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Startseite ›Imperialistisches Tauziehen um Syrien: Das Sterben geht weiter
Der mörderische Konflikt in Syrien hat sich in den letzten Wochen zum Zankapfel der internationalen Diplomatie entwickelt. Mit unerbittlicher Härte sind bei diesem Tauziehen die imperialistischen Gegensätze aufeinandergestoßen. Währenddessen geht das Elend der syrischen Bevölkerung unvermindert weiter. Über 100 000 Menschen sind mittlerweile getötet worden, 6 Millionen sind auf der Flucht, 2 Millionen leben nach UN-Angaben in provisorischen Flüchtlingscamps in der Türkei, Jordanien und dem Libanon. Die Opferzahlen des Giftgasangriffs vom 21. August gehen weit auseinander. Einige Quellen sprechen von 1400 Opfern, andere besagen, dass 400 Menschen auf diese grauenhafte Weise sterben mussten. Gleichwohl stehen diese Zahlen in kaum einem Verhältnis zum Ausmaß der humanitären Krise, die Syrien seit dem März 2011erfasst hat. Es ist also wenig glaubhaft, wenn US-Präsident Obama die „rote Linie“ erst mit dem barbarischen Giftgasangriff überschritten sieht. Von den angeblichen „humanitären Beweggründen“, mit denen die USA nun die Notwendigkeit einer militärischen Intervention begründen, sollte man sich nicht täuschen lassen. Vergessen wir nicht, dass die USA keine Probleme damit hatten mit Hiroshima und Nagasaki ganze Städte mit Atomwaffen zu bombardieren. Das im Vietnamkrieg massenhaft eingesetzte Napalm und Agent Orange haben bis heute bleibende Schäden der Verwüstung hinterlassen. Als vor noch nicht allzu langer Zeit der irakische Diktator Saddam Hussein das Nervengas Sarin gegen iranische Wehrpflichtige einsetzte, hatten die USA jedenfalls keine moralischen Bedenken. Das Pentagon war über den Giftgasangriff gegen den Iran wohl informiert. „Er hätte uns gar nicht sagen müssen, dass er Giftgas einsetzt. Das wussten wir bereits“, erklärte dazu ein führender US-Militär. (1)
In Großbritannien ist die Lage nach der verlorenen Parlamentsabstimmung der Regierung Cameron etwas komplizierter. Die vielfältigen Lügen, mit denen Tony Blair den Irakkrieg legitimierte, haben ihre Spuren hinterlassen und das politische System diskreditiert. Trotz des größten Massenprotestes in der Geschichte des Vereinigten Königreiches stützte sich das Parlament damals auf die Behauptung, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge und votierte für den Krieg. Doch angesichts des Chaos, welches der Krieg im Mittleren Osten verursachte und die daraus resultierenden Terrorangriffe in Großbritannien, sind Teile der herrschenden Klasse bezüglich einer Militärintervention in Syrien und ihren möglichen Folgen äußerst vorsichtig geworden.
