Die „New Economy“ des Kapitalismus: Der Wert kapitalistischer Dienstleistungen

Dieser zweite Artikel in unserer Reihe untersucht, was mit "Dienstleistungen" gemeint ist und welche Schlüsselrolle sie in den reichsten kapitalistischen Staaten spielen, in denen die Abkehr von der Produktion von Waren als unerlässlich für den wirtschaftlichen Fortschritt angesehen wird. Tatsächlich zeigen die Zahlen der Weltbank trotz des Rückschlags des Finanzcrashs von 2007/8, dass „Dienstleistungen" einen höheren Anteil des BIP für die Weltwirtschaft insgesamt ausmachen. Im Vereinigten Königreich wurden 2018 77,4% des BIP auf "Dienstleistungen" zurückgeführt.

Teil Zwei: Der Wert kapitalistischer Dienstleistungen

Einleitung:

Im ersten Teil dieses Artikels (siehe:leftcom.org) haben wir angemerkt, dass vier von fünf Arbeitsplätzen im Vereinigten Königreich nun offiziell als "Dienstleistungen" eingestuft werden. Das Vereinigte Königreich steht an der Spitze einer Tendenz unter den reichsten kapitalistischen Ländern, bei der „Dienstleistungen" einen immer größeren Teil des BIP ausmachen. Image Daraus ergibt sich ein wachsender Konsens unter bürgerlichen Wirtschaftsexperten, insbesondere unter denen die der „angelsächsischen Variante“ anhängen, dass der Dienstleistungssektor heute produktiver ist als die verarbeitende Industrie. Dies ist eindeutig ein ganz anderes Argument als in der Vergangenheit, als Ökonomen behaupteten, dass eine höhere Produktivität im Fertigungssektor es den fortgeschrittenen Ökonomien ermöglichte, die Last eines expandierenden, weniger produktiven Dienstleistungssektors zu tragen. Obwohl die Idee, dass Dienstleistungen die Hauptquelle für den "Mehrwert" in einer Wirtschaft sind, aus marxistischer Sicht Unsinn ist, ist es für die Kapitalisten, die nicht akzeptieren, dass die Arbeit die Quelle allen Wertes ist und die den Wert von allem nach Geld und Preis beurteilen, nur wichtig, dass "Dienstleistungen" anscheinend wirtschaftliches Wachstum erzeugen.

Lohnarbeit ist die wahre Quelle neuen Wertes

Der Begriff "Dienstleistung" definiert für Marx Arbeit, die einen Gebrauchswert für jemand anderen schafft, der bereit ist, dafür zu bezahlen. Diese Definition basiert nicht auf dem "was" geschaffen wird oder auf der besonderen Art der Arbeit, die ausgeführt wird, sondern auf dem Verhältnis des Arbeiters zum Kapital. Der Dienstleistungsarbeiter kann eine Hausangestellte oder ein Kindermädchen sein, das für einen Lohn arbeitet, ein Fensterputzer oder ein Lehrer, der gegen ein festgelegtes Honorar Musikunterricht erteilt, bis hin zu einer ganzen Bandbreite von Anwälten, Predigern, Prostituierten und so weiter. In all diesen und ähnlichen Fällen bringt die Arbeit des "Dienstleisters" etwas Nützliches für den Käufer hervor, der es wiederum direkt aus seinem Einkommen oder seinen Einnahmen bezahlt. Dennoch, wie "wertvoll" die Dienstleistung für den Käufer auch sein mag, im Hinblick auf den allgemeinen Reichtum der Gesellschaft erzeugen sie keinen neuen Wert, da der Empfänger der Dienstleistung für die gesamte bei der Schaffung der Dienstleistung aufgewendete Arbeit bezahlt. In der kapitalistischen Gesellschaft zu Marx' Zeiten war der persönliche Kauf von Dienstleistungen die Norm, aber seine grundlegende Einsicht, dass die Arbeit des Dienstleistungsarbeiters aus Einnahmen oder Einkommen bezahlt wird, gilt auch für spätere fortgeschrittene kapitalistische Ökonomien mit Wohlfahrtssystemen und staatlichen Bürokratien, die aus Steuern finanziert werden. Marx beschrieb Besteuerung als erzwungene Einsparung, und insoweit öffentliche Dienstleistungen - einschließlich der Löhne der Arbeitnehmer - aus Steuern bezahlt werden (die größtenteils vom Lohn der Arbeiter, aber auch von den Gewinnen abgezogen werden), fallen sie unter seine Definition von "Dienstleistungen" - d.h. als Bereitstellung von etwas Nützlichem, in diesem Fall für das Zusammenhalten der kapitalistischen Gesellschaft als Ganzes, das aus den Gesamteinnahmen der Gesellschaft bezahlt wird.

