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Startseite ›Nationalistische Massaker in der Ukraine: Es gibt keine „richtige“ Seite im imperialistischen Krieg!
Auch nach dem zweiten Minsker Abkommen geht das Leiden der Menschen in der Ostukraine weiter. Schon jetzt hat der Konflikt einen entsetzlichen Blutzoll an Menschenleben gekostet. Nach Angaben des UN Menschenrechtsrats sollen bisher 5.486 Menschen getötet und 12.972 verwundet worden sein, Zahlen die angesichts der Heftigkeit der Kämpfe sicherlich untertrieben und mittlerweile überholt sind. Die soziale Infrastruktur ist weitgehend zerstört und Abwasserleitungen und Kanalisation sind zusammengebrochen.
Die übergroße Mehrheit der ca. 5,2 Millionen Menschen im Krisengebiet hat keinen Zugang zu Elektrizität und Trinkwasser. Fast eine halbe Million Menschen sind in der Ukraine auf der Flucht. Viele Ukrainisch sprechende Menschen flohen nach Kiew, da man nur dort zumindest den Hauch einer Chance hat, eine mickrige Rente und Sozialleistungen einzuklagen. Die Russischsprachigen versuchten sich in Russland in Sicherheit zu bringen, wo sie sich als Flüchtlinge mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen müssen. Diejenigen, die im Donbass geblieben sind, sind größtenteils Menschen die nicht fliehen konnten, wie die Alten. Sie drängen sich in Luftschutzbunkern, die sie nur verlassen um Nahrungsmittel zu bekommen. Zwar gibt es in den Geschäften Lebensmittel zu kaufen, doch die wenigsten können sie sich leisten.
Nationalistisches Kesseltreiben
Auf beiden Seiten hat dieser Krieg nur wenig Zustimmung unter der Bevölkerung. Als die Regierung des neugewählten ukrainischen Präsidenten Poroschenko die allgemeine Wehrpflicht wieder einführte, kam es in der gesamten Westukraine zu Demonstrationen und Straßenblockaden, die maßgeblich von Frauen getragen wurden. Die Blockaden wurden erst abgebrochen, als die Regierung versprach nur wenige Reservisten an die Front zu schicken. Auf der anderen Seite ergab die letzte einigermaßen unabhängige Umfrage (April 2014), dass zwei Drittel der Menschen in der Ostukraine gegen einen Anschluss an Putins Russland sind.
Die Einheiten der Separatisten rekrutieren sich überwiegend aus ehemaligen russischen Armeeangehörigen, Panslawisten und Nationalisten. Faktisch wird das Geschehen auf beiden Seiten von zwei fanatischen Minderheiten bestimmt, die fest entschlossen sind ihren Willen nicht nur dem Gegner, sondern auch der eigenen Bevölkerung aufzuzwingen. Im Hintergrund wirken die bestialischen Appetite des globalen Imperialismus. Die Ukraine droht von den zentrifugalen Kräften eines verfaulenden Gesellschaftssystems auseinandergerissen zu werden, welches der Weltbevölkerung nichts als Elend und Tod zu bieten hat.
Die Hintergründe des Krieges
Schauen wir kurz zurück wie alles begann. Ein erster wichtiger Faktor war das Platzen der Spekulationsblase, die Volkswirtschaften wie die der Ukraine am stärksten in Mitleidenschaft zog. 2009 brach die Wirtschaft um 15% ein, die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich und die Exporte gingen um 40% zurück. Dieser Zusammenbruch führte 2010 zur Wahl der Janukowitschs, der Verhandlungen mit dem IWF und ein Assoziierungsabkommen mit der EU in die Wege leitete. Im November 2013 weigerte sich die Janukowitsch-Regierung jedoch plötzlich die Regeln des EU Assoziierungsabkommens zu akzeptieren. Sie befand sich in einer verzweifelten Zwickmühle.
