Libyenkrise: Der Imperialismus bereitet weitere “demokratische” Bombardierungen vor

Es ist immer noch zu früh eine endgültige Bewertung der Ereignisse in Libyen vorzunehmen, da die Lage nach wie vor unübersichtlich ist. Gleichwohl liegt auf der Hand, dass bis jetzt nichts anderes beschlossen wurde als eine Eskalation in Richtung einer Militärintervention des westlichen Imperialismus, unter dem üblichen Deckmantel einer „humanitären Intervention“. Die Tage des Obersten mögen gezählt sein. Angesichts seiner unermüdlichen Verteidigung und der Notwendigkeit verlorenes Terrain (und besonders die Erdölfelder) zurückzuerobern hat die internationale kapitalistische Gemeinschaft alle juristischen (Internationales Kriegsverbrechertribunal), wirtschaftlichen (Embargo, Sanktionen, Einfreieren von Auslandsvermögen) und politischen Waffen, wie die UN Resolution 1973 aufgefahren, die ein Flugverbotszone über ganz Libyen vorsieht. Dies sind die Prämissen für eine voll entfaltete Militärintervention, die je nach den taktischen Notwendigkeiten aus der Luft, zur See und auf den Boden ausgeführt wird.

Nichtsdestotrotz können wir drei unmittelbare Betrachtungen anstellen.

  1. Erstens: Die Revolte in Benghazi und anderen Städten von Cyrenaica und einigen Gegenden südlich von Tripolis hat das aufgezwungene Kräfteverhältnis zwischen Gaddafis und anderen libyschen Stämmen, die sich 40 Jahre der politischen und ökonomischen Diktatur des Obersten unterordnen mussten aufgebrochen. Davon zeugt auch die Forderung nach Unabhängigkeit, die von der Stammesbourgeoisie von Cyrenica und Fezzan erhoben wurde, die niemals wirklich befriedet werden konnte. Sie sind versessen darauf die Öl-Einnahmen eigenständig zu kontrollieren, was bis vor wenigen Wochen das Vorrecht des „grünen“ Diktators war. Es ist kein Zufall, dass die ersten Proteste im Osten des Landes ausbrachen, wo sich eine provisorische Regierung bildete. Sie hat die Aufgabe die Kontrolle der Ölfelder und ihre Nutzung und Ausbeutung durch internationale Firmen zu sichern. Die vorherige Stabilität basierte vorrangig auf Gewalt. Gaddafi und seine Söhne hatten die uneingeschränkte Kontrolle über die Armee, die Polizei und die Luftwaffe. Sie kontrollierten aber auch die Ölquellen und das Management der nationalen Öl- und Gasunternehmen. Aus diesen Öleinnahmen gaben sie Gelder an verbündete und untergebene Stammesführer ab, je nachdem ob diese politisch nützlich oder aber zu einer potentiellen Gefahr für die Herrschaft der „Rais“ werden konnten. Diese Arrangements sind nun aufgehoben. Die größeren Stämme wie die Warfalla, die das Gebiet südlich von Tripolis kontrollieren, haben sich bereits früher aufgelehnt. 1993 inmitten des internationalen Embargos nach der Lockerbie-Affäre unternahmen sie den Versuch eines Staatsstreichs. Dieser wurde von Gaddafi brutal niedergeschlagen. Dutzende wurden öffentlich von Erschießungskommandos exekutiert und über 200 ins Gefängnis geworfen. Die Zuwayya die im Gebiet zwischen Tripolis und Begnhazi leben, die Misurata und die Abu Llail, die das Gebiet der Ölpipelines im Osten von Cyrenica kontrollieren, ergriffen die Initiative um an der Spitze der öffentlichen Proteste dem über 40 Jahre währenden Spiel ein Ende zu setzen. Alle größeren Stämme verfügen nun über Milizen und kleinere Vorräte an leichten Waffen aus Kasernen und Armeedepots, die sie zu Beginn der Revolte angegriffen hatten. Gegenwärtig scheint die libysche Krise das Ausmaß eines Bürgerkrieges zwischen Stämmen oder vielmehr bürgerlichen Fraktionen anzunehmen, die um die ökonomische und politische Kontrolle eines Landes kämpfen, welches nach Nigeria der zweite Erdölexporteur Afrikas ist, und diesbezüglich weltweit an zwölfter Stelle steht.
  2. Die zweite Betrachtung betrifft die Möglichkeit eines Bruchs des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses im energiereichen Mittleren Osten und den daraus folgenden Konsequenzen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die USA mit Unterstützungen Frankreichs und Großbritanniens eine UN-Resolution vorgeschlagen haben. Sie wollen so sicherzustellen, dass sie das Risiko einer Intervention in Libyen nicht alleine tragen. Die Imperialisten machen sich nicht nur über die Zukunft der libyschen Öl- und Gasvorkommen Sorgen. Diese sind wichtig, aber in der internationalen Energieverteilung nicht entscheidend. Was ihnen wirklich ernsthaft Sorge bereitet ist eine Ausdehnung der Krise auf die ganze arabische Halbinsel. Der Wind der Revolte durchbläst Jemen, Oman und Bahrain in gefährlicher Nähe zu Saudi-Arabien, dem größten Öllieferanten der USA. Wenn Riad vom Sturm ergriffen würde, könnte dies zu einer Situation führen, der nicht mehr einfach nur durch militärische Manöver, psychologische Abschreckung und politischen Druck beizukommen wäre. Wenn es um die Öllieferungen des Nahen Ostens geht, hört jeder Spaß auf. Der US-Imperialismus hat bereits zwei noch längst nicht beendete Kriege angezettelt und führt einen energischen Kampf um den Handel und Transport des schwarzen Goldes von Zentralasien zu den Küsten des Mittelmeers zu sichern. In Anbetracht einer kritischen Situation in den Häfen Arabiens wird er nicht zögern seine militärische Macht weiter ausspielen. Vorläufig haben sich die USA darauf verlegt abzuwarten. Aber auch China, das gegenwärtig in Niger, Nigeria, im Sudan und im Tschad sehr präsent ist, wird nicht einfach nur zusehen. Gleichzeitig sind Hunderttausende Opfer der Machtkämpfe der rivalisierenden Fraktionen der Herrschenden und des internationalen Spiels der Imperialisten auf der Flucht.
  3. Die dritte Betrachtung betrifft die Verzögerungen und Unstimmigkeiten bei der Verabschiedung der UN-Resolution 1973. Von den 15 Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates haben 10 dafür gestimmt, während sich China, Russland, Indien, Brasilien und Deutschland enthalten haben. Das ist keinesfalls ein Zufall. Es stehen nicht nur die von Libyen täglich produzierten 1.5 Millionen Barrel Öl auf dem Spiel. Es geht auch um die Rolle von Frankreich und Italien im Mittelmeerraum, die Ambitionen des britischen und amerikanischen Imperialismus und die ganze Frage des Mittleren Ostens und seiner Energieressourcen. In Bahrain, einem kleinen aber ölreichen Land, tobt ein Bürgerkrieg zwischen Sunniten (die 30% der Bevölkerung ausmachen, an der Macht sind und von den Öleinnahmen profitieren) und Schiiten die 70% der Bevölkerung ausmachen aber von den Öleinnahmen keinen Cent abkriegen. Bei diesem Konflikt handelt es sich faktisch um einen durch die wirtschaftliche Situation ausgelösten politischen Machtkampf zwischen einer sunnitisch geprägten Bourgeoisie und der schiitischen Glaubensgemeinschaft. Hinter dieser Konfrontation stehen die zwei imperialistischen Mächte der Region: Der schiitische Iran und das wahabitisch-sunnitische Saudi-Arabien, welches in einer bemerkenswerten internationalen Stille eine groß angelegte militärische Invasion in Bahrain vom Zaum gebrochen hat, um so einen anti-iranischen Verbündeten in der Region zu stützen. In Katar wiederholt sich dasselbe Szenario - allerdings mit den imperialistischen Protagonisten Iran und Türkei.All dies spielt sich im Kontext wachsender Spannungen ab. Im Jemen hat Saleh nicht gezögert in die Demonstrationen schießen zu lassen, wobei Dutzende getötet wurden.In Oman beliebt die Situation weiterhin gespannt. In Saudi-Arabien halten sich nach wie vor starke anti-saudische Tendenzen.Angesichts dieser Lage ist es für jede imperialistische Front unabdingbar ihre unmittelbaren und zukünftigen Interessen zu verteidigen. USA, Großbritannien und Frankreich auf der einen Seite - Russland, China, Indien, Brasilien und Deutschland auf der anderen. In diesem Spiel geht es um Energieressourcen, die 65% des weltweiten Bedarfs ausmachen.
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Dies unterstreicht einmal mehr, dass es in der libyschen Frage auch um einen anderen Aspekt geht. Die Hauptsorge des US- Imperialismus (aber nicht nur der USA) gilt der Stabilität Riads als weltweitem Öl- und Energielieferant. Washingtons Plan zielt darauf ab der Nato, angeführt von den europäischen Mächten Frankreich und Großbritannien, die Aufgabe zuzuteilen Gaddafi in Schach zu halten, eigene Kräfte zu sparen, um so für den Einsatz an anderen möglichen Fronten im arabischen Raum gerüstet zu sein.