Aus marxistischer Sicht ist die Dienstleistungsarbeit nicht deshalb unproduktiv, weil sie unnötig ist, eher eine Kopfarbeit als eine manuelle Arbeit oder was auch immer für andere subjektive Kriterien, sondern weil kein neuer Wert über die Arbeit hinaus geschaffen wird, die für die Schaffung der Dienstleistung aufgewendet wird. Anders verhält es sich, wenn ein Lohnarbeiter eingestellt wird, um Waren für einen kapitalistischen „Arbeitgeber“ zu produzieren.

In diesem Fall haben sich die Bedingungen für den Verkauf von Arbeitskraft geändert, und die gesamte Beziehung zwischen der Person, die die Arbeit leistet, und demjenigen, der sie beschäftigt, ist anders. Nun kauft der Kapitalist die Arbeitskraft des Lohnarbeiters für eine bestimmte Zeitspanne, während der seine Arbeitskraft zur Herstellung von Waren (Tauschwerten) verwendet wird, die für den Kapitalisten keinen direkten Nutzwert haben, da der einzige Grund für ihre Herstellung darin besteht, dass sie mit Gewinn weiterverkauft werden können. Im Gegensatz zu der persönlichen Bezahlung, die ein Kapitalist für eine Dienstleistung leisten könnte, kommen die Löhne, die ein Unternehmen oder ein Betrieb an seine Waren produzierenden Arbeitskräfte zahlt, aus einem Kapitalfonds, der mit weitaus mehr als den Kosten der Löhne selbst wieder aufgefüllt wird, sobald die Gewinne für die verkauften Waren realisiert werden. Dies ist nur möglich, weil die Arbeiterinnen und Arbeiter gezwungen sind, länger zu arbeiten und mehr Waren zu produzieren, als wenn sie einfach Waren im Wert ihres Lohns reproduzieren würden. So kann ein Arbeiter in einer Lebensmittelfabrik beispielsweise einen halben Tag benötigen, um Waren im Wert ihres Lohns zu produzieren, aber die Arbeitswoche beträgt fünf Tage. Der Wert der Waren, die der Arbeiter während der verbleibenden viereinhalb Tage produziert, wird vom Kapital als Naturrecht beansprucht, das nicht erkennt, dass dieser unbezahlte Mehrwert die Quelle des Kapitalwachstums ist. Hier ist für Marx "produktive Arbeit" also: Arbeit, die nicht nur zur Herstellung eines Gebrauchswertes eingesetzt wird, sondern die Waren (Tauschwerte) produziert und dabei einen Mehrwert über den Wert der Löhne hinaus erzeugt. Der Kapitalismus leugnet heute noch mehr als zu Marx' Zeiten, dass Arbeit die Quelle des Wertes ist. Für die Kapitalisten ist es das Kapital, das neue Werte produziert, obwohl sie nicht erklären können, wie dies geschieht. Es ist daher nicht überraschend, dass ihre Definition von Dienstleistungsarbeit nicht mit der von Marx übereinstimmt und, wie wir sehen werden, sowohl unproduktive und wertproduzierende Arbeitskraft als auch andere Kategorien unproduktiver Arbeit, insbesondere ArbeiterInnen im Einzelhandel und in Banken, die mit der Zirkulation von Kapital und Waren verbunden sind, einschließt.

