Italienische Kommunisten in Stalins Gulag

1936, 1937, 1938 … innerhalb dieser Jahre wurden im Zuge der berüchtigten Moskauer Schauprozesse die gesamte „alte bolschewistische Garde“ und jeder Ansatz einer Klassenopposition zerschlagen. Doch der Prozess der Verfolgung und des Ausmerzens jeder Opposition hatte schon wesentlich früher begonnen. Es waren die Jahre die Victor Serge später als die „Mitternacht des Jahrhunderts“ bezeichnete. (1) Die Terrorwelle der Moskauer Prozesse entwickelte sich vor dem Hintergrund des ersten Fünfjahresplans und der sog. „Kollektivierungen“ die in einem einzigen Desaster geendet hatten. Um zu versuchen dem Hungertod zu entgehen waren Millionen Bauern in die Städte geflohen, wo die Nahrungsmittelversorgung jedoch ebenfalls katastrophal war. Sie mussten unter erbärmlichen Bedingungen auf den Straßen dahinvegetieren. In den Betrieben wurde der Arbeitszwang immer mehr gesteigert, während die Löhne kaum zum Leben reichten.

Zwei Monatsgehälter reichten nicht aus um eine Mütze zu erwerben, ein unverzichtbares Gut um die harten russischen Winter zu überleben. Die Wohnsituation war katastrophal. Während Parteifunktionäre in gut bewachten Hotels wohnten, mussten sich die Arbeiter winzige Wohnungen mit mehreren Familien teilen. Die soziale Ungleichheit wuchs immer mehr. Die schlechte Nahrungsmittelversorgung und der Unmut der Arbeiterklasse führten im Partei - und Staatsapparat zu wachsender Nervosität. Stalin fürchtete ernsthaft um seine Macht. Am 1. Dezember 1934 wurde der Petrograder Parteifunktionär Kirow unter mysteriösen Umständen ermordet. Dies gab Stalin den Vorwand eine gigantische Säuberungswelle gegen potentielle Rivalen im Partei- und Staatsapparat zu entfesseln. Innerhalb von vier Tagen wurden alleine in Petrograd 40 000 Menschen verhaftet. All jene die 1927/28 für oppositionelle Aktivitäten aus der Partei ausgeschlossen und dann für kurze Zeit wieder aufgenommen worden waren, wurden nun erneut verhaftet. Doch die stalinistische Repression begrenzte sich nun nicht mehr auf die Führungsebenen der russischen Partei. Auch nach Russland geflohene italienische Kommunisten wurden von den Schauprozessen erfasst. Ganz im Sinne der gegensätzlichen aber dennoch konvergierenden Interessen des italienischen Stalinismus und des antikommunistischen Blocks wurde ihr Schicksal lange Zeit entweder verschwiegen oder verzerrt dargestellt. Die russischen Archive sind erst seit 1990 zugänglich. Seitdem wurde die sog. Akademische Welt mit einer ganzen Reihe von Publikationen beglückt. Wir sollten uns jedoch klar sein, dass die „historische Wahrheit“ je nach Gutdünken nur einen Teil des wirklich Geschehenen wiedergibt. Gleichzeitig halten wir es für notwendig an jene Genossen zu erinnern, die ihre kommunistische Aktivität mit dem Leben bezahlten. Wer heute für die gleiche Sache kämpft, muss versuchen im Nachhinein die gesamte Tragweite des historischen Prozesses zu verstehen, in dem diese Genossen zu Opfern wurden, ohne wahrscheinlich genau erfassen zu können was ihnen geschah.