Die Wirtschaftsentwicklung der Ukraine war eine der schlechtesten in der Welt, nachdem der Preis des wichtigsten Exportguts der Ukraine, Stahl, drastisch eingebrochen war. Die Kredite des IWF waren aufgebraucht, und das Regime nicht in der Lage die geforderten „Reformmaßnahmen“ umzusetzen. Zudem stand die Rückzahlung von Krediten in Höhe von 15 Milliarden Dollar für November 2014 an. Gleichzeitig nahm das Haushaltsdefizit astronomische Ausmaße an. Der Deal mit der EU versprach zwar Geld (Kreditzahlungen in Höhe von 27 Milliarden Euro) allerdings unter der Bedingung, die Subventionen für die Energiekosten für Verbraucher zu streichen. Ein derartiger sozialer Einschnitt wäre für jede Regierung faktisch politischer Selbstmord gewesen. In dieser Situation zögerte Janukowitsch nicht lange ein Kreditangebot Putins anzunehmen. Russland war noch immer der wichtigste Handelspartner und die Ukraine zudem in hohem Maße von russischen Gaslieferungen abhängig. Putin brauchte nur eine Reduzierung des Gaspreises von 400 Dollar pro 1000 Kubikmeter auf 268,5 Dollar und einen Kredit von 15 Milliarden Dollar zu einer Zinsrate von 5% (weitaus niedriger als das Kreditangebot der EU) in Aussicht zu stellen, um Janukowitsch zu überzeugen.
Der Maidan und der Krieg
Die ersten Proteste gegen die Regierung Junukowitsch wurden maßgeblich von Studenten und Jugendlichen der Mittelschicht getragen, die mit der Absage an der EU um ihre Zukunft fürchteten. Diese konnten vom Regime noch leicht in Schach gehalten werden. Zunehmend schalteten sich jedoch nun die EU und die USA mittels diverser „think tanks“ und politischen Stiftungen in das Geschehen ein. Infolgedessen begannen nun fanatische Nationalisten und faschistische Elemente immer stärker auf dem Maidan den Ton anzugeben. Die Unterstützung aus dem Ausland erlaubte es der Maidan-Bewegung den Winter über durchzuhalten, bis Janukowitsch schließlich das Land fluchtartig verlassen musste. Die ukrainischen Nationalisten kannten nun kein Halten mehr. Ihre Ankündigung Russisch als Amtssprache verbieten zu wollen, war eine an den russischsprachigen östlichen Teil des Landes gerichtete Provokation. Hier machte sich zudem die Sorge breit, dass der von den USA und der EU lancierte Sturz Janukowitschs zu einer industriellen Umstrukturierung mit massiven Jobverlusten in den Stahlwerken und im Bergbau führen würde.
Gegendemonstrationen und Protestkundgebungen mündeten schnell in die Besetzung von Regierungsgebäuden durch prorussische Nationalisten. Die militärische und politische Unterstützung des russischen Imperialismus für die Separatisten komplettierte schließlich die Krise. Schon kurz vor Janukowitschs Sturz waren auf der Krim sog. „grüne Männchen“ in Aktion getreten. Ende März war die Halbinsel fest unter russischer Kontrolle. In den folgenden Monaten kam es in der Ostukraine zu Kämpfen zwischen Kiewer Regierungstruppen und den prorussischen Separatisten. Nach dem Abschuss der malaysischen Passagierflugzeugs MH17 (der aller Wahrscheinlichkeit auf das Konto der Separatisten ging) war die ukrainische Armee in weiten Teilen in der Offensive. Damals deutete vieles auf eine Niederlage der Separatisten hin. Doch nach einigen hektischen Wochen konnten die Separatisten wieder verlorenes Terrain wettmachen. Es wurde immer deutlicher, dass sie dabei nicht nur auf Waffenlieferungen sondern auch auf direkte militärische Unterstützung russischer Truppen bauen konnten. Einige Sprecher der Separatisten machten daraus auch kein Geheimnis mehr und erklärten offen, dass es ihnen nicht mehr nur um mehr Autonomie für die Region Donezk sondern um die Schaffung eines Oblast „Noworossija“ ,also den Anschluss an Russland ginge.