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Wenn wir diesen Auszug aus einer offiziellen Tabelle als eine mehr oder weniger aktuelle Darstellung der britischen Arbeiterschaft nehmen, können wir feststellen, dass diese Kategorien weder mit der Marx'schen Definition von Dienstleistungen noch mit der marxistischen Unterscheidung zwischen produktiven und unproduktiven Arbeitnehmern übereinstimmen. Für das Office of National Statistics [ONS] werden fünf der neun Kategorien von Arbeitsplätzen als "Dienstleistungen" definiert. Wenn wir dagegen nach marxistischen Kriterien annehmen, dass die ersten vier Kategorien überwiegend aus produktiven Arbeitern [1] bestehen, dann können wir grob geschätzt annehmen, dass Millionen oder sogar noch mehr Arbeiter, die vom ONS als DienstleistungsarbeiterInnen eingestuft werden, als produktiv eingestuft werden sollten. Nehmen wir zum Beispiel den Transport. Marx argumentiert eindeutig, dass, wenn der Tauschwert von Waren durch den Transport von einem Ort zum anderen steigt, die Arbeit derer, die den Transport durchführen, produktive Arbeit ist.

„Obgleich nun die reale Arbeit hier keine Spur am Gebrauchswert zurückgelassen hat, ist sie dennoch im Tauschwert dieses materiellen Produkts realisiert, und so gilt also von dieser Industrie wie von den andren Sphären der materiellen Produktion, daß sie sich verkörpert in der Ware, obgleich sie keine sichtbare Spur an dem Gebrauchswert der Ware zurückgelassen.“ [2]

Andernfalls, "in bezug auf den Transport von Menschen erscheint dies nur als ein Dienst, der ihnen von dem Entrepreneur geleistet wird". [3] Allerdings, ist der Punkt jedoch der, dass ein wesentlicher Teil der Arbeitskräfte in einer von der Bourgeoisie unter 'Dienstleistungen' klassifizierten Kategorie mit produktiver Arbeit beschäftigt ist, wie sie in der Arbeitswerttheorie von Marx definiert ist. Ähnlich verhält es sich mit anderen Kategorien, die offiziell dem "Dienstleistungssektor" zugeordnet werden. Wir können nicht davon ausgehen, dass das Wort "Dienstleistung" unproduktive Arbeit bedeutet. So ist beispielsweise ein Großteil der unter der Kategorie "distribution, hotels and restaurants" zusammengefassten Arbeit eher mit der Herstellung von Waren (Schaffung neuer Werte) oder der Erhöhung ihres Wertes, als mit der einfachen Lieferung eines Gebrauchswertes als persönliche Dienstleistung verbunden. Es gibt 2,5 Millionen Beschäftigte im Hotel- und Gastronomiegewerbe im Vereinigten Königreich, die meisten von ihnen sind Lohnarbeiter, die in einem kapitalistischen Unternehmen beschäftigt sind und nicht einfach nur für die Erbringung einer persönlichen Dienstleistung bezahlt werden. Hier sagt Marx:

„Die Köchin im Hotel produziert für den, der ihre Arbeit als Kapitalist gekauft hat, den Hotelbesitzer, eine Ware; der Konsument der [Hammelkoteletts] hat ihre Arbeit zu zahlen, und sie ersetzt dem Hotelbesitzer (von Profit abgesehn) den Fonds, woraus er fortfährt, die Köchin zu zahlen“ [4] Dies ist ganz anders als wenn „ich die Arbeit einer Köchin [kaufe], damit sie mir das Fleisch etc. kocht, nicht um sie zu verwerten als Arbeit überhaupt, sondern [die Arbeit] zu genießen, zu gebrauchen [...] so ist ihre Arbeit unproduktiv; [...] Der große Unterschied bleibt aber (der begriffliche): Die Köchin ersetzt mir (dem Privaten) nicht den Fonds, aus dem ich sie zahle, weil ich ihre Arbeit nicht als wertbildendes Element kaufe, sondern bloß ihres Gebrauchswerts halber.“ [5] Die ONS-Tabelle grenzt zudem die Zahl der Beschäftigten in relativ neuen, wachsenden Wirtschaftsbereichen wie den Medien und den so genannten kreativen Industrien nicht ab. Zu letzterem hat die Financial Times im vergangenen Jahr einen Artikel veröffentlicht, der neuere Informationen enthält.