Bezüglich der Opferzahlen machen die Quellen unterschiedlich Angaben. Es wird geschätzt, dass in den 30er Jahren ca. viertausend italienische Flüchtlinge in der UdSSR lebten. Nach Angaben der „erneuerten“ PCI sollen von diesen ca. einhundert in der „stalinistischen Periode“ unter Repressionen gelitten haben. Jüngste historische Studien gehen jedoch von einer Opferzahl von eintausend aus. Nach den Schätzungen der faschistischen Behörden sollen von 1922 bis 1928 sechshundert politische Flüchtlinge in der UdSSR gelebt haben. Nahezu alle von ihnen gelangten über Frankreich oder die Schweiz in die Sowjetunion. Diese Genossen gerieten in den Mahlstein der Geheimpolizei, faschistischer Banden und schließlich der Sondertribunale. Sie alle waren seit 1921 standhafte revolutionäre Aktivisten gewesen. Zweihundertfünfzig von ihnen wurden in den berüchtigten Gefängnissen Lubjanka oder Butovo erschossen, oder starben in den diversen Gulags an Hunger und Unterernährung. Nur sehr wenige Überlebende haben später von ihren Erlebnissen berichtet. Nach der von La Pietra herausgegebenen „Enzyklopädie des Widerstands und Antifaschismus“ wurden von 1926 bis 1943-42 Menschen von den Sondertribunalen zum Tode verurteilt und 31 Urteile vollstreckt. Nur vier dieser Urteile sollen Italiener betroffen haben, der Rest richtete sich gegen jugoslawische Aktivisten. Einen besonders hohen Blutzoll zahlten die nach Russland geflohenen deutschen Kommunisten. Die meisten von ihnen wurden erschossen, starben im Gulag oder wurden im Zuge des Hitler-Stalin Paktes an die Gestapo ausgeliefert. Bei seiner Ankunft musste jeder Immigrant die sog. „aneteka“, einen besonderen Fragebogen ausfüllen und Angaben über seinen politischen Hintergrund, seine Ideen und Verbindungen machen. Dieser wurde dann in den Archiven der Komintern aufbewahrt und regelmäßig durch Berichte von Spitzeln und Informanten ergänzt und aktualisiert. Italienische Kommunistinnen und Kommunisten wurden als erstes gefragt, ob und welche Verbindungen sie mit Amadeo Bordiga hatten, und was sie über seine Absetzung aus der Parteiführung dächten. In anbetracht der Tatsache, dass die Linke um Bordiga in der italienischen Partei großen Einfluss gehabt hatte, bevor sie schließlich mit bürokratischen Methoden ausgeschlossen wurde, hang jedem italienischen Kommunisten der Verdacht des „Bordigismus“ an. Während der Befragungen mussten die Angeklagten zuweilen über politische Aktivitäten Rechenschaft ablegen, die mehr als 10 oder 15 Jahre zurücklagen. Das Ziel bestand darin den Befragten zum Einlenken und Kapitulieren zu bringen, um ihm dann einen Unterwerfungsakt unter die Partei abzuringen, die stets als Organisation dargestellt wurde die immer Recht habe. So sollte er zu Diensten als Spitzel und Provokateur gebracht werden, um weitere Kreise zu infiltrieren, Informationen zu liefern um weitere Leute ans Messer zu liefern. Für das Nennen der Namen von „Konterrevolutionären“ wurde oftmals ein Ende der ganzen Tortur in Aussicht gestellt.

Auf den Urteilsbescheinigungen der Verurteilten befand sich dann das Akronym KRTB. Es stand für „Konterrevolutionärer Trotzkist/Bordigist“ und bedeutet in der Regel die Höchststrafe: Sofortige Hinrichtung oder Verbannung zu Schwerstarbeit bei den niedrigsten Essensrationen. In der Lagerhierarchie der Gulags standen die politischen Häftlinge auf der untersten Stufe. Tonangebend waren meist Kriminelle, die von den Lagerleitungen bewusst eingesetzt worden um den täglichen Alltag zu organisieren. Im Zuge dieses Terrors starben in Stalins Lagern weitaus mehr Kommunisten als in den faschistischen Lagern.

