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Startseite ›Die Revolte in Myanmar
Seit dem 1. Januar finden auf den Straßen Myanmars (Birma) fast täglich Demonstrationen statt. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war der Putsch der Armee, der die Präsidentin Aung San Suu Kyi stürzte und ihre Partei (NLD) durch harte Repression handlungsunfähig machte. Proteste die „Freiheit und Demokratie“ forderten, wurden hart unterdrückt. Dies hat sich in einem Land, in dem die Armee seit jeher die politische und wirtschaftliche Szenerie beherrscht, mehrfach wiederholt.
Suu Kyi war am 14. Dezember 2020 mit einer hohen, wenn auch geringeren Wahlbeteiligung als bei der Wahl 2015 wiedergewählt worden. Sie versuchte, einen Prozess der Demokratisierung einzuleiten, stieß aber immer wieder auf die Macht des Militärs, das laut Verfassung 25% der Parlamentssitze und drei Ministerien für sich reklamieren kann.
Die Spitzenkader der Armee sind die stärkste Wirtschafts- und Finanzmacht im Land. Sie besitzen Banken und Industrien und verwalten die größten Handelsnetze. Sie hätten nie und nimmer zugelassen, dass Suu-Kyis-Reformen ihre Macht untergraben. Gleichzeitig muss angemerkt werden, dass die "Demokratin" und Möchtegern-Reformerin das politische System nie frontal angegangen ist. Sie hat es stets vermieden Maßnahmen zu ergreifen, die die Militärkaste allzu sehr verärgert hätten. Stattdessen ist sie immer mit eiserner Faust gegen die ethnischen und religiösen Minderheiten des Landes vorgegangen ist. Ein Beispiel dafür ist die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Rohingya, die zur Flucht gezwungen oder in Gefangenenlagern leben musste.
Warum also der Putsch? Die ehemalige Friedensnobelpreisträgerin verhielt sich keineswegs wie eine Revolutionärin. Sie stellte weder die Gesetze des Kapitalismus in Myanmar in Frage, noch ließ sie sich auf ein hartes Tauziehen mit dem Militär ein. Im Gegenteil, sie übernahm die "Drecksarbeit", und ging gegen die Autonomieansprüche der Rohingya und anderer Gruppen in den nördlichen Landesteilen vor. Sie war schwach bei den Starken und stark bei den Schwachen. Diese Haltung hat ihr persönliches Ansehen zwar geschmälert, dennoch konnte sie eine ausreichend hohe Zustimmungsrate aufrechterhalten.
Die Gründe für den Putsch lagen, wie so oft in dieser Region, in der Angst der herrschenden Klasse, dass die Straßendemonstrationen für mehr Demokratie, in etwas Radikaleres übergehen könnten. Außerdem hat sich die ohnehin schon prekäre wirtschaftliche Situation Myanmars durch die Pandemie dramatisch verschlechtert.
Es gibt nur wenig Industrie, die Hälfte der Landwirtschaft ist kaum entwickelt. Hinzu kommen nur spärliche ausländischen Investitionen und eine starre Finanzstruktur, die von den Militärhierarchien kontrolliert wird. Das Bruttosozialprodukt ist um 30 % gesunken, die ohnehin schon hohe Arbeitslosigkeit hat ein dramatisches Niveau erreicht. Angesichts mangelnder Investitionen und geringer Produktivität nehmen Spekulation und Korruption zu. Das wenige inländische Kapital ist ins Ausland abgewandert und die Verarmung wächst exponentiell. (Daten will die Regierung dazu nicht veröffentlichen.) Nach Angaben des IWF entsteht in Myanmar eine alarmierende humanitäre und gesundheitliche Krise, die bereits Hunderttausende zur Auswanderung nach Bangladesch oder Thailand gezwungen hat.