Syrien und die imperialistischen Ambitionen
Dieser Zurückhaltung einiger Teile der herrschenden Klasse liegt in erster Linie ein taktisches Kalkül zugrunde. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob und inwieweit eine Militärinterventionen ihren Interessen dienlich sein könnte. Im Falle Afghanistan oder dem Irak lagen die Dinge offener zutage. Hierbei ging es nicht nur um den Versuch ein Terrornest auszuräuchern (welches vom CIA gelegt worden war um im sog. „Kalten Krieg“ die UdSSR zu schwächen), sondern um die Kontrolle des Ölmarktes und die Absicherung des Dollars als Leitwährung. Anfangs waren die USA und Israel ganz erfreut darüber, dass der Einfluss des Assad Regimes im Libanon unterminiert wurde. Doch angesichts der Gefahr eines noch größeren Chaos und der Stärkung des islamischen Fundamentalismus müssen sie nun ihre Position neu überdenken. Weder Bushs Ölkriege noch die Interventionen in Libyen haben die Ergebnisse gezeitigt, die der US-Imperialismus erhoffte und auch brauchte. Der Einsatz von US-Bodentruppen in einer äußerst gefährlichen und krisengeschüttelten Region könnte auch konterproduktive Folgen haben. Dieses Dilemma hat die Debatte innerhalb der herrschenden Klasse der USA neu entfacht. Während ein Flügel der Obama-Administration angesichts der eskalierenden Gewalt eher eine abwartenden Position bezog, haben andere wie bspw. die frühere Außenministerin Hillary Clinton, der ehemalige CIA-Chef Petraeus und der einstige Verteidigungsminister Panetta argumentiert, dass die fortgesetzte Unterstützung Katars und Saudi-Arabien für die islamistischen Gruppen früher oder später zur Herausbildung eines antiamerikanischen islamischen Regimes führen könnte. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, zeigte sich Obama einverstanden, säkulare Oppositionsgruppen mit Waffen zu unterstützen, was jedoch bisher keine erkennbaren Ergebnisse gebracht hat. Mit seiner Erklärung, dass ein Einsatz von Chemiewaffen ein „Überschreiten der roten Linie“ darstelle, wollte Obama seine Kritiker besänftigen und Assad eine Warnung zukommen lassen. Doch dies fiel ihm schmerzhaft auf die Füße als Außenminister Kerry erklärte, dass die USA stichhaltige Beweise hätten, dass das Assad-Regime am 21. August Saringas eingesetzt hätte. Kerry, der als Vietnamveteran Berühmtheit erlangte als er vor dem US-Kongress die Vergewaltigung, Ermordung und Erniedrigung vietnamesischer Zivilisten bezeugte und einen Truppenabzug aus Vietnam forderte, ist nun zum tonangebenden Kopf der Kriegstreiber geworden. Obama versuchte sich dem wachsenden Druck zu entziehen, indem er die Frage eines Syrieneinsatzes an den Kongress delegierte. Seit Jahrzehnten bestehen US-Präsidenten auf dem Recht als Oberkommandierende der Streitkräfte einen Krieg auch ohne die Zustimmung des Kongresses zu erklären. Doch mittlerweile zieht es Obama in Anbetracht der angespannten Lage vor, diese Verantwortung an andere weiterzugeben. Die Gegensätze und Spaltungen in der herrschenden Klasse der USA vertiefen sich derweil weiter. Die „Falken“ beharren weiterhin darauf, dass die eigentliche „rote Linie“ das Atomprogramm des Iran sei. Wenn in Syrien nicht entschieden eingegriffen werde, würde dies die Handlungsunfähigkeit oder wie sie sich ausdrücken, „Glaubwürdigkeit“ der USA gefährden und unterminieren. Geradezu gebetsmühlenhaft schließen sie all ihre Interventionen und Redebeiträge mit der Behauptung zu 100% hinter Israel zu stehen.
Israel wäre sicherlich ganz froh gewesen, wenn der Arabische Frühling niemals stattgefunden hätte. Das Ergebnis der seit 1948 geführten Kriege war faktisch eine Einkreisung durch diverse arabische Diktaturen, die sich jedoch in der einen oder anderen Weise mit Israel arrangierten oder wie im Falle Syrien es nicht wagten offen auf Konfrontation zu gehen. Doch der Sturz Mubaraks und die aktive Unterstützung, die die reaktionären Monarchien am Arabischen Golf den diversen islamistischen Gruppen zukommen lassen, haben den Status quo verändert und den Kreis der eingeschworenen Feinde Israels erweitert. Gegenwärtig sind die Islamisten noch zu schwach und zu zersplittert, um eine direkte Bedrohung darzustellen, dennoch wird die Situation von den israelischen Nachrichtendiensten mit großer Sorge beobachtet. Folgerichtig hat Israel auch nicht lange gezögert als sich die Hisbollah in Syrien einschaltete und mehrmals Stellungen der Hisbollah-Milizen auf syrischem Territorium bombardiert.