Die Ziele des russischen Imperialismus
Welche Zielsetzung verfolgte Russland mit diesem Vorgehen? Zunächst muss man konstatieren, dass Russland aus einer Position der Schwäche heraus handelt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion ist die herrschende Klasse Russlands mit dem Vormarsch von Nato und EU nach Osten konfrontiert. Während der Jelzin-Jahre schrumpfte die Wirtschaft dramatisch. Auf der internationalen Bühne erlitt Russland eine Demütigung nach der anderen. Erst mit der Ablösung Jelzins durch den ehemaligen KGB-Offizier Putin setzte eine Wende ein. Der Aufstand in Tschetschenien wurde brutal niedergeschlagen und ein Statthalter von Moskaus Gnaden eingesetzt. Es folgte Putins offene Unterstützung für die Separationsbestrebungen in Südossetien und Abchasien gegen die prowestliche Regierung Georgiens. Als die ukrainische „Orangene Revolution” Janukowitsch zum ersten Mal aus dem Amt kegelte, rächte sich Putin an der prowestlichen Regierung mit dem Stopp der Gaslieferungen. Für den Kreml waren all diese Maßnahmen die unmissverständliche Antwort auf eine Reihe von Provokationen und Demütigungen des Westens.
Insbesondere nach der Annexion der Krim wird das Putin-Regime in den westlichen Medien gerne als expansionistisch dargestellt. Die ist ziemlich billige Propaganda. Man sollte nicht die Tatsache aus den Augen verlieren, dass es die USA waren, die 1990 eine neue von ihnen dominierte „neue Weltordnung“ proklamierten. Derzeit unterhalten die USA in über 150 Ländern 737 Militärbasen (andere militärische Einrichtungen sind hier nicht eingerechnet) mit einer Truppenstärke von 230 000 Mann und 2.5 Millionen Zivilpersonal. Demgegenüber beschränkt sich die militärische Präsenz Russlands, von zwei Militärstützpunkten in Syrien und Vietnam abgesehen, vornehmlich auf die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens. Doch auch im eigenen Einflussbereich ist Russland mit großen Herausforderungen konfrontiert. Trotz zahlreicher Anläufe ist Putins Projekt der Schaffung einer „Eurasischen Union“, eines von Russland dominierten Wirtschaftraums, der Weißrussland, Kasachstan, Armenien, Turkmenistan, Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan umfassen soll, noch nicht weit gediehen. Der Sturz von zwei kirgisischen Präsidenten sowie die Errichtung von Militärbasen durch die USA haben zu allerlei Spannungen geführt.
Der kasachische Präsident Nazarbayev, einst ein glühender Unterstützer einer Anbindung an Russland, drohte unverhohlen mit der Aufkündigung getroffener Vereinbarungen, sollte die russische Bevormundung weitergehen. So war es auch bezeichnend, dass sich Kasachstan bei der Abstimmung der Vereinten Nationen über das Krimreferendum enthalten hat. Zwar haben die USA ihre Operationen in Zentralasien mittlerweile etwas zurückgefahren (mit dem Abzug aus Afghanistan wird sich diesen Prozess fortsetzen) – doch mit China haben die zentralasiatischen Republiken einen alternativen Bezugspunkt. Sie stehen chinesischen Investitionen sehr aufgeschlossen gegenüber und haben Verträge über Gaslieferung mit China ausgehandelt, um sich so aus der Abhängigkeit von Russland zu lösen. Die Sanktionen und der Fall der Energiepreise haben die Währungen (die alle an den Rubel gekoppelt sind) in der Region destabilisiert und damit auch Russlands Stellung gegenüber seinen Bündnispartnern geschwächt. Putin mag zwar große Stücke auf die „Shanghai Cooperation Organisation“ halten (einem Zweckbündnis von Russland und China, um die USA aus Zentralasien herauszuhalten), angesichts der wirtschaftlichen Schwäche Russlands und Chinas Wachstum ist jedoch klar, wer hier in der Rolle des Juniorpartners ist.
Die harte Position, die China im letzten Jahr während eines Staatsbesuchs Putins bei der Verhandlung über Energiepreise an den Tag legte, unterstreicht dies. Russland ist sich seiner Schwäche bei der Durchsetzung von Projekten wie der „Eurasischen Union“ durchaus bewusst. Daraus erklärt sich auch die Entschlossenheit, die Ukraine und Georgien durch separatistische Tendenzen zu schwächen. Wenn es nicht gelingt sie in den eigenen Einflussbereich zurückzuholen, sollen die Länder zumindest soweit wie möglich destabilisiert werden, um eine Integration in EU und Nato zu erschweren. Dies war von Anfang an das Kalkül der russischen Politik seit dem Ausbruch der Ukrainekrise. Doch dieses Spiel kann leicht aus dem Ruder laufen. Mit 4.1 % des BIP verfügt Russland über einen der größten Militäretats der Welt. Die USA geben derzeit 3,8% des BIP für Rüstung aus, (auch wenn ihre Ausgaben in absoluten Zahlen sicherlich höher sind.) Mit der intensivierten Unterstützung separatistischer Strömungen wird die Ostukraine mehr und mehr zu einem Experimentierfeld der russischen Armee. Dies alleine ist eine neue und gefährliche Eskalation und viel wird davon abhängen, wie der Westen darauf reagiert.