Virgilio Verdaro

Einer der ersten Italiener die mit der sowjetischen Justiz Bekanntschaft machten war Virgilio Verdaro (1885-1960). Im Ersten Weltkrieg war er wegen defätistischer Propaganda inhaftiert worden. Er stand Bordigas Zeitschrift Il Soviet nahe. 1918 war der der Koordinator der Absentionistischen Kommunistischen Fraktion in der Toskana, die dank seiner Aktivitäten eine beträchtliche Anhängerschaft gewinnen konnte. (2) Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Kommunistischen Partei von Italien (PCd `I) die am 15. Januar 1921 im Theater San Marco in Livorno ins Leben gerufen wurde, und Mitglied des Zentralkomitees. 1924 schickte ihn die Partei in die UdSSR wo er im berüchtigten Hotel Lux unterkam. Als Mitglied der Linken begegnete man ihm mit äußerstem Misstrauen. Zudem stand er der Politik der „Bolschewisierung die maßgeblich durch Sinowjew in der Internationale und in der italienischen Partei auf der Konferenz von Como (1924) und dem Kongress von Lyon (1926) durchgedrückt wurde, äußerst kritisch gegenüber. 1927 stellte ihn die Geheimpolizei GPU unter permanente Beobachtung. Da er seine baldige Verhaftung befürchtete floh er 1931 mit Hilfe italienischen GenossInnen aus der UdSSR. Seine Frau und Lebensgefährtin Emilia Mariottini konnte ihn nicht begleiten da sie schwanger war. Als sie sich weigerte ihren Mann zu denunzieren und Spitzeldienste zu leisten, kündigte man ihren Arbeitsplatz und warf sie noch dazu aus ihrer Unterkunft. Später verlor sie ihren Sohn und lebte in bitterer Armut bis sie schließlich 1945 das Land verlassen konnte. Inzwischen war Verdaro nach Belgien übergesiedelt wo er mit GenossInnen der Fraktion der Kommunistischen Linken zusammenarbeitete und unter dem Pseudonym Gatto Mammone für ihre Zeitung „Prometeo“ regelmäßig Artikel verfasste. In seinen Texten unterzog er die Politik des Stalinismus einer harten Kritik. Nach dem Ausbruch des Krieges siedelte er in die Schweiz, wo er jeden Kontakt zu anderen GenossInnen verlor und der Sozialistischen Partei in Ticinese beitrat. Er kehrte schließlich nach Italien zurück und starb in Florenz ohne jedoch zu seinen revolutionären kommunistischen Positionen zurückzukehren.

Die sog. „Gruppe Calligaris“

Luigi Calligaris (1984-1937) war eng mit der Linken verbunden und wurde schließlich aus der Partei ausgeschlossen. Nach fünf Jahren faschistischer Haft floh er 1933 in die UdSSR. Er übernahm unverzüglich den Vorsitz eines Moskauer Zirkels in dem sich politische Emigranten zu regelmäßigen politischen Diskussionen trafen. Dieser Kreis stand natürlich unter strenger Beobachtung der GPU, die die Gruppe mit zahlreichen Spitzeln infiltrierte. Ebenso gab er Kurse an der Lenin Universität, wurde jedoch schnell von dieser Position wegen seines offenen und hartnäckigen „Bordigismus“ entfernt. Dennoch nahm er weiterhin an den Diskussionstreffen teil und bildete zusammen mit Alfredo Bonciani, Ezio Biondini, Rodolfo Bernitech, Giovanni Bellusich, Arnaldo Silva, Giuseppe Sensi und den Anarchisten Otello Gaggi und Gino Martelli eine Gruppe „der Linken“. Mit den ersten vier gelang es ihm im Dezember 1934 trotz scharfer Zensur einen Brief nach Brüssel an „Prometeo“, das Zentralorgan der Fraktion der Kommunistischen Linken zu schmuggeln. In diesem unterzogen sie die politische Situation in der Sowjetunion und der Kommunistischen Partei einer scharfen Kritik. Aufgrund stalinistischer Spitzel in Brüssel wurde er kurz nach Erscheinen des Artikels in „Prometeo“ verhaftet, verhört und schwer gefoltert, um ihm die gewünschten Geständnisse abzuringen. Er wurde zu drei Jahren Gulag verurteilt (die Strafe wurde später sogar noch heraufgesetzt) und starb wahrscheinlich 1937 an Unterernährung.