Für die libysche ArbeiterInnenklasse gibt es keine Möglichkeit zur Befreiung, wenn sie sich weiterhin vom Tribalismus absorbieren lässt und den opportunistischen Losungen der bürgerlichen Opposition nach „Freiheit“ und „Demokratie“ auf den Leim geht. Diese „Freiheit“ und „Demokratie“ wird nur eine neuere, effektivere politische und ideologische Basis für die fortgesetzte Ausbeutung und Unterdrückung sein. Sowohl die Stammesfehden und bürgerlichen Machtkämpfe als auch die destruktive Dynamik eines immer gierigeren Imperialismus haben eine tiefere Wurzel. Wenn sie nicht das ökonomische System, welches weiterhin unter dem Namen Kapitalismus sein Unwesen treibt infrage stellen, wird der makabre Teufelskreis aus Krise und Krieg nicht durchbrochen werden können. Das gleiche gilt für die anderen Krisenherde in der Region. Wenn sich die Kämpfe auf das „Durchsetzen von Demokratie“ begrenzen, ist eine antikapitalistische Stoßrichtung ausgeschlossen. Dies würde auf den Sieg dieser oder jener bürgerlichen Fraktion und die Eingliederung in eine der Fronten im internationalen imperialistischen Machtspiel hinauslaufen. Wenn es in der politischen Szenerie des Nahen Ostens nicht zu einer Wiederbelebung des Klassenkampfes und der Herausbildung einer revolutionären Organisation kommt, wird alles beim alten bleiben - oder vielmehr in einem weiteren imperialistischen Blutbad enden.

FD