Die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts
Die EU setzt derzeit unter Führung von Deutschland darauf durch Sanktionen den Druck auf Russland zu erhöhen. Zwar würde die EU und allen voran der deutsche Imperialismus die Ukraine gerne unter ihre Kontrolle bekommen. Gleichzeitig ist man sich jedoch darüber im Klaren, dass die wirtschaftlich zerrüttete Ukraine derzeit eher eine Belastung als ein Gewinn wäre. Offene militärische Unterstützung der ukrainischen Regierung könnte die derzeitige Lage noch verschlimmern. Längerfristig setzt man deshalb darauf, Russland durch wirtschaftliche Sanktionen zum Einlenken zu bewegen. Dazu kommt das Problem tragfähige Alternativen zu den russischen Gaslieferungen zu finden. Die USA, die weder energiepolitisch noch wirtschaftlich mit Russland verbunden sind, pochen derweil auf eine harte Linie und sind fest entschlossen ihrem Hegemonialanspruch auch mit militärischen Mitteln Nachdruck zu verleihen.
Die Weltlage ist sehr gefährlich geworden. Der globale Kapitalismus steckt nach wie vor in einer tiefen Krise. Auch das vielbeschworene chinesische Wirtschaftswunder neigt sich dem Ende zu. All dies läuft mitnichten einfach „nur“ auf einen neuen Kalten Krieg hinaus. Die sog. bipolare Weltordnung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausbildete, basierte auf einem relativ stabilen Kräftegleichgewicht. Beide Machtblöcke waren sich ihrer Stärke und ihres Einflussbereichs weitgehend sicher. Heute liegen die Dinge anders. Die USA sorgen sich um den Verlust ihre Hegemonie, während Russland sich vor weitere Einkreisung fürchtet. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich die imperialistischen Rivalitäten weltweit nach dem Platzen der Spekulationsblase verschärft haben. Den vielfältigen Manövern der Großmächte liegt eine gewisse Verzweiflung zugrunde. Dies könnte zu einer gefährlichen Dynamik führen, die nicht unterschätzt werden sollte. Dem steht derzeit wenig Widerstand entgegen.
Nach Jahren des Rückzugs befindet sich die internationale ArbeiterInnenklasse in einer fatalen Defensive. Ohne eine eigene Klassenidentität, ohne ein Bewusstsein ihrer eigenen Stärke läuft sie Gefahr zu puren Ausbeutungsmaterial und Kanonenfutter der imperialistischen Kriege zu werden. Diese Schwäche wird von all jenen vorgeblichen „Linken“ noch zementiert, die dazu aufrufen in den diversen imperialistischen Konflikten eine Seite zu beziehen und nationalistische Kräfte zu unterstützen. All dies ist reaktionärer Unsinn. Nationen und imperialistische Mächte repräsentieren nicht im Geringsten unsere Interessen, sie stehen ihnen vielmehr entgegen. Der einzige Ausweg aus dem Schlamassel besteht in der kompromisslosen Zurückweisung jeder nationalistischen Ideologie, und der Verteidigung unserer Lebensinteressen gegen alle Fraktionen der Bourgeoisie. Nur auf Grundlage der Klassenautonomie wird es möglich sein, den Kürzungsprogrammen und der Brutalität und Zerstörung eines verrottenden Gesellschaftssystems ernsthaften Widerstand entgegenzusetzen. Wir brauchen autonome Organisationsformen und Strukturen auf den verschiedensten Ebenen, in erster Linie jedoch eine politisch kohärentes internationalistisches und kommunistisches Programm. All dies erfordert einen langen Atem. Doch der Kampf gegen jede Form von Nationalismus, Rassismus und Ausbeutung ist gleichermaßen Ausgangsbedingung wie Voraussetzung für die Wiederbelebung des autonomen Klassenkampfes.
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