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Startseite ›Südafrika: Das Massaker von Marikana
Der ANC hat zu keinem Zeitpunkt seiner Geschichte eine revolutionäre Veränderung der wirtschaftlichen Grundlage unseres Landes propagiert (…) oder die kapitalistische Gesellschaft abgelehnt“. Diese Worte Nelson Mandelas aus seiner 1964 vor Gericht gehaltenen Rede haben sich nun blutig bestätigt. Am 16. August erschoss die Polizei in der 60 Kilometer nördlich von Johannesburg gelegenen Platinmine Marikana 34 ArbeiterInnen und verletzte 78 weitere schwer. Die streikenden MinenarbeiterInnen forderten eine Erhöhung ihres Lohns von derzeit 4000 Rand (ca. 380 Euro) auf 12500 Rand (ca.1190 Euro) monatlich. Eine derartige Lohnerhöhung wurde von der Minengesellschaft „Lonmin“ als „inakzeptabel“ abgelehnt. Polizeieinheiten wurden ausgeschickt um den Streik niederzuschlagen. Dieses Ereignis zeigt einmal mehr, dass der regierende ANC und seine Handlanger der sogenannten „Kommunistischen Partei“ Südafrikas (SACP) und des Gewerkschaftsbundes COSATU nicht zögern ArbeiterInnen abzuschlachten, wenn die Profite des Kapitalismus in Südafrika zur Disposition stehen. Die Lohnforderung, die die Minengesellschaft, die Gewerkschaften und die südafrikanische Regierung als überzogen ansehen, würde den ArbeiterInnen nicht einmal einen europäischen Mindestlohn einbringen. Um die Hintergründe des Streiks in Marikana zu verstehen, muss man sich die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen vergegenwärtigen. Die meisten ArbeiterInnen leben in Unterkünften, in denen während der Apartheid ArbeitsmigrantInnen untergebracht waren. Eine bedeutende Zahl an ArbeiterInnen ist jedoch dazu übergegangen in der Nähe der Mine Hütten zu errichten. Das hat zwar den Vorteil, dass sie dort mit ihren Familien wohnen können, allerdings haben diese selbstgebauten Hütten weder Elektrizität noch Anschluss an die Kanalisation. In der Regel müssen sich mehrere Hütten einen einzigen Wasserhahn teilen. Die Mine, die einer der ergiebigsten in der Welt ist, beschäftigt 28000 ArbeiterInnen. 3000 von ihnen schuften als sog. „rock drillers“ in den Bohrtrupps. Die Arbeit in den Bohrtrupps ist die gefährlichste und härteste in der Mine. Bei der täglichen Arbeit in 8-Stundenschichten mit einem 25 kg schweren Pressluftbohrer kommt es regelmäßig zu Arbeitsunfällen mit abgetrennten Fingern, Knochenbrüchen oder zu Tode gequetschten ArbeiterInnen.
Die offizielle Gewerkschaft, die National Mineworkers Union (NUM) ist eine der Hauptstützen der COSATU und wie alle anderen Gewerkschaften fest mit der Regierung verfilzt . Die NUM hatte mit der Minengesellschaft „Lonmin“ eine Vereinbarung getroffen, die das derzeitige Lohnniveau bis Ende 2013 festschreibt. Um ihre Lohnforderungen durchzusetzen, traten die ArbeiterInnen unabhängig von der offiziellen Gewerkschaft in Aktion und wurden dabei von einer neuen und nicht anerkannten Gewerkschaft, der „Association of Mineworkers und Construction Union“ (AMCU) unterstützt. „Lonmin“ zog vor Gericht und erreichte, dass der Streik am 11. August für illegal erklärt wurde. Die ArbeiterInnen wurden unter Androhung der Entlassung aufgefordert die Arbeit bis zum 17. August wieder aufzunehmen. Die Streikenden lehnten dies ab, bewaffneten sich mit traditionellen Waffen und besetzten einen kleinen Hügel in der Nähe der Mine, wo sie Massenversammlungen abhielten. Als die Polizei versuchte diesen Hügel zu räumen, kam es zu dem besagten Massaker.
