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Startseite ›Italien: „Wir sind keine Schlachtlämmer!“ Der Klassenkampf in den Zeiten des Coronavirus
Das Geschehen der letzten paar Tage:
8 März: Der Erlass des Premierministers führte neue restriktive Maßnahmen in der "roten Zone" in der Lombardei und Venetien ein. Viele Aktivitäten in ganz Italien wurden ausgesetzt, darunter auch Gefängnisbesuche.
8./9 März: Die Lage in den Gefängnissen wird ernst. Die Unruhen begannen wegen mangelnder Kommunikation über die Risiken und Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Dann kam es zu Unruhen, als sich die Nachricht über die Aussetzung von Gefängnisbesuchen verbreitete, während gleichzeitig nichts unternommen wurde, um die Überbelegung und die schlechten Bedingungen in der großen Mehrheit der italienischen Gefängnisse zu lindern. Spontane Unruhen brachen in 27 Gefängnissen in ganz Italien aus: von Mailand bis Foggia, von Palermo bis Turin. Mehr als 6.000 Gefangene nahmen daran teil, 13 starben, und Dutzende entkamen. Die Forderungen der Revoltierenden lauteten: Sicherheit, Begnadigung, Amnestie. Die Gefangenen erkannten, dass sie wie Tiere behandelt wurden, die zum Schlachten ausgesetzt wurden, und sich selbst überlassen waren. Wie so oft sind sie die Letzten, die eine klare Vorstellung von den Geschehnissen haben, doch die Ersten, die den Kopf erheben, wenn auch auf kurzlebige Weise, und auch die Ersten, die harte Repressionen erleben. Tatsache ist, dass die Regierung schließlich gezwungen war, ihnen einige Zusicherungen zu machen. 9. März: An diesem Abend kündigte Premierminister Conte in einer Fernsehansprache an, dass der Erlass erweitert werde, so dass die Sicherheitszone (früher "rote Zone" genannt) nun unter dem Slogan #stateacasa (zu Hause bleiben) für ganz Italien gelte.
11 März: In einer weiteren Rede von Conte wird ein neuer Erlass angekündigt, der alle nicht wesentlichen kommerziellen Aktivitäten untersagt, den Bürgern rät, wo immer möglich von zu Hause aus zu arbeiten, Kontrollpunkte einzurichten und im ganzen Land Geldstrafen für diejenigen einzuführen, die sich nicht an die Verbote halten. Alle Bars und Restaurants sollten geschlossen werden, und es durften nur noch Lebensmittelgeschäfte und Apotheken geöffnet werden, aber man durfte diese nur mit Einschränkungen betreten (begrenzte Anzahl und ein Meter Abstand zur nächsten Person). Von diesem Zeitpunkt an durfte man das Haus nur noch mit einer Selbstzertifizierung verlassen, um unvermeidbare Belange (wie die Beschaffung von Lebensmitteln und Medikamenten) zu erledigen und natürlich, um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Denn natürlich durfte man immer noch zur Arbeit gehen, denn die Produktion von Profiten für die Chefs muss weitergehen! Marco Bonometti vom Arbeitgeberverband ConfIndustria Lombardia erklärte: "Es ist ein Zeichen von Verantwortungslosigkeit, die Probleme, die [wir Bosse] haben, nicht zu verstehen". Welche Probleme? Die zunehmende Schwierigkeit, Profit zu machen, natürlich!
12 März: Am Morgen streikten die Arbeiter in Hunderten von Fabriken und Unternehmen und verließen ihre Arbeitsplätze. Sie sind alle in der nicht lebensnotwendigen Produktion tätig. Die Parole "Wir sind keine Schlachtlämmer" verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Die Forderung dieser Arbeiterinnen und Arbeiter war, dass die Arbeitsbedingungen entsprechend den Gesundheitswarnungen angepasst werden sollten, um eine Ansteckung zu begrenzen, Warnungen, die für alle gelten sollten. Außerhalb des Arbeitsplatzes bleiben alle so weit wie möglich zu Hause, tragen Masken im Freien, halten "sichere" Abstände ein oder stehen unter Quarantäne. Im Gegensatz dazu gibt es in überfüllten Fabriken mit unzureichender Information, überfüllte Umkleideräume und keine Desinfektion. Offenbar ist es für die Bosse zu teuer, die Anweisungen zur Gesundheitsfürsorge zu befolgen. Und aus dieser Sicht ist es „unverantwortlich" von den Arbeiterinnen und Arbeitern so etwas zu verlangen.
