EU-Schuldenkrise – Ein Fass ohne Boden

Nach Griechenland und Irland ist Portugal nun das dritte EU-Land, das seinen Schuldverpflichtungen nicht nachkommen kann und um Unterstützung durch den EU-Rettungsfond ersuchen muss. Ende März scheiterte die Minderheitsregierung der „Sozialistischen Partei“, nachdem es ihr nicht gelungen war ein einschneidendes Sparpaket im Parlament durchzusetzen. Da Portugals Schuldverschreibungen sehr kurzfristig ausgelegt sind, (es muss bis Ende Juni 8 Milliarden Euro aufbringen) werteten die Ratingagenturen die Bonität des Landes ab und die Spekulation gegen portugiesische Staatsanleihen eskalierte. Innerhalb von nur 10 Tagen stieg der Zinssatz portugiesischer Staatsanleihen auf 9%. Dies hatte zur Folge, dass das Land es sich schlicht nicht mehr leisten konnte auf den internationalen Märkten Kredite aufzunehmen und bei der EU um Hilfsgelder zu niedrigen Zinsen anfragen musste. Bis Anfang April verhandelte die amtierende Regierung (auch mit dem IWF) über ein Hilfsprogramm in Höhe von 80 Milliarden Euro. Bisher hat es nur schwächere Länder an den Randzonen der EU erwischt. Griechenland, Irland und Griechenland stellen ca. 2.6%, 1.7% und 1.9% des BIP der EU. Die Gefahr eines Staatsbankrotts besteht jedoch nicht nur für diese Länder. Auch Spanien, ein Land mit einer viel größeren Wirtschaftsleistung von ca. 11.4% des BIP der EU steht ebenso in der Gefahrenzone. Auch vermeintlich stärkere Volkswirtschaften stehen nicht besser da als Spanien. So hat bspw. Großbritannien ein viel größeres Haushaltsdefizit und ist weitaus stärker verschuldet als Spanien. Auch wenn die letzten Zusammenbrüche in der Eurozone stattgefunden haben, ist die Schuldenkrise nicht auf Europa beschränkt. In den USA gab der Staat im letzten Jahr 500 Milliarden mehr aus, als durch Steuereinnahmen eingenommen werden konnte und sammelte dadurch beträchtliche Schulden an. Die Gefahr des Staatsbankrotts hat dramatische Auswirkungen. In Bundesstaaten wie Kalifornien wurden öffentliche Dienstleistungen zusammengestrichen und eine Vier-Tage-Woche eingeführt. Die Behörden müssen ihre Mitarbeiter mit Schuldscheinen auszahlen. Auch die Haushalte anderer amerikanischer Kommunen sind hochverschuldet. 100 amerikanischen Städten droht in diesem Jahr die Zahlungsunfähigkeit. Gleichzeitig beläuft sich die Staatsverschuldung der US-Regierung auf 85% des BIP. Im jüngsten „Stability Report“ des IWF wird darauf hingewiesen, dass die Schuldenquote von Japan und den USA 200% beträgt, was sie äußerst anfällig für einen Anstieg der Zinssätze macht. Der Sprecher des IWF, Jose Vinals, erklärte, dass die Staatsanleihen dieser Länder nicht mehr ohne Risiko seien. Dies heißt im Klartext, dass eine Überschuldung der stärksten Wirtschaftsmächte USA und Japan nun eine reale Möglichkeit geworden ist.