Ein weiteres Mitglied der Gruppe, Merini, wurde nach zehn Jahren aus dem Gulag entlassen. Aber er war politisch gebrochen. Noch immer unter ständiger Beobachtung der GPU stehend bat er ein Mitglied (G. Pajetta) einer Delegation der PCI die sich gerade zu einem Kongress in Moskau aufhielt um seine Heimkehr nach Italien. Am nächsten Tag wurde er wieder verhaftet und zu weiteren zehn Jahren Gulag verurteilt. Er wurde dort von einem Kriminellen unter nicht geklärten Umständen ermordet. Belusich und Bernetich wurden wahrscheinlich 1937 erschossen. Gaggi und Martelli (die in Italien zu zwanzig und dreißig Jahren Gefängnis verurteilt worden waren) kamen im Gulag um. Bonciani wurde von zwei italienischen Kriminellen in einem Sanatorium erstochen. Für diese Tat wurden sie zu gerade einmal drei Monaten verurteilt. Es ist unklar ob sie diese Strafe überhaupt antreten mussten. Das stalinistische Gericht behauptete dass er für seine angebliche „Spionagetätigkeit“ umgebracht worden war, die schon in Italien bekannt gewesen sei. Arnaldo Silva war bereits 1923 in Italien in einem Aufsehen erregenden Prozess gegen Kommunisten verurteilt worden. Er wurde schlagartig bekannt als es ihm die Flucht aus dem Gefängnis Regina Coeli glückte. Er hatte sich als Rechtsanwalt auf Gefangenenbesuch ausgegeben und sich später in der Parteipresse in einem offenen Brief über den Gefängnisdirektor lustig gemacht. Er ging 1923 nach Russland und bekleidete den Rang eines Obersten der Roten Armee. Er wurde 1937 oder 1938 erschossen. Diese Gruppe genoss auch die Sympathie und indirekte Unterstützung von Francesco Misiano der als Präsident der Internationalen Arbeiterhilfe sehr bekannt war. Er starb 1936 wenige Wochen vor seiner bevorstehenden Verhaftung durch die GPU. Ein anderer Sympathisant dieser Gruppe, Guido Picelli, hatte als Anführer der „Arditi del Popolo“ eine wichtige Rolle in dem berühmten Kampf von Oltretorente in Parma gespielt. (3) Wie viele andere meldete er sich als Freiwilliger nach Spanien, da dies die einzige Möglichkeit war aus der UdSSR herauszukommen. Sofort nach seiner Ankunft nahm er Verbindung zur POUM auf. Er wurde in einem spanischen Schützengraben durch einen Schlag ins Genick getötet. Von Frühling 1935 an erschien in „Prometeo“ eine Artikelfolge in der das „Verschwinden“ dieser Genossen angeklagt wurde. Unterschrieben waren sie mit dem Pseudonym Gatto Mammone. Dies war eine der ersten öffentlichen Anklagen der Verbrechen des Stalinismus. Die Genossen der Fraktion beschlossen ebenso einen offenen Brief an das Zentralkomitee der KPdSU zu schreiben, auf den sie selbstverständlich keine Antwort erhielten. In der ersten Hälfte des Jahres 1938 veröffentlichte die Fraktion in „Prometeo“ eine Liste mit den Namen von zwanzig „verschwundenen“ GenossInnen und klagten ihr „Verschwinden“, bzw. ihre physische Liquidation an. Emilio Guarnaschelli, eine junger Arbeiter aus Turin, der 1932 in die UdSSR emigriert war, wurde ebenso in diese Affäre hineingezogen. Es gibt keine Beweise dass er Verbindungen zur Linken hatte, dennoch wurde er im Prozess gegen die „Gruppe Calligaris“ zu drei Jahren Sibirien verurteilt. Später wurde diese Strafe verdoppelt und er als „Feind des sowjetischen Volkes und des Sozialismus“ bezeichnet. Er starb in Sibirien. Seine Geschichte ist bemerkenswert, weil die Stalinisten jahrzehntelang behaupteten, dass er ein Spion im Dienste der italienischen Botschaft gewesen sei. Kürzlich gefundene Dokumente zeigen, dass dies eine komplette Lüge ist. Der italienische Botschafter bekam sogar die strikte Anweisung jede Anfrage über sein Befinden bei den sowjetischen Behörden zu unterlassen. Auf dieselbe Weise wurde auch mit der großen Mehrheit der inhaftierten Italiener verfahren. Wie viele andere auch stand er vor dem Problem, dass die sowjetischen Behörden seinen Pass einbehalten hatten.