Dann ist da noch die Türkei. Ministerpräsident Erdogan hat sich in letzter Zeit mit wortgewaltigen Anklagen gegen den Westen in Szene gesetzt, in denen er das unentschlossene Vorgehen in Syrien und die Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mursi beklagte. Damit versuchte er in erster Linie von innenpolitischen Problemen, wie der Protestbewegung gegen die Islamisierungspolitik der AKP abzulenken. Gleichzeitig schlingert die türkische Wirtschaft seit 2009 immer tiefer in die Rezession. Zwar setzte in letzter Zeit eine gewisse Erholung ein, dies allerdings zum Preis wachsender Verschuldung. Angesichts des Absturzes der Lira um10% und einer massiven Kapitalflucht haben sich nun auch die Bedingungen für Kredite, mit denen die AKP einen Boom in der Baubranche anheizte, verschlechtert. Die Zahl von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien ist rasant gestiegen. Die Schließung der Handelsrouten nach Süden (LKW`s können die syrische Grenze nicht mehr passieren, so dass der Transport auf dem Schiffsweg nach Israel abgewickelt werden muss), ist ein weiterer Schlag für die türkische Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund ist es also nicht verwunderlich, dass Erdogan den Krieg in Syrien schnell beendet haben will. Wortgewaltige wenn auch leere Rhetorik passt ihm da angesichts bevorstehender Wahlen gut ins Konzept.
Russland, China und der Iran haben im bisherigen Konflikt ihre imperialistischen Ambitionen am deutlichsten zum Ausdruck gebracht. Auch wenn sie über Assads Vorgehen nicht gerade glücklich waren, haben sie dem syrischen Regime keine Sekunde ihre Unterstützung versagt. Der Iran entsandte Militärberater (und offenbar auch Kampftruppen), die die anfangs zurückweichenden Streitkräfte des Regimes wieder stabilisiert haben. China hat sich jeder Sanktion oder Intervention in Syrien verweigert und damit die altbekannte Strategie der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Regimes fortgesetzt (was sich gegenwärtig besonders in Afrika auszahlt, wo China immer mehr Einfluss erlangt). Für Russland steht in Syrien mehr auf den Spiel, da es der einzige souveräne Staat im Mittleren Osten ist, mit dem als ernsthafter Bündnispartner zu rechnen ist. Nach wie vor unterhält Russland in Syrien Militärbasen wie bspw. den größten Flottenstützpunkt außerhalb der heimischen Gewässer. Ein Zusammenbruch des Assad-Regimes wäre sowohl in materieller wie strategischer Hinsicht ein schwerer Rückschlag. Zudem hat Russland die Lehren aus dem Libyen-Konflikt gezogen. Das Unvermögen der russischen Diplomatie die Einrichtung einer Flugverbotszone zu verhindern, besiegelte letztendlich das Schicksal Gaddafis und versetzte den eigenen Ambitionen einen Dämpfer. Ein Luftschlag der USA könnte Russland dazu bewegen die Lieferung von S-300 Raketen nach Syrien zu intensivieren. Putin hat zwar angeboten die Lieferung von Raketenteilen an das Assad-Regime vorübergehend einzustellen, allerdings wurde dieses Kompromissangebot von den USA ausgeschlagen. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die russische Unterstützung für Assad weiterhin stark bleibt. Der größte Schachzug Russlands bestand jedoch darin, die wenig durchdachte Forderung Kerrys nach einer Ablieferung aller syrischen Chemiewaffen aufzugreifen und gegen die USA auszuspielen. Damit könnte eine Militärintervention für Monate verzögert, wenn nicht sogar abgewendet werden. Doch das ist alles andere als sicher. Zwar ist das syrische Regime auf den russischen Vorschlag unter der Bedingung eingegangen, dass die USA von der Drohung eines Militärschlages abrücken (,was Putin natürlich gerne akzeptiert hat), ob jedoch die Forderungen nach einem Verzicht auf einen Militärschlag auf der einen und der Vernichtung des Chemiewaffenarsenals auf der anderen Seiten im Rahmen einer UN-Resolution unter einen Hut zu bringen sind, bleibt abzuwarten.
