Die ägyptische Krise geht weiter: Machtkämpfe oben – Hunger und Armut unten!

Wieder einmal ist der Tahir Platz explodiert. Millionen demonstrierten auf den Straßen der wichtigsten Städte Ägyptens. Präsident Mursi wurde abgesetzt und vom Militär unter Arrest gestellt. An seiner Stelle wurde der ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, als Interimspräsident eingesetzt und die Verfassung außer Kraft gesetzt. Eine Übergangsregierung soll eine neue Verfassung erarbeiten und Neuwahlen vorbereiten, während die Armee unverändert Dreh- und Angelpunkt der Macht und Garant für die politische Stabilität des Landes bleibt. So war es unter Mubarak, so war es unter Mursis Regierung, und so ist es jetzt - angesichts einer heftigen Krise. Es ist somit kein Zufall, dass der neue starke Mann der Verteidigungsminister General Al Zizi ist, der nun die politische Nachfolge Mursis regelt.

Warum das alles? Warum gibt es in Ägypten immer noch ein Nachbeben des sogenannten Arabischen Frühlings? Zunächst muss man sehen, dass die tiefe Wirtschaftskrise, die der Auslöser für die Demonstrationen gegen Mubarak waren, noch immer nicht gelöst ist, sondern sich vielmehr verschärft und alle gesellschaftlichen Schichten erfasst hat. Innerhalb von zwei Jahren hat Ägypten in wirtschaftlicher Hinsicht zehn Schritte zurückgemacht. In einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt, liegt die Arbeitslosigkeit nach offiziellen Zahlen mittlerweile bei 40%. Die zunehmende Verelendung scheint ein unaufhaltsamer Prozess zu sein. Es ist somit verständlich, dass die soziale Unzufriedenheit wächst und sich bei der ersten Gelegenheit auf den Straßen Bahn bricht.

Der Auslöser der Proteste war die Enttäuschung über die Mursi-Regierung und ihrer Muslimbruderschaft, die Demokratie und Gerechtigkeit gepredigt hatte und mit diesem Versprechen vor einem Jahr geradezu ins Amt gespült wurde. Mursi hat die großen Erwartungen unterschätzt und mit seiner fundamentalistischen Clique die alte Tradition der diktatorischen Machtausübung und Korruption unverändert fortgesetzt. Außer der Verschärfung der Krise und der religiösen Verpackung der Macht hatte sich nichts verändert.

Es war die Kombination dieser beiden Faktoren, die zu den Demonstrationen gegen – aber auch - wenn auch zahlenmäßig schwächer - für Mursi führten. Nationale wie internationale politische Beobachter kamen schnell zu der Schlussfolgerung, dass ohne eine politische Intervention ein blutiger Bürgerkrieg drohe, der Ägypten und damit die ganze Region in eine tiefe politische Krise stoßen könnte. Dies würde die schwierige Balance zwischen Israel und der arabischen Welt, bzw. zwischen der Europäischen Union und den USA ins Wanken bringen – von den Auswirkungen auf den Ölpreis und die internationalen Finanzmärkte gar nicht zu reden.

Um Wirtschaftsinteressen zu sichern und die politische Situation unter Kontrolle zu bekommen, musste dieser Krise zuvorgekommen werden, bevor der Unmut auf den Straßen zu weit gehen würde. Diese Aufgabe wurde von der ägyptischen Armee vorerst erfüllt. Sie stürzte die Regierung, stellte Mursi unter Arrest, versprach innerhalb eines Jahres Neuwahlen und machte in Person von General Al Zizi deutlich, wer das Sagen hat. Diese Systemsicherung wurde in einer Art und Weise durchgeführt, die den Massen möglichst gut vermittelbar war. Bei dieser Operation ist besonders augenfällig, dass die Armee sehr darauf bedacht war nicht mit offener Gewalt auf den Straßen zu intervenieren. Es sollte jeder Anschein eines Putsches vermeiden werden, obwohl gerade ein solcher im Gange war. Dieser Putsch in Samthandschuhen trägt die deutliche Handschrift der Obama-Administration: Die USA hatten hier ein dreifaches Interesse: Die Verhinderung einer Krise, die die amerikanischen Pläne im Nahen Osten gefährden und durcheinander bringen könnte. Das Verhältnis Ägyptens zu Israel sollte keinen Schaden nehmen und alles soll bleiben wie zuvor. Hierbei kamen der US-Regierung die seit jeher engen Verbindungen zur ägyptischen Armee zugute, die mit ihrer starken Struktur die einzige durchsetzungsfähige Kraft in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht ist. Um die politischen Geschehnisse entscheidend zu beeinflussen, konnte und kann auch auf das Mittel der Erpressung gesetzt werden, da jährlich 1.3 Milliarden US-Dollar in die Taschen der ägyptischen Militärs fließen. Was die politische Neugestaltung Ägyptens angeht, so ist der Führer der säkularen Opposition, Mohammed al Baradei, ein besonderer Wunschkandidat Obamas für die anstehenden Präsidentschaftswahlen. Vor zwei Jahren, als die Situation auf dem Tahir Platz aus den Fugen geraten war, konnte Obama dieses Spiel noch nicht spielen. Damals musste er – wenn auch mit großen Bedenken – auf eine islamistische Regierung setzen, die auch prompt ihre Bündnistreue zu den USA bekundete und erklärte die Vereinbarungen mit Israel nicht aufkündigen zu wollen.

Zusammenfassend lässt sich also gegenwärtig feststellen, dass Millionen verzweifelter Ägypter auf die Straßen geströmt sind, es aber gleichzeitig zugelassen haben, dass über ihre Köpfe hinweg ein abgekartetes Spiel gespielt wird. Auf der anderen Seite wurden die Demonstrationen vom Militär als Vorwand genutzt, um nach der Macht zu greifen. Die Absetzung Mursis ist ein politischer Punktsieg für den US-Imperialismus, der nun versucht sein Image und seine Akzeptanz in einer Region auszubauen, in der er vorher als Fremdkörper abgelehnt wurde. Weitaus beunruhigender ist die Tatsache, dass die Bekanntgabe der Absetzung Mursis durch das Militär auf dem Tahir Platz wie ein Sieg gefeiert wurde. Aber solange es in solchen Situationen keine revolutionäre Partei mit einem politischen Programm gibt, welches eine wirtschaftliche und soziale Alternative zum Kapitalismus bietet, solange niemand versucht die Fesseln, die die Massen an das Gesetz des Kapitals und all seine politischen Aushängeschilder - ob nun säkular oder religiös - binden zu kappen, ist alles möglich, - allerdings stets unter den gleichen Rahmenbedingungen und im alten Trott: Mal Mubarak dann Tantawi, mal Tantawi dann Mursi, mal eine säkulare Regierung, dann eine religiöse und dann wieder eine säkulare …

Zwischenzeitlich spitzt sich die Krise des Kapitalismus zu, während der Kapitalismus an sich jedoch nicht grundlegend infrage gestellt wird. Während immer mehr ägyptische ArbeiterInnen arbeitslos werden und verarmen, führt die Armee das Kommando und agiert wie in diesem Fall im Einklang mit dem US-Imperialismus.(F.D.)

Saturday, July 6, 2013