Daher versuchte er bei der italienischen Botschaft neue Papiere zu beantragen, um so legal ausreisen zu können. Das genügte um ihn als Spion anzuklagen. Seine Geschichte wurde nur bekannt, weil seine Lebensgefährtin Nella Masutti, die selber einige Zeit interniert war, die Korrespondenz die er mit ihr und seiner Familie geführt hatte, auf Initiative einiger Trotzkisten veröffentlichte. In Italien selbst wurde die offizielle Darstellung seines Falls allerdings erst in den siebziger Jahren mit etwas mehr Skepsis betrachtet. Einige Textstellen seiner letzten Briefe werden von Antikommunisten und jenen die die Verfälschungen der PCI für bare Münze nehmen gerne zitiert. Es sind die Zeilen eines jungen kommunistischen Arbeiters, der trotz aller politischer Naivität feststellt, dass es in der UdSSR nicht eine Spur von Sozialismus gäbe und das Alltagsleben härter sei als in Italien. Aber sie wurden nicht von jemand geschrieben der seinen Glauben in die Möglichkeit des Sozialismus aufgegeben hatte. Es ist bemerkenswert, dass seine eigene Familie so sehr von der stalinistischen Propaganda beeinflusst war, dass sie einfach nicht glauben wollte, was er ihr über seine Erfahrungen und den Alltag in der Sowjetunion schrieb.

Dante Corneli (1900-1990)

Auch wenn er keine festen Verbindungen zur Linken hatte ist es wichtig sich mit seinem Schicksal zu beschäftigen. Dieser kommunistische Aktivist lebte mehr als jeder andere, insgesamt vierundzwanzig Jahre zwischen Gulag und erzwungenen Exil. Er konnte überleben und widmete einen Großteil seiner Kraft, um über seine Erlebnisse und das Schicksal seiner Genossen Zeugnis abzulegen. 1919 während des landesweiten Solidaritätsstreiks für die Ungarische Räterepublik machte er Bekanntschaft mit Georg Lukacs. Zwanzig Jahre später trafen sich beide in der Sowjetunion im Gefängnis wieder.