"Großbritanniens Kreativwirtschaft hat sich innerhalb eines Jahrzehnts fast verdoppelt, angetrieben durch das rasche Wachstum in der Radio-, Fernsehwerbe- und Softwareindustrie. Den neuesten Zahlen zufolge macht die Kreativwirtschaft fast 9 Prozent der Wirtschaft aus, da moderne Sektoren auf Kosten älterer Sektoren wie der verarbeitenden Industrie und der Landwirtschaft Anteile gewinnen. [...] Im Jahr 2002 betrug der Anteil des kreativen Sektors an der Bruttowertschöpfung der Wirtschaft 80,9 Milliarden Pfund - ein Indikator für echte Wertschaffung für die Wirtschaft - nach Angaben des Amtes für Nationale Statistik. Dem Anstieg von 93 Prozent in diesem Jahrzehnt steht ein Anstieg von nur 70 Prozent für die Wirtschaft als Ganzes gegenüber." [6]

Wenn wir bedenken, wie viel des "Sektors der Kreativwirtschaft" als kapitalistisches, gewinnorientiertes Unternehmen geführt wird, wird klar, dass die Arbeit von Schauspielern, Künstlern, Dramatikern usw., die von Marx als "unbedeutend im Vergleich zur gesamten Produktion" betrachtet wurde, heutzutage tatsächlich einen "echten Mehrwert" für die Wirtschaft schafft, und zwar durch eine Belegschaft, die genauso in der Produktion von Waren tätig ist wie jeder Fabrikarbeiter.

„Ebenso bei Unternehmungen von Theatern, Vergnügungsanstalten usw. Dem Publikum verhält sich hier der Schauspieler gegenüber als Künstler, aber seinem Unternehmer gegenüber ist er [...] produktiver Arbeiter.“ [7]

Selbst die vermeintliche Abhängigkeit der BBC von Lizenzgebühren gehört der Vergangenheit an, und die "öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt" ist stark in das wettbewerbsorientierte Mediengeschäft eingebunden. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass es innerhalb des offiziell bezeichneten "Dienstleistungssektors" Millionen von ArbeitnehmerInnen gibt, deren Arbeit Waren (und damit neue Werte) produziert und die aus Kapital (oder Gewinnen) bezahlt werden. Eine Untersuchung der offiziellen Arbeitskräftestatistik vom marxistischen Standpunkt aus zeigt daher eindeutig, dass Millionen von Arbeitsplätzen, die von der Bourgeoisie als Dienstleistungsarbeit eingestuft werden, tatsächlich produktive Arbeit beinhalten. Die Größe der wertproduzierenden Arbeitskräfte - in marxistischer Hinsicht - ist möglicherweise doppelt so groß, wie die Zahlen vermuten lassen. Statt etwa 6,3 Millionen wertschöpfender Arbeitsplätze können wir schätzen, dass es mindestens 12 Millionen solcher Arbeitsplätze gibt. Das bedeutet aber immer noch, dass etwa drei Fünftel der etwa 30 Millionen Arbeitsplätze in der New Economy des Vereinigten Königreichs wertmäßig unproduktiv sind. Hochgerechnet auf die beschäftigten Arbeitskräfte (deren Zahl kleiner ist als die Zahl der Arbeitsplätze) können wir sagen, dass etwa 17 Millionen der 28 Millionen beschäftigten Arbeitnehmer keinen neuen Wert produzieren. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung (fast 58 Millionen) bedeutet dies, dass auf jeden wertproduzierenden Arbeitnehmer knapp fünf weitere Personen kommen. Wenn der wirtschaftliche Reichtum im Vereinigten Königreich in Wirklichkeit vollständig von der einheimischen Wirtschaft erzeugt würde, dann würde dies in der Tat sowohl eine hohe Wertschöpfungsrate als auch die Erzeugung eines hohen absoluten Wertes aus Sektoren außerhalb der traditionellen Bereiche des verarbeitenden Gewerbes, der Rohstoffindustrie und des Baugewerbes bedeuten. Doch selbst wenn wir die Existenz von Waren produzierenden, wertschöpfenden Sektoren unter den offiziell benannten Dienstleistungsbeschäftigten anerkennen, sind es nicht in erster Linie diese Arbeitsplätze, von denen das Institut für Finanzstudien behauptet, dass sie "einen höheren Mehrwert für das Land schaffen". [8]

Im Gegenteil, mit der Ausnahme des Sektors der "unterstützenden Dienstleistungen", zu dem wertproduzierende Arbeiter und die "Medien" gehören - die in den offiziellen Statistiken nicht spezifisch kategorisiert werden - sind es genau die unproduktiven Sektoren ihres schlecht definierten "Dienstleistungssektors", von denen die Bourgeoisie behauptet, sie gehörten zu den "größten Wertschöpfern Großbritanniens". (Auch hier beziehen wir uns auf den Mehrwert, nicht auf nominale Währungswerte).