Während die Chefs und Manager also seit Tagen in Sicherheit zu Hause sitzen, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter stattdessen zur Arbeit gehen. Es ist diese einfache Linie, die die Spaltung in gesellschaftliche Klassen markiert, die die gesamte Gesellschaft durchzieht. Klassenkampf in der Zeit des Coronavirus Ein eindringliches Bild dieser Situation ist der Bus um 5.00 Uhr morgens, der die Arbeiter in einem dichten Gedränge von Menschen zur petrochemischen Fabrik in Marghera in der Nähe von Venedig bringt. Und es gibt viele Fälle, in denen Arbeiter mit Entlassung bedroht wurden, nur weil sie die Anwendung der Coronavirus-Regelungen gefordert haben. Die Botschaft der Bosse lautet: "Haltet die Klappe und arbeitet, auch wenn wir Euch nicht einmal die Mindestbedingungen des Gesundheitsschutzes bieten können.“ Dies scheint die Haltung der Bosse überall zu sein, was zu spontanen Streiks im Piemont, in Ligurien, in der Lombardei, im Veneto, in der Emilia Romagna, in der Toskana, in Umbrien und in Apulien führte. Hunderte von Fabriken haben die Arbeit eingestellt. Es ist schade, dass wir nicht in der Lage sind, ihnen allen eine größere materielle Solidarität zukommen zu lassen, aber wir können zumindest die Streiks bekannt machen. Wir verurteilen die Bosse und unterstützen und verbreiten die Forderung aller Arbeiter: Niemand soll arbeiten, wenn seine Gesundheit gefährdet ist! Und das gilt nicht nur für die Fabriken und Lagerhäuser. Dasselbe gilt für die Auslieferungsfahrer. Die Regierung hat dafür gesorgt, dass die Lieferung von Mahlzeiten zu Hause nicht ausgesetzt wird, aber sie hat nichts unternommen, um die Sicherheit dieser Arbeiterinnen und Arbeiter zu gewährleisten. Dasselbe gilt für die Beschäftigten in den Supermärkten, die oft ohne Handschuhe und ohne Masken oder mit Heimwerkermasken arbeiten, weil die Firma nicht die richtigen liefert. Ebenso gibt es zig mehr oder weniger unverzichtbare Arbeiterinnen und Arbeiter, die, wie die im Gesundheitswesen, ohne klare Sicherheitsanweisungen und Schutzmaßnahmen arbeiten. Die Irrationalität und Arroganz des Staates und des Systems zeigen sich einmal mehr, besonders wenn es um diejenigen geht, die arbeiten. Eine andere, aber ebenso ernste Notlage kommt von den Zehntausenden von prekären, nicht unbedingt notwendigen Arbeitern und Genossenschaften, die ihre Arbeit eingestellt haben und ohne Bezahlung zu Hause festsitzen. So wie die Lehrer in Neapel, die am 9. März - als es noch möglich war - in weißen Overalls und Masken demonstrierten und die Zahlung ihrer Löhne trotz der Aussetzung des Dienstes forderten. Die Linie, die diese ganze Gesellschaft in zwei soziale Klassen teilt, ist heute, in der Zeit des Coronavirus, klarer denn je.
Einige Schlussbemerkungen
- Nur durch den gemeinsamen Kampf können die Ausgebeuteten hoffen, ihre Interessen durchzusetzen, angefangen bei den unmittelbarsten (in diesem Fall Gesundheit und Lohn).