Nachdem er 1922 während einer militanten Auseinandersetzung in Tivoli einen Faschisten getötet hatte musste er fluchtartig das Land verlassen. Im November desselben Jahres fand er Zuflucht in der UdSSR. Er nahm an den Feierlichkeiten zum 5 Jahrestag der Oktoberrevolution teil, und zeigte sich sichtlich erstaunt darüber, dass jeder einfache Aktivist den bolschewistischen Spitzenfunktionären die Hand schütteln, bzw. auf gleicher Augenhöhe mit ihnen diskutieren konnte. Bei dieser Gelegenheit machte er Bekanntschaft mit Trotzki und Bucharin (dem er bis zu seinem Tode eng verbunden war.) Als Mitglied der Opposition wurde er 1927 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, zwei Jahre später jedoch wieder aufgenommen. Danach beteiligte er sich immer weniger an den Diskussionen der Emigrantenzirkel, da er den Führerkult und die Atmosphäre des Misstrauens die über diesen lastete verabscheute. 1936 wurde er verhaftet. Seine Erfahrungen mit dem Justizsystem waren kafkaesk. Seine Verurteilung fiel mit dem Tag der Kriegserklärung Italiens zusammen. Zur Beschuldigung „Trotzkist“ zu sein kam nun auch noch die Anklage als faschistischer Spion im Dienste Mussolinis zu stehen. Erst 1970 konnte er mit Hilfe seines Jugendfreundes Umberto Terracini nach Italien zurückkehren. In den darauf folgenden zwanzig Jahren schrieb er viele Texte, um die Geschichte der Kommunisten in der UdSSR zu erzählen. So stellte er z.B. eine alphabetische Liste mit den Namen von dreitausend Opfern und ihren Verfolgern zusammen. Selbst in der Atmosphäre der 70er Jahre fand sich kein Verlag der das publizieren wollte. Somit war er gezwungen seine Arbeiten auf eigene Kosten und unter großen Schwierigkeiten zu publizieren. Nach Aussagen seiner Schwester sollen sogar einige Manuskripte auf mysteriöse Art und Weise aus seiner Wohnung entwendet worden sein. Erst 1978 wurde sein „Tagebuch eines auferstandenen Tiburtino“ (4) von La Pietra, eines der PCI nahe stehenden Verlegers, herausgegeben. Allerdings wurde diese Ausgabe auch stellenweise gekürzt und der damaligen Linie der PCI angepasst. Erst 2000 wurden einige seiner Texte wieder aufgelegt. Dante Corneli starb einsam und in ärmlichen Verhältnissen. Dasselbe Schicksal ereilte auch Antonio Scariolo, der ebenfalls aus der römischen Provinz stammte. Nach vielen Jahren im Gulag konnte er nach Stalins Tod nach Italien zurückkehren. Als er es wagte mit „Genossen“ der PCI über seine Erlebnisse zu sprechen erklärte man ihn erst für verrückt und schloss ihn schließlich aus dem „roten“ Kollektiv aus, indem er als Landarbeiter gearbeitet hatte. Das hatte zu Folge, dass er nicht nur seine Arbeit sondern auch seine Unterkunft verlor. Cornelis Texte sind besonders wegen seiner detaillierten Augenzeugenberichte über den Alltag in Vorkuta interessant. Während die meisten Häftlinge sich ihrem Schicksal ergaben und versuchten die Nahrungsmittelkürzungen, die Gewalt und den täglichen Zwang im Lager zu überleben, dachten andere dass sie nur irrtümlich zu Opfern geworden waren. Sie hatten weiterhin blindes Vertrauen zur Partei und Stalin, dem sie zu hunderten Bittschriften schickten indem sie um die Prüfung ihres Falls ersuchten. Ebenso anschaulich beschreibt Corneli die Standhaftigkeit und den Durchhaltewillen der sog. „trotzkistischen“ Häftlinge, die zuweilen schon seit Jahrzehnten inhaftiert waren und im Lager eine Welt für sich bildeten. Durch langwierige Kämpfe, Arbeitsverweigerung, Hungerstreiks und passiven Widerstand hatten sie den Lagerleitungen zuweilen das Zugeständnis abgerungen in eigenen Baracken zu wohnen und eigene Arbeitskolonnen zu bilden. So konnten sich die Genossen gegenseitig unterstützen wenn einer die festgelegten Arbeitsnormen nicht schaffte. Dies war notwendig um die notwendige Essensration zu erhalten um das harte Klima in Sibirien zu überleben. Ebenso konnten sie so den Kriminellen weitestgehend aus dem Weg gehen, die in den Lagern den Ton angaben. Einige dieser politischen Gefangenen waren alte Bolschewiki. Sie bewahrten heimlich verbotene Bücher auf, deren Inhalt sie an die jüngeren GenossInnen weitergaben. Ebenso gelang es ihnen eine Verbindungsnetz mit Gefangenen in anderen Lagern aufzubauen und Artikel und Texte in andere Lager zu schmuggeln. 1937 verschlechterten sich jedoch die Lagerbedingungen immens. Corneli berichtet dass in Vorkuta nächtelang Exekutionen von „Trotzkisten“ stattfanden. Die Überlebenden verloren alle erkämpften „Privilegien“ und „verschwanden“ im weit gespannten Geflecht der Lager.

Vincenzo Baccalà

Vincenzo Baccalà, ein ehemaliger Sekretär der römischen Gebietsorganisation der PCd`I wurde 1937 verhaftet und erschossen. An sein Schicksal erinnerte seine Frau und Lebensgefährtin Pia Piccioni in ihrem Buch „Stille Gefährtin: Eine Witwe in Stalins Gulag“, welches nach dem Zweiten Weltkrieg erschien und auch in Battalgia Comunista publiziert wurde. Ihr Augenzeugenbericht unterstreicht u.a. auch die Richtigkeit der Position des linken Flügels der italienischen Partei nach dem Mord an Matteotti, der das faschistische Regime tief erschütterte. (5) Baccalà befand sich zu dieser Zeit in Rom im Gefängnis und wurde unerwartet freigelassen. Während die zentristische Führung der PCd`I die Partei in die selbstmörderische und zu Scheitern verurteilte Taktik eines parlamentarischen Antifaschismus zur Verteidigung der bedrohten Demokratie manövrierte, orientierte die Linke auf den direkten Widerstand der Arbeiterklasse gegen die faschistische Gewalt. Sie stützte sich dabei auf die Taktik „fliegender Kundgebungen“ (comici volanti), spontanen Versammlungen und Kundgebungen vor den Fabriktoren und öffentlichen Plätzen, um so die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse einschätzen zu können. Die Ergebnisse waren teilweise erfolgreich und überaus ermutigend. Es gab den Wunsch und die Bereitschaft der Arbeiter zurückzuschlagen. Daher wäre ein klarer Aufruf an das Proletariat zum Widerstand notwendig gewesen. Dieser blieb jedoch aus. Es gab weder klare Aufrufe und Anweisungen an die Parteiaktivisten noch an das Proletariat als ganzes. So konnte sich der Staatsapparat wieder sammeln und reorganisieren und die Gelegenheit zum Gegenschlag war vorbei. Wenige Tage später wurde Vinceno Baccalà in seiner Wohnung festgenommen und ins Gefängnis gebracht, wo er seine Strafe absitzen musste. Danach ging er nach Russland.

