USA abzuziehen. In den vier Jahren Trump, in denen "America First" bedeutete, dass die Verbündeten an letzter Stelle standen, wurde dem „westlichen Bündnis" ein großer Schaden zugefügt. Biden kam ins Oval Office und verkündete, dass „Amerika zurück" sei, aber seine Aktionen in Afghanistan haben wenig dazu beigetragen, die Verbündeten davon zu überzeugen, dass dies der Fall ist. Angesichts der Entwicklung der imperialistischen Konstellationen ist das Letzte, was die USA brauchen, Uneinigkeit in den eigenen Reihen.
In der Zwischenzeit hat China die Pandemie genutzt, um seine Raketentechnologie auszubauen, und in der Woche, in der die Taliban die Macht übernahmen, drangen absichtlich Kampfjets in den Luftraum Taiwans ein. Dies ist nur die jüngste in einer Reihe von Provokationen, die jedoch durch die Wahrnehmung der Schwäche der USA noch verstärkt wird. Die Welt, die bereits voller barbarischer Konflikte ist, ist damit ein noch gefährlicherer Ort geworden. Die ArbeiterInnenklasse wird überall den Preis zu zahlen haben, solange sie gespalten und desorganisiert ist. Die ArbeiterInnen haben, wie Marx betonte, kein Vaterland. Sie haben kein Eigentum, für das sie kämpfen könnten, und schon gar keine imperialistische Macht, die sie unterstützen könnten. Wir überlassen es den verschiedenen Fraktionen der kapitalistischen Linken und Rechten, ihre Unterstützung für einen nicht existierenden "Antiimperialismus" zu proklamieren. Der einzige wirkliche antiimperialistische Kampf ist der Kampf der ArbeiterInnenklasse zur Beendigung des Kapitalismus in all seinen Formen. Solange dieser nicht Gestalt annimmt, wird uns der Kapitalismus weiter auf einem langen, langsamen Weg zu noch größeren Konflikten führen. No War but the Class War!
Jock
(1) Siehe watson.brown.edu
(5) Siehe dazu: watson.brown.edu
(6) Siehe dazu MEW, Bd. 14, Seite 73-82.
(8) Dazu unser jüngster Artikel: “China-Iran Accords, the Silk Road and Some Other Imperialist Manoeuvres” in Revolutionary Perspectives #18, Series 4. leftcom.org
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