Das Mysterium der Wertschöpfung

Anfang dieses Jahres stellte sich die Financial Times die Aufgabe, "das Rätsel der Schaffung von neuem Reichtum zu lösen" und enthüllte nur, wie die Unfähigkeit, über die nominalen Geldwerte hinaus zu sehen, sicherstellt, dass die wahre Quelle der Wertschöpfung für immer ein Rätsel für die Kapitalistenklasse bleiben wird. In ihrem Versuch, das Rätsel zu lösen, veröffentlichte die FT jedoch die Listen des DTI (Department of Trade and Industry) mit den Unternehmen und Sektoren, die sie als die wichtigsten " Wertschöpfer " Großbritanniens bezeichnet, d.h. diejenigen, die die größten finanziellen Gewinne erzielen. Was die FT zeigt, ist, dass fünf oder sechs von zehn [9] der profitabelsten Sektoren des DTI tatsächlich in den offiziell benannten Dienstleistungssektor Großbritanniens fallen. Ein weiterer Blick zeigt uns, dass die Banken dominieren. (Sie umfassen 5 der 12 führenden britischen Unternehmen und führen die Liste der "vermögensbildenden" Sektoren an). Während die profitablen „Support Services“ bzw. "Unterstützungsdienste" (alles von Rentokil bis Jarvis) und "Telekommunikationsdienste" sowohl produktive als auch unproduktive Arbeitskräfte umfassen, ist der Einzelhandelssektor (Platz 8 der Liste) wertmäßig insgesamt unproduktiv. Im Vereinigten Königreich gibt es etwa 2,8 Millionen Beschäftigte im Einzelhandel. Laut Marx sind ihre Arbeitsplätze Teil der Kosten des zirkulierenden Kapitals in seiner Warenform. Der Einzelhandelssektor fällt unter das, was Marx als "Kaufmannskapital" bezeichnete - Kapital, dessen wesentliche Rolle darin besteht, billig zu kaufen und teuer zu verkaufen, das aber selbst keinen Wert schafft.

„Das Kaufmannskapital geht also ein in die Ausgleichung des Mehrwerts zum Durchschnittsprofit, obgleich nicht in die Produktion dieses Mehrwerts. Daher enthält die allgemeine Profitrate bereits den Abzug vom Mehrwert, der dem Kaufmannskapital zukommt, also einen Abzug vom Profit des industriellen Kapitals.“ [10]

Was die Beschäftigten im Einzelhandel angeht, „ist ein solcher kommerzieller Arbeiter Lohnarbeiter wie ein andrer. Erstens, insofern die Arbeit gekauft wird vom variablen Kapital des Kaufmanns, nicht von dem als Revenue verausgabten Geld, und daher auch nur gekauft wird nicht für Privatbedienung, sondern zum Zweck der Selbstverwertung des darin vorgeschoßnen Kapitals. Zweitens, sofern der Wert seiner Arbeitskraft und daher sein Arbeitslohn bestimmt ist, wie bei allen andren Lohnarbeitern, durch die Produktions- und Reproduktionskosten seiner spezifischen Arbeitskraft, nicht durch das Produkt seiner Arbeit. [...] Da der Kaufmann als bloßer Zirkulationsagent weder Wert noch Mehrwert produziert [...] so können auch die von ihm in denselben Funktionen beschäftigten merkantilen Arbeiter unmöglich unmittelbar Mehrwert für ihn schaffen.“ [11] Und genauso wie der Einzelhandel den realen Reichtum der Gesellschaft belastet, gilt dies auch für den viel gepriesenen britischen Finanzdienstleistungssektor, der heute fast 6 Millionen ArbeitnehmerInnen umfasst. Auch wenn die Banken, an der Spitze der Rentabilitätsliste des DTI stehen, „ist [es] ebenso klar, daß ihr Profit nur ein Abzug vom Mehrwert ist, da sie nur mit schon realisierten Werten (selbst wenn nur in Form von Schuldforderungen realisiert) zu tun haben". [12] Im nächsten Teil dieses Artikels werden wir versuchen, das eigentliche Rätsel zu lösen, wie der Finanzsektor - der im Sinne der Arbeitswerttheorie einen massiven Abzug von Mehrwert darstellt - an der Spitze der kapitalistischen Wertschöpfungsliste stehen sollte. In der Zwischenzeit ein letztes Wort zu den Dienstleistungen.