Edmondo Peluso

Edmondo Peluso (1982-1942) wird von bürgerlichen Quellen zuweilen als John Reed oder Che Guevarra der PCd`I dargestellt. In Neapel geboren besuchte er die Grundschule in Spanien, die Oberschule in Amerika und die Universität in Deutschland und der Schweiz. Auf seinen Reisen nach Südamerika, den Philippinen und Japan arbeite er als Journalist, Feuerwehrmann und in vielen anderen Berufen. Er war ein Freund von De Leon, kannte Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Karl Radek und traf sogar Laura Marx und Paul Lafargue in Paris. 1915 nahm er an der Zimmerwalder Konferenz teil, wo er mit den Delegierten der Italienischen Sozialistischen Partei eine zentristische Position einnahm. Gleichwohl stand der jedoch Lenin und der bolschewistischen Delegation sehr nahe. Ein Jahr später brach er auf der Konferenz von Kienthal mit der Parteidisziplin und enthielt sich bei einer Abstimmung über eine Resolution mit zentristischer Stoßrichtung. Er wurde nun mehr und mehr von den Thesen der Linken (den Bolschewiki und der Hamburger und Bremer Gruppe der „Internationalen Sozialisten Deutschlands“) überzeugt. Später bedauerte er, dass er sie nicht schon früher unterstützt hatte.1918/19 nahm er am Spartakusaufstand in Berlin teil. 1920 wurde er Mitglied der Absentionistischen Kommunistischen Fraktion der PSI und nahm 1922 als Delegierter am Vierten Kongress der Kommunistischen Internationale teil. Er beteiligte sich an der Herausgabe von Broschüren der Internationale. Lenin hatte ihn expliziert darum gebeten und ihn ein Jahr zuvor als „einen der brillantesten Autoren der italienischen Partei“ bezeichnet, der „ in all den Sprachen die er beherrscht viermal mehr schreiben sollte als jetzt gerade tut.“ 1927 nahm er sogar am Aufstand in Kanton teil, der blutig niedergeschlagen wurde. Nur mit großem Glück konnte er die Repression überleben. In Italien wurde er mehrmals wegen Wehrdienstverweigerung und defätistische Propaganda eingesperrt und von 1921 an öfter von Faschisten angegriffen. 1926 emigrierte er schließlich in die UdSSR. Er trat zwar der Kommunistischen Partei bei, hielt sich aber ansonsten sehr zurück und geriet so zunächst nicht in das Visier der Spitzel. Er scheint sich auch nicht sonderlich an den Treffen der Emigrantenzirkel beteiligt zu haben. 1938 wurde er jedoch verhaftet, verhört und gefoltert, um ihm die gewünschten Geständnisse abzupressen. Er gestand jedoch nicht. Wahrscheinlich wurde er auch deshalb nicht in den nächsten vier Jahren erschossen. (In der Regel wurden die zum Tode Verurteilten wenige Wochen nach der Urteilsverkündung erschossen.) Dennoch ist seine Haltung bemerkenswert wenn man bedenkt dass von Bucharin bis Sinowjew nahezu jeder unter der Folter alles Mögliche „gestanden“ hatte. Aus dem Gulag konnte er dennoch nicht entkommen. Es gab keinen Ort zu dem man hätte flüchten können. So erstreckte sich bspw. Der Gulag von Karaganda in Zentralasien auf ein Gebiet, welches so groß war wie die heutigen Niederlande. Die unwirtliche Republik Komi in Sibirien, die faktisch ein einziger Gulag war, erstreckt sich auf eine Fläche die um 30% größer ist als Italien. In Gulags wie Karaganda oder Vorkuta waren jeweils zeitweilig dreihunderttausend Gefangene interniert.