In den Augen des Militärs war Präsidentin Aung San Suu Kyi nicht in der Lage, die ernste innenpolitische Lage unter Kontrolle zu bekommen. Folgerichtig wurde sie unter Hausarrest gestellt und allerlei Anschuldigungen gegen sie erhoben. Damit wurde ihr die Möglichkeit genommen, im kritischen Moment zu handeln. Währenddessen befassen sie sich mit den Demonstrationen, die auf eine Agenda demokratischer Forderungen festgelegt wurden. So werden die Massen von anderen potentiellen wirtschaftlichen und politischen Forderungen abgelenkt, die den Militärs viel größere Probleme bereiten würden.
Hinzu kommt jedoch, dass obwohl Myanmar wirtschaftlich sehr schwach und politisch von einer Protestwelle gegen die Putschregierung erschüttert wird, aufgrund seiner strategischen Lage für die gefräßigsten internationalen Imperialismen von Interesse ist.
Unmittelbar nach dem Militärputsch forderten die USA, noch unter der scheidenden Trump-Administration, die UNO auf, eine Resolution zur Verurteilung und für ein Embargo Myanmars zu verabschieden, was mit den Stimmen Chinas und Russlands abgelehnt wurde.
Für die USA steht in ihrer Frontstellung zu China die Kontrolle über das Südchinesische Meer, die Insel Taiwan, den Golf von Bengalen auf dem Spiel. Russland, das immer noch unter amerikanischem Embargo steht und gegen Washington wegen Nord Stream 2 und in allen internationalen strategischen Bereichen kämpft, ließ sich die Chance nicht entgehen, dem amerikanischen Imperialismus einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Für China hingegen stellt Myanmar ein Pfand von besonderer Bedeutung dar. Peking hat drei wichtige Ziele. Das erste ist die Fertigstellung des „Wirtschaftskorridors China-Myanmar“, durch den es Zugang zum Indischen Ozean erhält, unter Umgehung der Straße von Malakka, die seit jeher von der US-Marine kontrolliert wird. Das zweite Ziel ist die Möglichkeit, Myanmars Bodenschätze auszubeuten. Drittens sollen die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit Myanmar im Gleichgewicht gehalten werden, das nach Singapur ein wichtiger Handelspartner insbesondere in Bezug auf Investitionen ist. Darüber hinaus ist Myanmar für das Projekt "einer neuen Seidenstraße" von großer strategischer Bedeutung. Dieses zielt darauf ab, einen Exportstrom durch Asien nach Europa zu schaffen, der von "traditionellen" Primärgütern bis zu Hightech-Instrumenten, vom Waffenverkauf bis zum Kapitalexport, von Elektroautos bis zu den modernsten Grabungs- und Fördermaschinen reicht. Darüber hinaus will Peking versuchen, den Renminbi als Tauschwährung für seine Waren und Technologien durchzusetzen, um so in der Lage zu sein, andere internationale Währungen bei der spekulativen Anwerbung des anderswo produzierten Mehrwerts zu ersetzen, also ausländisches Kapital mit chinesischen Finanzanlagen anzuziehen und somit letztendlich die einzige imperialistische Macht zu sein, die dem Dollar und dem US-Imperialismus gegenübersteht.
Um dies Ziel zu erreichen, braucht Peking Stützpunkte und politische Verbindungen entlang der Seidenstraße. Wie im Mittelalter, als es Karawansereien entlang dieser Route gab, braucht es heute Militärbasen, beherbergende Länder, Regierungen, die man unterstützen oder korrumpieren kann. Ein breites Netzwerk von Bündnissen, das mit allen Mitteln gehegt und gepflegt werden muss.
Die Bündnisse mit Katar und dem Iran sowie die Annäherung an Saudi-Arabien sollten in diesem Kontext gesehen werden. In Asien bietet sich nach Pakistan, das bereits unter der "schützenden Hand" Pekings steht, nun die Gelegenheit, sich Myanmar durch die diplomatische Verteidigung gegen die Embargovorschläge der USA und ihrer westlichen Verbündeten weiter anzunähern.
