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Startseite ›Putschversuch in der Türkei gescheitert – Volksmacht?
Ein Augenzeugenbericht
Es ist manchmal schwierig das Land worin man lebt wieder zu erkennen, wenn man es im Spiegelbild der Medien betrachtet. Vor weniger als 48 Stunden sah ich wie eine Massendemonstration von ’Volksmacht’ das Land vor einem Militärputsch rettete. Wenn ich mich nicht an die Explosionen und das Knallen beim Durchbrechen der Schallmauer erinnern könnte, würde ich schworen, dass dies Alles in einem fernen Land geschah.
Es hat hier in der Türkei am Freitagabend bestimmt den Versuch eines Militärputsches gegeben, und mit Sicherheit wurde dieser niedergeschlagen. Soviel steht zumindest fest. Der ganze Diskurs von der ’Volksmacht’ die die Putschisten besiegt haben hingegen, erscheint mir als eine Übung in Mythenbildung. Es stimmt, dass einige Leute auf die Straßen gegangen sind doch, wer die Ereignisse über die einheimischen und globalen Medien verfolgt hat, dem könnte verziehen werden zu glauben, dass hunderttausende Bürger auf die Straßen gegangen sind und das Militär daran gehindert haben die Kontrolle zu ergreifen. Die Wirklichkeit war doch ein wenig anders.
In Wirklichkeit war die Zahl der Leute auf den Straßen wahrscheinlich nicht größer als einige Tausende im ganzen Land. Sie waren nicht repräsentativ für das ganze Land. Es waren Anhänger der regierenden AKP, neben Ultranationalisten und islamischen Extremisten. Dieses war bestimmt keine Bewegung die eine großen Teil der Gesellschaft mit sich riss, wie die Gezi-Bewegung. Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung blieb am späten Freitagabend und in der Nacht zu Hause, wie ich selbst, und schaute es sich auf dem Fernseher an. Unterdessen waren die Mobs auf der Straße, schlugen und ermordeten wehrpflichtige Soldaten unter den Augen der Polizei.
Am Samstag um die Mittagszeit traute ich mich nach draußen. Kizilay, das Zentrum Ankaras, war in dem Moment ziemlich verlassen. Es füllte sich jedoch rasch mit Leuten die ihren Sieg feierten. Neben den fast obligatorischen Nationalfahnen wurden viele Fahnen der Grauen Wölfe geschwenkt, und wurde der „Wolfsgruß“ gebracht. Es gab auch Fahnen von islamischen Radikalen. Sie setzten ihre Feier fort bis in die Nacht indem sie im traditionellen Türkisch-nationalistischen Pogromstil, in Ankara, Istanbul und anderen Städten, Minderheitenviertel angriffen.
Auch die Regierung will Rache an ihren Feinden verüben. Neben Verhaftungen von Soldaten, brach sie eine neue Säuberung vom Zaun gegen jene im Justizapparat die sie als ihre Opponenten betrachtet. Zusätzlich zur Verhaftung von tausenden Soldaten wurden 2.745 Richter ihres Amtes enthoben und wurden Verhaftungsbefehle gegen 140 Richter des Obersten Gerichtshofes erlassen. Die Liste dieser ’Staatsfeinde’ war offensichtlich nicht über Nacht erstellt worden. Am Samstagmorgen sprach ich einen Richter der mir sagte, dass die Liste schon vor zwei Jahren erstellt worden war. Die meisten Menschen erwarten jetzt eine neue Welle von ’Säuberungen’. Die Türkei hat sich in den letzten Jahren an diese Art von Untersuchungen gewohnt. Die ’Ergenekon’-Kampagne der Erdoğan-Regierung 2011 führte zu über 500 Verhaftungen. Zur Zeit haben schon 6000 Verhaftungen stattgefunden und wir können diesmal noch weitere erwarten.
Der Putsch selbst erschien als besonders ungeeignet. Seit der letzten solcher Interventionen des Militärs, 1997, sind beinahe zwanzig Jahre vergangen und das Militär scheint seine Fähigkeit für diese Art von Sachen verloren zu haben. Ihr wahrscheinlich größter Fehler bestand in der Unfähigkeit sich des Präsidenten Tayyip Erdoğan habhaft zu machen, was diesem ermöglichte seine Anhänger per telefonischen Aufruf über CNN Türk um sich zu scharen. Ein anderer Fehler war ihr Unvermögen um Leute zu ihrer Unterstützung auf die Straßen zu bringen. Obwohl ihre erste Ankündigung in den sozialen Medien auf einige begeisterte Reaktionen stieß, gab es keine Massendemonstrationen zur Unterstützung des Putsches. Für eine Armee die die Erfahrung von vier Staatsstreichen im Laufe der letzten fünfzig Jahren hinter sich hat, nahm sich die Ausführung dieses Mal sehr kärglich aus.
Im Grunde genommen führten verschiedene Faktionen innerhalb des Staates einen kurzen Kampf gegen einander aus. Die offizielle Zahl der Toten belauft auf 265, und die Regierung ist noch immer im Amt, und plant weitere Repression. Wider all dem Gerede von dem ’Volk’, dass sich mutig der Armee entgegen gestellt habe, hat es in Wirklichkeit eine solche Massenbewegung überhaupt nicht gegeben, sondern nur kleine Gruppen von rechten Schlagern. Das nächste Mal wenn ich Gerede von ’Volksmacht’ in irgendeinem fernen Land höre, werde ich bestimmt genauer hinschauen.
Devrim Valerian, 17. Juli 2016
Erstübersetzung von den GenossInnen von „Kontroversen“
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