Dieses System des Terrors lässt sich mit idealistischen Kategorien (wie z.B. die naturgegebene Bösartigkeit des Menschen usw.) weder analysieren noch verstehen. Das Gulagsystem war Teil eines Prozesses der ursprünglichen Akkumulation indem ein rückschrittliches Land wie Russland unter dem Druck der internationalen Konkurrenz und der Krise von 1929 versuchte innerhalb weniger Jahre das zu vollbringen, wofür andere Länder Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte gebraucht hatten. Die Zwangsarbeit in den Lagern zielte auf die Metallgewinnung für die Schwerindustrie, das Roden von Wäldern, die Urbarmachung von Land in weitestgehend unbewohnbaren Gegenden und die Schaffung einer Straßeninfrastruktur. Menschenleben spielten dabei keine Rolle. All dies ging mir der physischen Liquidation einer ganzen Generation von Kommunisten einher. Die stalinistische Verfolgung beschränkte sich dabei jedoch nicht nur auf Russland. Selbst in Spanien setzte der stalinistische Apparat alle Hebel in Bewegung, um linke Kritiker und Oppositionelle zu ermorden und die revolutionären Bestrebungen des Proletariats im Keim zu ersticken. An den Konsequenzen leiden wir noch heute.

DS

Der Text erschien erstmals im Juni 2007 in Prometeo Nr. 15, dem Journal unserer italienischen Schwesterorganisation PCInt - Battaglia Comunista. Er wurde von uns stellenweise gekürzt und redaktionell überarbeitet

(1) Zu den Ursachen und den Verlauf der stalinistischen Konterrevolution siehe auch unsere Texte „1921 - Beginn der Konterrevolution“ sowie „Stalinismus ist Antikommunsimus“. Und zur Entwicklung der linkskommunsitischen Opposition in Russland den Text „Die Bolschewistische Linke und die Arbeitermacht“.

(2) Die „Absentionistische Kommunistische Fraktion“ war eine linke Oppositionsströmung in der Italienischen Sozialistischen Partei. Sie gab die Zeitschrift „Il Sovjet“ heraus und verteidigte internationalistische Positionen. Siehe auch die „Thesen zum Parlamentarismus“ in SoB Nr. 13/14.

(3) Oltretorrente war ein Arbeiterbezirk in Parma. Im Sommer 1922 war es das Zentrum eines Generalstreiks gegen die Machtübernahme der Faschisten um Italo Blabo, einen bekannten Gefolgsmann Mussolinis. Am 2. August sahen sich 3000 bewaffnete Faschisten einem Wall von Arbeiterbarrikaden geführt. Nach viertägigem Kampf mussten sie sich zurückziehen. Sie waren durch den bewaffneten Widerstand von 500 kommunistischen Aktivisten der SAC (Squadre d'Azione Comunista - der von den Linken um Bordiga und Fortichiari) geführten Verteidigungsorganisation der PCd`I) und den „Arditi del Popolo“ (eines bewaffneten Zusammenschlusses von Anarchisten, Republikanern und Sozialisten, die meisten ehemalige Kriegsteilnehmer) besiegt worden. Parma konnte später nur durch den Einsatz der regulären Armee und der Carabinieri eingenommen werden.

(4) „Tiburtino“ bedeutet umgangssprachlich jemand aus Tivoli, einer Stadt in der römischen Provinz.

(5) Giacomo Matteotti war Mitglied und Abgeordneter der PSU (Partito Socialista Unitario), die zwischen PCd`I und PSI stand. Seine Ermordung durch eine faschistische Bande führte zu Arbeiterunruhen und einer Krise des Mussoliniregimes. Gramsci und die Führung der PCd`I reagierten darauf mit der Politik des Aventin. Dies war nichts weiter als ein Boykott des Parlaments durch die nichtfaschistischen Abgeordneten verschiedner Couleur. Die Gelegenheit die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse zu nutzen und durch Aufrufe zu Streiks und direkten Widerstand in die Offensive zu gehen wurde dadurch verspielt.