- Die großen Gewerkschaftsverbände (wie die CIGL, CISL usw.) traten als Vermittler der spontanen Streiks auf, während die verschiedenen Akronyme der diversen Basisgewerkschaften (Cobas) behaupteten, sie hätten diese Streiks begonnen. Einerseits wollen sie sich an den Streiks beteiligen, andererseits behaupten sie, den Slogan "Wir sind keine Schlachtlämmer" erfunden zu haben, oder sie behaupten sogar, dass die ArbeiterInnen sich dem von ihnen begonnenen Streik angeschlossen haben, usw. Wenn man sich die Stellungnahmen der traditionellen wie auch der Basisgewerkschaften genauer anschaut, stößt man auf eine Vielzahl von ekelerregenden Beispielen dafür, dass die gewerkschaftliche Engstirnigkeit ( welche die Interessen der eigenen Gewerkschaft vor die der gesamten Klasse zu stellt) das einzige ist, was für sie zählt. Für die Gewerkschaft ist die Spontaneität der Arbeiter ein Biest, das gezähmt und zugeritten werden muss. Der Klassenkampf ist nichts anderes als ein Phänomen, das man aus ihrer Sicht ausnutzen muss, um das eigenen Organisationsakronym zu mästen und zu legitimieren. Für die Gewerkschaften ist nicht der Klassenkampf wichtig, sondern der Kampf gegen ihre Rivalen. Die Spaltung der Arbeiter in die verschiedenen Akronyme der Gewerkschaften verhindert, dass sie sich zu einer Klasse zusammenschließen können.
- Wir haben die Vorschläge der Regierung noch nicht gesehen, aber schon jetzt sprechen sie von Zwangsurlaub, keiner Garantie für die Kontinuität der Beschäftigung von prekären Arbeiterinnen und Arbeitern usw., was bedeutet, dass sie die Arbeiterinnen und Arbeiter für die Kosten der Coronavirus-Krise aufkommen lassen. Solange wir Ausgebeuteten diesen Zustand nicht ändern, wird die Gesellschaft in soziale Klassen geteilt bleiben.
- Die Gesundheit aller zu schützen bedeutet, wirklich alle Aktivitäten einzustellen, außer denen, die unbedingt notwendig sind, und gleichzeitig maximale Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen für alle zu gewährleisten. Eine Mindestbedingung, die dieser Staat, dieses System, nicht garantieren kann. In der Tat bleiben die Baustellen offen, die Fabriken für nicht lebensnotwendige Güter produzieren weiter, die Mehrwertpumpe läuft weiter... und wenn die Krise aufhören würde, wäre sie sogar noch ernster. Das ist der Alptraum einer widersprüchlichen und kranken Gesellschaft, in der wir immer noch gezwungen sind, zu leben: Für den Kapitalismus ist der Profit alles, während der Mensch nichts ist.
- Im Allgemeinen erweist sich das kapitalistische System nicht als die einzige, sondern als die schlimmste aller möglichen Welten. Es ist jetzt klar, dass dieser Virus den Siedepunkt einer Krise epischen Ausmaßes offenbart, die der Kapitalismus hervorgebracht, aber nicht gelöst hat. Wie sollen diejenigen überleben, die nicht arbeiten und keinen Lohn erhalten, weil sie zuhause eingesperrt sind? Was ist mit denjenigen, die in der Schattenwirtschaft arbeiten? Was ist mit den Freelancern und Scheinselbstsändigen? Und welche wirtschaftliche und soziale Verwüstung werden wir vorfinden, wenn wir schließlich wieder auf die Straße gehen dürfen?
Die Notwendigkeit einer revolutionären Alternative stellt sich dringender denn je. Die Krise, die uns erwartet, wird uns jeden Tag daran erinnern, mit der Zunahme der Arbeitslosigkeit, dem sozialen Elend und der Aussicht auf Krieg als "Lösung" für alle Übel des dekadenten Kapitalismus.
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