Eine Krise des kapitalistischen Systems

Die portugiesische Schuldenkrise hat genauso wie die Griechenlands ihre Ursache in der Unfähigkeit des Staates seine Kreditaufnahme weiter zu finanzieren. Ein Bericht von „Barlcays Capital Growth“ führt die Überschuldung Portugals auf mangelnde „Wettbewerbsfähigkeit“ und ein zu geringes Wirtschaftswachstum zurück. In der Sprache der Banker heißt das nichts anderes, als dass die Arbeiter verstärkt angegriffen werden sollen, um den Laden wieder zum Laufen zu bekommen. Angesichts der Massenproteste hat die herrschende Klasse jedoch bisher mit massiven Frontalangriffen gezögert. Nachdem Socrates Kürzungsprogramm politisch (und auch wirtschaftlich) gescheitert war, folgte die Paralyse. Die Bankenkrise ist nun durch wachsende Staatsverschuldung abgelöst worden. Beide sind jedoch nur Symptome für ein tiefer gehendes Problem des kapitalistischen Systems, dem tendenziellen Fall der Profitrate. Diese resultiert aus der Tendenz des Kapitalismus, das konstante Kapital (Produktionsmittel, wie z.B. Maschinen Rohstoffe, Fabrikanlagen) zu Lasten des variablen Kapitals (der Arbeitskraft) stetig zu mehren. Um den Kapitalismus am Laufen zu halten, muss ein Teil des produzierten Mehrwerts in neue Investitionen fließen. Durch dieses neue Kapital können Arbeiter eingestellt werden, deren Ausbeutung weiteren Mehrwert schafft. Im Kapitalismus ist die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft die einzige Quelle um Mehrwert zu erzielen. Wenn jedoch die Profitrate bis zu einem bestimmten Punkt fällt, hören die Kapitalisten auf in neue Produktion zu investieren, da sie ihre Profitaussichten als zu niedrig einschätzen. Die Kapitalakkumulation geht zurück und Arbeiter werden entlassen. Durch den Ausschluss von Arbeitern aus der Produktion wird jedoch die Erzeugung von Mehrwert weiter eingeschränkt, was wiederum das Problem der Rentabilität verschärft. Die Krise des Kapitalismus resultiert daher weniger aus externen Faktoren, sondern aus seinen ihm innewohnenden Widersprüchen. Die einzige Lösung für dieses Problem (von der sozialen Revolution und der Überwindung des Kapitalismus einmal abgesehen) bestünde in der Wiederherstellung der Profitraten. In der gegenwärtigen Phase des Akkumulationszyklus könnte dies jedoch nur durch eine massenhafte Vernichtung konstanten Kapitals geschehen wie z.B. durch einen generalisierten imperialistischen Krieg. Die Kapitalisten sehen natürlich zunächst einmal nur ihre kurzfristigen Interessen. Wenn die Profitrate unter ein bestimmtes Niveau fällt, gehen sie dazu über den erzeugten Mehrwert verstärkt zur Spekulation in Rohstoffpreise, Aktien oder um ganz sicher zu gehen in Staatsanleihen zu nutzen. All dies schafft natürlich keinen weiteren Mehrwert. Für den einzelnen Kapitalisten mag die Spekulation einträglich sein aber für das kapitalistische System als Ganzes ist dies eine Illusion. Derartige Gewinne resultieren entweder aus den Verlusten anderer Kapitalisten und/oder aus dem nominalen Anstieg überbewerteter Papiere oder Aktien. Dies führt zu Spekulationsblasen wie bspw. der Subprimekrise mit gigantischen Entwertungen und Verlusten. Auch der Markt mit den Staatsschulden ist Teil dessen, was Marx als fiktives Kapital bezeichnete. Die Zinsen, die für diese Schulden aufgebracht werden müssen, entspringen dem Mehrwert der in anderen Sektoren der Wirtschaft erzielt wurde. Wenn dieser wie im Falle Griechenlands und Portugals nicht ausreichend ist, können diese Zinsen nicht mehr gezahlt werden. Die Krise der Staatsschulden und die Bankenkrise sind daher nur Ausdruck einer tiefen Verwertungskrise des gesamten kapitalistischen Systems. Die schwächeren und weniger konkurrenzfähigen Staaten trifft es als erstes, aber da sich auch stärkere Staaten diesen Problemen nicht entziehen können, werden im Endeffekt alle kapitalistischen Länder vom Strudel erfasst.