Auch wenn die herrschende Klasse Südafrikas und besonders die SACP und die COSATU versuchte alles als Folge innergewerkschaftlicher Auseinandersetzungen darzustellen, ist es offenkundig, dass es sich hier um ein klassisches Beispiel für einen ArbeiterInnenkampf gegen das Kapital handelt. Die Brutalität, mit der die Herrschenden diese Auseinandersetzungen führen, ist nun für jede und jeden ersichtlich. Die Gewerkschaften haben die Situation verkompliziert indem sie versuchten die ArbeiterInnen untereinander zu spalten. Die NUM steht eindeutig auf Seiten des Unternehmens und hat alles versucht um die Streikenden zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen, während sich die AMCU die Forderungen des Streiks zu Eigen gemacht hat. Die NUM ist bei den ArbeiterInnen von Marikana äußerst unbeliebt. Als der stellvertretende Vorsitzende der NUM 2010 nach Marikana kam um die ArbeiterInnen zu überzeugen das Lohnangebot von „Lonmin“ zu akzeptieren, verlor er durch einen geworfenen Stein ein Auge. Als diesmal ein Bürokrat der NUM zur Mine kam um die ArbeiterInnen zu besänftigen, wurde er von der Polizei in einem gepanzerten Wagen eskortiert. Er weigerte sich das Fahrzeug zu verlassen und versuchte seine Rede aus dem Wagen heraus zu halten. Die Botschaft der NUM war eindeutig: Die Forderung nach 12500 Rand mehr Lohn sei „unerreichbar“ und die ArbeiterInnen sollten den „illegalen“ Streik beenden. Die NUM hat in Marikana einiges zu verlieren, da sie Mitglieder an die AMCU verliert. Sollte ihre Mitgliedschaft unter die 50%-Marke fallen, verliert sie ihre Verhandlungsposition und damit eine Reihe Privilegien. Von den regelmäßigen Schmiergeldern und Vergünstigungen, die die Minengesellschaft den Gewerkschaftsbürokraten zukommen lässt gar nicht zu reden. Daher hat die NUM allerlei Hebel in Bewegung gesetzt, um die Streikenden und die konkurrierende AMCU zu diskreditieren. Bereits vor dem Polizeimassaker wurden 10 Menschen getötet. Es gibt Gerüchte, denen zufolge die Auseinandersetzungen ausbrachen, als von der NUM angeheuerte Heckenschützen zwei Streikende erschossen hatten. Dies führte zu Vergeltungsaktionen, in deren Verlauf 8 weitere Menschen getötet wurden, darunter zwei Polizisten und ein Spitzel. Der NUM ist es zeitweilig gelungen die ArbeiterInnen zu spalten. Dennoch konnten die Streikenden dadurch nicht von ihrer zentralen Lohnforderung abgebracht werden. Vielmehr hat das Blutbad die Streikenden in ihrer Entschlossenheit gestärkt. Die Minengesellschaft „Lonmin“ musste ihr Ultimatum zurückziehen. Gleichzeitig schaltete sich Präsident Zuma in die Auseinandersetzung ein. Um dem ANC-Regime wieder Glaubwürdigkeit zu verschaffen verkündete er eine Woche Staatstrauer und die Einsetzung einer Untersuchungskommission.
Der Streik weist Ähnlichkeiten mit dem bei der Mine „Impala Platin`s Rustenburg“ im Januar auf. Auch dieser Streik entwickelte sich unabhängig von der NUM und wurde für illegal erklärt. Nach dem üblichen Ultimatum feuerte die Minengesellschaft 5000 ArbeiterInnen. Dadurch traten jedoch weitere ArbeiterInnen in den Streik. Die Minengesellschaft feuerte weitere 17000 ArbeiterInnen aber der Streik ging weiter. Nach sechs Wochen Streik und dem Verlust von 21% der jährlichen Produktion kapitulierte die Gesellschaft schließlich. Die meisten entlassenen ArbeiterInnen wurden wieder eingestellt und der Lohn von 3000 Rand auf 9500 Rand erhöht. Das Marijana-Massaker hat die Sympathie und die Unterstützung für den Streik verstärkt. Derzeit sieht es so aus, dass sich auch in anderen Orten und Sektoren Streiks und Auseinandersetzungen entwickeln. So haben die Minenarbeiter bei der „Anglo American Group“ und der „Royal Bafokeng Platinum“ unabhängig von der NUM ähnliche Lohnforderungen aufgestellt wie die ArbeiterInnen in Marikana.