Öffentliche Dienstleistungen werden zu einer Ware für das Kapital

Wie wir gesehen haben, gibt es keine konsistente kapitalistische Definition von Dienstleistungsarbeit. Für Marx ist Dienstleistungsarbeit per Definition unproduktiv, weil eine Dienstleistung keine Ware ist und die Arbeit, die zur Erbringung einer Dienstleistung eingesetzt wird, zwar Gebrauchswert, aber keinen Tauschwert schafft. Die Bourgeoisie hingegen schließt alle Arten von Arbeit - einschließlich der Waren produzierenden Arbeit, aber auch unproduktive Arbeit, die strikt zu den Kosten des zirkulierenden Kapitals gehört - in die Kategorie der Dienstleistungen ein. Wenn wir uns noch einmal die Tabelle der ONS hinsichtlich der Arbeitskräfte ansehen, wird deutlich, dass die größte Einzelkategorie - "health, education and public administration" - mit 7,4 Millionen ArbeiterInnen der Marx'schen Definition der Dienstleistungsarbeit am nächsten kommt. Obwohl diese Arbeiterinnen und Arbeiter in der Regel kein persönliches Entgelt für den von ihnen erbrachten Nutzwert erhalten, werden die Löhne der meisten von ihnen aus Steuern bezahlt, also aus den Einnahmen der Gesellschaft, und obwohl sie eine mehr oder weniger nützliche Leistung erbringen, verringern die Kosten ihrer Arbeitskraft den allgemeinen Bestand an Mehrwert. Im Gegensatz zum viel gepriesenen Finanzsektor empfinden Gordon Brown (Labour Politiker und Schatzkanzler Großbritanniens von 1997 bis 2007 unter der Regierung Tony Blair) und Co. Bildung, Krankenhäuser und Wohlfahrtsausgaben im Allgemeinen schnell als eine Belastung. Daher die Kürzungen und auch die Versuche (ohne sich dessen bewusst zu sein), Dienstleistungen in Waren zu verwandeln, indem Pflegeheime, Aspekte der medizinischen Versorgung und bestimmte Zweige der Schulbildung in die Hände von Privatkapital gelegt werden, um sie als Unternehmen zu betreiben. In diesem Fall werden Dienstleistungen, die zuvor aus Steuergeldern bezahlt wurden, in Waren verwandelt, wobei der "Dienstleister" in einen wertproduzierenden Lohnarbeiter verwandelt wurde. In der Praxis ist es für das Kapital schwierig, echte Dienstleistungen vollständig zu "kommerzialisieren", aber die wachsende Beteiligung von privatem Kapital an der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen - von der Auslagerung von Lieferungen durch die Zentral- und Lokalregierung (ein Wert von 30 Mrd. £ für privates Kapital im letzten Jahr) bis hin zu der so genannten Private Finance Initiative (PFI) die derzeit mehr als 660 Projekte umfasst – von der Leitung des „London Congestion Charge“ (eine Innenstadtmaut die Kraftfahrer im Zentrum von London entrichten müssen) durch Capita plc (ein britisches Unternehmen, welches auf Outsourcing spezialisiert ist) bis hin zur der unglückseligen Beteiligung von Jarvis plc an der Eisenbahnwartung und dem Schulbau - verschafft den Unternehmen Zugang zu Steuereinnahmen, die sie dann als Kapital einsetzen können, um ihre Profitraten oder jedenfalls den Wert der Unternehmensaktien zu steigern. Diese Bemühungen, Einnahmen in Kapital, und Dienstleistungen in Waren umzuwandeln, werden durch die finanziellen Erträge des britischen Finanzsektors in den Schatten gestellt, aber sie finden im Kontext der internationalen "Befreiung des Dienstleistungsmarktes" statt, die in der Doha-Runde der World Trade Organisation verhandelt wird, und sind symptomatisch für die Verzweiflung, neue Quellen für den Mehrwert zu finden, welche heute das Kapital ausmacht. -ER