Die Strategie der EU

Die EU hat bisher versucht der Schuldenkrise mit Rettungspakten und milliardenschweren Krediten zu begegnen. Dies hat zwar den Prozess verlangsamt, konnte aber eine Ausweitung der Schuldenkrise nicht eindämmen. Im Wesentlichen läuft diese Strategie darauf hinaus, die Arbeiterklasse durch drastische Kürzungsprogramme zur Kasse zu bitten, und die Ausbeutung weiter zu erhöhen. Die Vereinbarungen zwischen Portugal und der EU laufen auf noch drastischere Kürzungen für die portugiesischen Arbeiter hinaus, als die Maßnahmen, die das Parlament im März dieses Jahres noch ablehnte. Die EU verlangt von allen portugiesischen Parteien noch vor den Wahlen im Juni eine Vereinbarung zu unterzeichnen, um so etwaige Nachverhandlungen wie im Falle Irlands im Voraus auszuschließen. Doch wird die Strategie der Schuldensenkung durch immer weitere Kürzungsprogramme aufgehen? Selbst in der herrschenden Klasse mehren sich die Stimmen jener, die dies für unmöglich halten und sogar für das Undenkbare, eine Umschuldung argumentieren. Wenn sich die Auslandsschulden eines Landes wie Irland auf 120% des BIP belaufen und die Zinsrate von der EU mit 5.8 veranschlagt wird, müssten 7% der Wirtschaftsleistung allein für die Zinstilgung aufgewendet werden. Wenn die Wirtschaft schrumpft, und dies ist normalerweise bei Sparprogrammen der Fall, werden derartige Zahlung nahezu unmöglich. So muss z.B. Griechenland eine Haushaltszuwachs von 5.5. % generieren, nur um die Zinslast seiner Schulden begleichen zu können. Derzeit beläuft sich das Haushaltsdefizit Griechenlands jedoch auf 12.7%! Wenn Griechenland keinen weiteren Zuwachs generieren kann, ist es auf weitere Kreditaufnahmen angewiesen. Dies würde die Situation jedoch noch weiter verschlimmern und die Spirale zum ökonomischen Kollaps beschleunigen. Vor diesem Hintergrund ziehen einige eine Umschuldung nach südamerikanischem Vorbild in Erwägung. Ende der 80er Jahre explodierten die Schulden von Mexiko, Brasilien, Argentinien und einiger anderer südamerikanischer Länder und brachten sie an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Diese Darlehensschulden wurden in sog. „Bradybonds“, d.h. handelbare Schuldverschreibungen konvertiert. Weil die Bradybonds mit einer bestimmten Besicherung ausgestattet waren, wurden sie für die Gläubiger zuweilen werthaltiger als die ursprünglichen Schulden. Durch ihre Handelbarkeit waren die Banken schließlich in der Lage die Schulden aus ihren Bilanzen zu bekommen. Allerdings war zu dieser Zeit der Markt für Staatsschulden noch relativ überschaubar. Ob und inwieweit ein derartiges Verfahren in der EU gangbar wäre, ist nicht ganz klar. Gleichwohl gibt es Verhandlungen über etwaige Umschuldungen nach 2013. Durch eine Umschuldung würden jedoch die europäischen Banken, besonders die britischen, französischen und deutschen Banken enorme Summen abschreiben müssen, mit unkalkulierbaren Folgen für den Kapitalmarkt. Die Schwäche der Eurozone, dies wird durch die gegenwärtige Schuldenkrise besonderes deutlich, besteht darin, dass es zwar eine gemeinsame Währung aber keine gemeinsame Steuer- und Wirtschaftspolitik gibt. Dies wird nun auch Teilen der europäischen Bourgeoisie klar, weshalb sie weitere Schritte zu einer engeren wirtschaftlichen Union vorbereiten. So wurden die europäischen Verträge geändert, um neue finanzpolitische Instrumente wir den Europäischen Stabilitätsfond auf den Weg zu bringen. Irland wurde als Bedingung für die Neuverhandlung der Zinsrate von 5.8% des 95 Milliarden Euro schweren Rettungspaketes angehalten die Körperschaftssteuer zu erhöhen, die gegenwärtig nur bei 12.5% des EU-Durchschnitts liegt. Dennoch werden in Zukunft wohl noch drastischere Maßnahmen notwendig sein. Der spanische Ministerpräsident Zapatero appellierte eindringlich für eine einheitliche Fiskalpolitik der Eurozone: „Es reicht nicht aus eine Zentralbank zu haben. Wir brauchen ebenso eine gemeinsame Wirtschaftspolitik.“ Ebenso fordert Bundeskanzlerin Merkel einheitliche Schuldengrenzen, eine einheitliche Steuerpolitik, ein einheitliches Renteneintrittsalter und eine einheitliche Bildungspolitik in der Eurozone. Da sich Deutschland zunehmend zum Zahlmeister der EU entwickelt, geht es verstärkt dazu über auch die Bedingungen für eine weitere wirtschaftliche Integration der Eurozone diktieren zu wollen, was letztendlich zu weiteren Widersprüchen und Konflikten führen wird. Die Krise zeigt jedoch nicht nur die gegenwärtige Schwäche der Europäischen Union, sondern die Grenzen des Kapitalismus insgesamt auf. Während das Kapital immer mehr in die Sphäre der Finanzspekulation flüchtet, bleiben die Bedürfnisse der Menschen auf der Strecke. Der einzige Weg aus diesem verheerenden Teufelskreis besteht in der Überwindung dieses Systems, welches längst zu einer Fessel für die Weiterentwicklung der Menschheit geworden ist.