Der ANC – Politischer Arm des Kapitalismus in Südafrika
Wie wir bereits in anderen Texten ausgeführt haben, wurde der ANC an die Macht gebracht, um den südafrikanischen Kapitalismus aus der Sackgasse herauszuführen, in die ihn das Apartheid-Regime geführt hatte. Der ANC wurde zum ausführenden Arm des südafrikanischen Kapitals, während die afrikanischen Nationalisten die Staatsmacht nutzten um sich in die herrschende Klasse einzugliedern. Die jüngsten Schüsse auf streikende ArbeiterInnen haben klarer als alle vorangegangen politischen Verbrechen gezeigt, auf welcher Seite der Barrikade der ANC wirklich steht. Die herrschende Klasse Südafrikas hat als Ganzes von der 18jährigen Herrschaft des ANC profitiert. In dieser Zeit ist die südafrikanische Wirtschaft jährlich im Schnitt um 3.3% gewachsen. Vorher wurden allenfalls Wachstumsraten von 1.6% erzielt. Die Wirtschaftskraft hat sich unter der Herrschaft des ANC fast verdoppelt. Gleichzeitig haben sich die Lebensbedingungen der ArbeiterInnenklasse enorm verschlechtert. Die Arbeitslosenrate liegt bei 40%. Eine städtische Unterschicht von 12 Millionen Menschen ist auf Sozialleistungen angewiesen und 50% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Selbst die Weltbank bescheinigt Südafrika die Gesellschaft mit der größten Ungleichheit in der Welt zu sein. Eine kleine Gruppe von Politkern hat sich enorm bereichert. Dafür gibt es einige beeindruckende Beispiele: Cyril Ramaphosa, ein ehemaliger Führer der NUM, ist nun ein Bergbau-Magnat und einer der reichsten Männer Südafrikas. In dieser Funktion unterstützt er gerade die Minengesellschaft „Lonmin“ in ihrem Kampf gegen die Lohnforderungen der der ArbeiterInnen. Zuma der in eine Reihe von Korruptionsskandalen verstrickt ist, hat sein Amt trefflich genutzt und ein millionenschweres Vermögen eingeheimst. Familienangehörige von Zuma und Mandela sind in das Bergbaugeschäft eingestiegen. Wie auch in anderen bürgerlichen Regimen ist die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten und drei Viertel aller Kabinettsmitglieder in kapitalistische Unternehmungen verstrickt. In dem Maße, wie der bürgerliche Charakter des ANC immer deutlicher zutage tritt, melden sich jedoch auch zunehmend kritische politische Stimmen zu Wort. So schreibt bspw. die Basis- und Selbsthilfeorganisation „Abahlali base Mjondolo“ („die Hüttenbewohner“) in einem Statement nach Marikana über die Rolle des ANC: „Der ANC kümmert sich nicht um die Menschen in diesem Land. Sie stecken uns in Übergangslager und versuchen uns in Bantustans zu halten. Sie lassen uns jeden Winter in unseren Hütten verbrennen. Sie schlagen uns in Polizeistationen. Sie erschießen uns auf der Straße. Millionen von uns können keine Arbeit finden. Eine Regierung, die auf ihre Bürger schießen lässt, handelt unmoralisch und muss von jeder und jedem abgelehnt werden. Was gestern geschehen ist unterscheidet sich nicht von den Morden der Apartheid-Regierung. Es unterscheidet sich nicht von dem Shapeville Massaker von 1960, welches 69 Menschenleben kostete. Es unterscheidet sich nicht von dem Baipotong Massaker von 1992, bei dem 45 Menschen ums Leben kamen. (…) Wir müssen aufhören uns einzubilden, dass diese Politiker unsere Genossen sind“
Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Der ANC hat die ArbeiterInnenklasse als Fußtruppe benutzt, um an die Macht zu kommen, aber wenn diese Klasse ihre eigenen Interessen geltend macht und die Arbeit verweigert zögert er keine Sekunde um auf sie schießen zu lassen.
Die Rolle der Gewerkschaften
Wir oben schon ausgeführt ist der Gewerkschaftsbund COSATU zusammen mit der SACP und dem ANC Teil eines Bündnisses welches Südafrika regiert. ArbeiterInnen, die außerhalb und unabhängig der Gewerkschaften Forderungen aufstellen und für ihre Interessen kämpfen, stellen für die COSATU und das gesamte Bündnis eine große Bedrohung dar. Gegenwärtig behauptet dieses Bündnis, dass die ArbeiterInnen von inoffiziellen Gewerkschaften und Streikführern aufgehetzt und verführt worden seien. In diesem Sinne fordert die SACP auch die Verhaftung von StreikführerInnen und AMCU-Mitgliedern. Bezüglich einer Verurteilung der Polizei war von ihr freilich wenig zu hören. Die Gewerkschaften der COSATU und besonders die NUM wurden für ihre Handlangerdienste zur Disziplinierung der ArbeiterInnen reich belohnt. Der Führer der NUM, Frans Baleni, der im Gegensatz zu den MinenarbeiterInnen ein Monatsgehalt von 105 000 Rand bezieht, hat öffentlich seine Verachtung gegenüber den „rock drillers“ zum Ausdruck gebracht, indem er sie als Analphabeten und unqualifizierte ArbeiterInnen bezeichnete. Als in einer von Zumas Neffen Khulubuse Zuma und Mandelas Enkel Zonda Mandela betriebenen Mine eine Gruppe von ArbeiterInnen über 18 Monate keinen Lohn ausgezahlt bekam, verweigerte die NUM ihre Unterstützung, obwohl die Betroffenen Mitglieder der NUM waren. Dies zeigt einmal mehr, wie sie den Klassenkampf sabotieren und die Interessen des südafrikanischen Kapitalismus verteidigen.