No War but the Class War
Mittlerweile braut sich ein bedrohliches Szenario zusammen. Der Konflikt hat sich auf den Libanon ausgeweitet. Die Türkei wie auch der Iran sind mehr oder weniger direkt involviert. Amerikanische Flugzeugträger und russische Kriegsschiffe kreuzen im östlichen Mittelmeer. Britische Kampfflugzeuge sind trotz Camerons verlorener Abstimmung nach Zypern verlegt worden. Die USA haben Truppen, F-16 Kampfflugzeuge und Patriot-Raketenstellungen in Jordanien stationiert… All das zeigt dass wir es nicht einfach nur mit einem „Syrischen Bürgerkrieg“ zu tun haben wie uns die Medien gerne einreden wollen, sondern mit einem klassischen Stellvertreterkrieg, in dem die imperialistischen Gegensätze frontal aufeinanderprallen. Jeder unvoreingenommene nüchterne Beobachter kann sehen, dass dieses Säbelrasseln Hunderttausenden das Leben kosten und zu einer unabsehbaren Eskalation führen kann. Doch im Kapitalismus geht es nicht um nüchterne unvoreingenommene Betrachtungen sondern um die knallharte Durchsetzung imperialistischer Interessen. Angesichts der sich abzeichnenden Katastrophe befindet sich das syrische Proletariat in einer verzweifelten Situation. Es wurde entlang ethnischer und/oder religiöser Kategorien gespalten und damit politisch und sozial atomisiert. Auch die internationale ArbeiterInnenklasse verharrt in Passivität. Das liegt u.a. auch daran, dass sich die Militärorganisation und Kriegsführung geändert hat. Es gibt heute bspw. kaum noch Wehrpflichtigen Armeen. Die Arbeiterklasse bekommt die Auswirkungen der heutigen Kriege nicht mehr in der Weise zu spüren wie in vorherigen Kriegen. Gleichzeitig hat sich insbesondere in den Metropolen auch die Wahrnehmung der heutigen Kriege geändert. Sie scheinen weit weg zu sein und keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Leben der Menschen in den imperialistischen Zentren zu haben. Angesichts der Berichterstattung in den Medien fühlt man sich zuweilen an ein Szenario aus George Orwells „1984“ erinnert. Doch das heißt nicht, dass es keine Sensibilität für das Leid und Elend gibt, welches diese Kriege hervorbringen. Das Internet und die sozialen Netzwerke haben das Informationsmonopol der Herrschenden ein Stück weit angekratzt und das Weltgeschehen durchlässiger gemacht. Je mehr die Herrschenden versuchen den Unmut über ihre Kriege zu ignorieren, umso mehr diskreditieren sie sich selber und damit ihr System. Die weitsichtigen Teile der herrschenden Klasse wissen das, und dies erklärt bis zu einem bestimmten Grad auch ihre derzeitige Zurückhaltung. Doch die bestialischen Appetite des Kapitalismus werden sich nicht im Zaum halten lassen. Ob nun in Syrien, Mali oder dem Kongo – der barbarische Verteilungskampf um die Ressourcen dieses Planeten wird stets von neuem ausbrechen. Nach wie vor ist es notwendig dem Kriegstreiben entgegenzutreten ohne (wie viele Linke) in die verhängnisvolle Position zu verfallen, in diesem imperialistischen Gemetzel eine Seite unterstützen zu wollen. Es geht darum das System, welches Kriege und Diktatur hervorbringt, als Ganzes infrage zu stellen. Für die ArbeiterInnenklasse gibt es in diesen Auseinandersetzungen um Macht und Einflusszonen weder eine Seite zu unterstützen, noch ein kleineres Übel zu verteidigen. Der einzige Krieg den wir InternationalistInnen unterstützen ist der weltweite Klassenkrieg gegen das kapitalistische System als einziger Perspektive um Hunger, Ausbeutung und Kriege ein für alle Mal zu überwinden.
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