[1] In einer Nebenbemerkung zur produktiven Arbeit im Kontext des Gesamtprozesses der materiellen Produktion stellt Marx klar, dass die produktive Arbeit nicht auf diejenigen beschränkt ist, die direkt am Akt der "Verarbeitung des Rohmaterials" beteiligt sind: „Mit der Entwicklung der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise, wo viele Arbeiter an der Produktion derselben Ware zusammenarbeiten, muß natürlich das Verhältnis, worin ihre Arbeit unmittelbar zum Gegenstand der Produktion steht, sehr verschieden sein. Z.B. die früher erwähnten Handlanger in einer Fabrik haben nichts direkt mit der Bearbeitung des Rohstoffs zu tun. Die Arbeiter, die die Aufseher der direkt mit dieser Bearbeitung zu tun Habenden bilden, stehn einen Schritt weiter ab; der Ingenieur hat wieder ein andres Verhältnis und arbeitet hauptsächlich nur mit seinem Kopfe etc. Aber das Ganze dieser Arbeiter, die Arbeitsvermögen von verschiednem Werte besitzen, obgleich die angewandte Masse ziemlich dieselbe Höhe behauptet, produzieren das Resultat, das sich - das Resultat des bloßen Arbeitsprozesses betrachtet, in Ware oder einem materiellen Produkt ausspricht; und alle zusammen, als Atelier, sind die lebendige Produktionsmaschine dieser Produkte, wie sie, den gesamten Produktionsprozeß betrachtet, ihre Arbeit gegen Kapital austauschen und das Geld der Kapitalisten als Kapital reproduzieren, d.h. als sich verwertenden Wert, sich vergrößernden Wert. Es ist ja eben das Eigentümliche der kapitalistischen Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und Handarbeiten - oder die Arbeiten, in denen die eine oder die andre Seite vorwiegt, - zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen, was jedoch nicht hindert, daß das materielle Produkt das gemeinsame Produkt dieser Personen ist oder ihr gemeinsames Produkt in materiellem Reichtum vergegenständlicht; was andrerseits ebensowenig hindert oder gar nichts daran ändert, daß das Verhältnis jeder einzelnen dieser Personen das des Lohnarbeiters zum Kapital und in diesem eminenten Sinn das des produktiven Arbeiters ist. Alle diese Personen sind nicht nur unmittelbar in der Produktion von materiellem Reichtum beschäftigt, sondern sie tauschen ihre Arbeit unmittelbar gegen das Geld als Kapital aus und reproduzieren daher unmittelbar außer ihrem Salair einen Mehrwert für den Kapitalisten. Ihre Arbeit besteht aus bezahlter Arbeit plus unbezahlter Surplusarbeit.“ [MEW-Band 26.1 S. 386/387]

[2] MEW-Band 26.1 S. 388

[3] „Aber das Verhältnis der Käufer und Verkäufer dieses Diensts hat nichts mit dem Verhältnis der produktiven Arbeiter zum Kapital zu tun, sowenig wie das der Verkäufer und Käufer von Twist.“ [MEW-Band 26.1 S. 387]

[4] MEW-Band 26.1 S. 135

[5] MEW-Band 26.1 S. 135/136

[6] frei Übersetzt nach einem Artikel der „Financial Times“ am 18.10.04 [7] MEW-Band 26.1 S. 386

[8] Zitiert in der Financial Times, 13.5.05. Das vollständige Zitat kann im ersten Teil dieses Artikels gefunden werden.

[9] Je nachdem, ob der Mediensektor offiziell unter "Dienstleistungen" fällt. Das Amt für Nationale Statistik gibt keine Angaben dazu.

[10] MEW-Band 25 S. 297 [11]

MEW-Band 25 S. 303/304

[12] MEW-Band 25 S. 334

Saturday, July 4, 2020