Deshalb haben die Militärs entschieden, dass der Putsch der sicherste Weg sei, um ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen zu retten. Sie können die Proteste für die Demokratie "tolerieren", sofern sie im Rahmen des Systems bleiben, solange sie sich auf Slogans und das Vorbeimarschieren an den Palästen der Macht beschränken. Gehen sie darüber hinaus, wird die Repression entfesselt, und zwar umso heftiger, je virulenter der Protest sich entwickelt.
Aus diesem Grund hat sich China auch sofort gegen die von den USA geforderte Sanktionierung des Militärregimes ausgesprochen. Darüber hinaus führt Myanmar in diesem Jahr den Vorsitz bei den Gesprächen zwischen China und der „Association of Southeast Asian Nations“ (ASEAN) über die strategische Rolle der Kontrolle des Mekong-Flusses, der in Tibet entspringt und in das Südchinesische Meer mündet. Peking hat diesen Fluss schon immer auf Kosten seiner Nachbarn exzessiv genutzt. Dann ist da noch der Streit um die Aufteilung des Südchinesischen Meeres durch China, Taiwan, Vietnam, die Philippinen, Brunei, Indonesien und Malaysia. Peking will 90% der Kontrolle über das Meer für sich, um u.a. den Bau von künstlichen Inseln für militärische Zwecke voranzutreiben. Die Unterstützung der Militärdiktatur in Myanmar ist eine optimale Gelegenheit, diese Projekte zu einer für Peking günstigen Lösung zu bringen
Daraus ergibt sich, dass „Diktaturen“ und "demokratische" Regime zwei Seiten derselben Medaille sind, dass ihr Wechsel von wirtschaftlichen Zyklen abhängt und von den Krisen und sozialen Spannungen, die sie erzeugen.
Aber wenn diesen sozialen Auseinandersetzungen, selbst wenn sie entschlossen und militant ausgetragen werden, keine Taktik, Strategie und praktische Organisation zugrunde liegt, die auf die Alternative zum kapitalistischen System ausgerichtet sind, ist es unausweichlich, dass sie vom System wieder absorbiert und/oder brutal unterdrückt werden. Ferner sind die Fraktionen der Bourgeoisie, die im zivilen Gewand auftreten und möglicherweise an die Stelle des Militärs treten können, dazu bestimmt in der Geiselhaft imperialistischer Auseinandersetzungen zu enden. Aufgrund ihrer Schwäche können sie nur als Werkzeuge im Rahmen der wirtschaftlichen und finanziellen Herrschafts- und Kräfteverhältnisse agieren.
In einer kapitalistisch verfassten Welt heizten von jeher tiefen Krisen wie die gegenwärtige Pandemie den Konkurrenzkampf der imperialistischen Zentren an. Die Stärksten drängen sich den Schwächsten auf und legen gemeinsam das Proletariat in Ketten.
Diese Krisen werden so weit wie möglich durch Abhängigkeitsverhältnisse und Korruption im Zaum gehalten, und wenn der Raum dafür enger wird, durch lokale Kriege und Stellvertreterkonflikte bewältigt.
Bevor diese Welt zu einem Trümmerhaufen wird und in einem globalen Gemetzel versinkt, welches die Voraussetzung für eine nachfolgende Phase der kapitalistischen Restrukturierung wäre, ist es notwendig, dieser Barbarei ein Ende zu setzen
Wenn sich die Klasse der Lohnarbeiter in Bewegung setzt, wird es darauf ankommen, dass sie sich nicht darauf beschränkt, für die Demokratie und gegen den Faschismus zu kämpfen, das kleinere Übel als verteidigenswerten Erfolg zu akzeptieren. Was wirklich notwendig ist, ist der Kampf gegen das kapitalistische System, der Hauptursache des Elends, der Kampf für die proletarische Revolution und den Kommunismus. (FD)
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