Die AMCU ist eine relative neue Gewerkschaft. Sie wurde 1998 von unzufriedenen ArbeiterInnen und aus der NUM ausgeschlossenen Funktionären gegründet und ist nicht der COSATU angegliedert. Dies gibt ihr einen gewissen Bewegungsspielraum. In den jüngsten Streiks konnte sie ihre Mitgliedschaft vergrößern. Doch selbst wenn sie die NUM als von der Minengesellschaft anerkannte Gewerkschaft ersetzen könnte, käme ihr dieselbe Aufgabe zu: Die Geschäftsbedingungen des Verkaufs der Ware Arbeitskraft auszuhandeln. Durch diese Funktion würde sie wie derzeit die NUM zu einem Werkzeug der Bosse der Minengesellschaft werden. Wer im Rahmen des kapitalistischen Systems über bessere Arbeitsbedingungen verhandeln will, muss auf kurz oder lang die Logik des kapitalistischen Profitstrebens und damit die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse akzeptieren und anerkennen. Nach dieser Logik müssen die von den Gewerkschaften vertretenden Bereiche und Sektoren profitabler und „konkurrenzfähiger“ werden, damit u.U. vielleicht auch für die ArbeiterInnen ein paar Krümel mehr abfallen können. Da sie die Sachzwänge dieses Systems akzeptieren und fest verinnerlicht haben, agieren die Gewerkschaften unweigerlich als Unterstützer und Verteidiger des jeweiligen nationalen Kapitals (bzw. Standortes). Ihre Aufgabe besteht darin den Arbeitsprozess mitzugestalten und Entlassungen und Lohnkürzungen umzusetzen – also all die Dinge zu tun, die den ArbeiterInnen in den metropolitanen Ländern schon zur Genüge bekannt sind. Die einzige Alternative dazu besteht in der revolutionären Überwindung des kapitalistischen Systems und der Abschaffung der Lohnarbeit – ein Weg, den keine Gewerkschaft mitgehen wird. Dies erfordert eine politische ArbeiterInnenorganisation, die in der Lage ist, in den weltweiten Kämpfen die revolutionäre Perspektive einer anderen Form des Produzierens und gesellschaftlichen Zusammenlebens auf die Tagesordnung zu setzen. Das Massaker von Marikana hat einmal mehr die Gewalt und Repression deutlich gemacht mit der ArbeiterInnen zu rechnen haben, wenn sie sich gegen die Ausbeutung zur Wehr setzen. Die Gewalt dieses Systems kennt keine Grenzen. Die gleichen Dinge geschehen in China, Brasilien und vielen anderen Ländern der sog. „Peripherie“ des Kapitalismus. Dass sich die Bourgeoisie in den sog. „demokratischen“ Ländern des Westens mit derartigen Repressionen (noch) zurückhält, ist im Wesentlichen der Tatsache geschuldet, dass sich hier der Klassenkampf noch immer auf relativ niedrigem Niveau abspielt. Doch wenn sich das ändert, wird es nicht lange dauern, bis die bürgerliche Repression auch hier mit voller Härte zuschlägt. Die politischen, juristischen und organisatorischen Mittel für derartige Maßnahmen sind schon lange in Vorbereitung und die Herrschenden experimentieren fleißig mit allerlei „Aufstandsbekämpfungsprogrammen“ (denken wir z.B. an Genua 2001).
Doch einfach nur die bürgerliche Repression und ihre Opfer zu beklagen reicht nicht aus. Um zu verhindern, dass die zukünftigen Kämpfe einfach nur zur Zielscheibe der Repression werden, ist es notwendig schon heute Schritte zum Aufbau einer internationalen und internationalistischen revolutionären Organisation zu machen. Nur so wird es KommunistInnen möglich sein entschlossen zu intervenieren, der Gewalt der Herrschenden zu widerstehen und die Kämpfe von Morgen zum Ausgangspunkt der Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft zu machen.(CP)
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