Nach Mubarak ...

Als am 10. Februar die Proteste anhielten und auf andere Städte übergriffen, führte Mubarak seinen letzten Schachzug aus. In einer Fernsehansprache versprach er, bei den nächsten Wahlen nicht mehr zu kandidieren. Er signalisierte Reformbereitschaft und erklärte die Anti-Terrorgesetze, die es ihm erlaubt hatten, jede tatsächliche oder vermeintliche Opposition zu eliminieren, außer Kraft zu setzen. Er machte keine Anstalten zurückzutreten und sah seine Rolle als Begleiter eines Übergangs zu einer neuen Regierung, die dann im September 2011 (dem eigentlichen Wahrtermin) die Arbeit aufnehmen sollte. Am 12. Februar musste er trotz dieser Rede zurücktreten. Er übertrug all seine Machtbefugnisse an seine Nummer 2, Suleiman, der den Ball weiter an die Streitkräfte spielte, mit denen er eng verbunden ist.

Imperialistische Spannungen

Dies löste Freudenstürme auf den Straßen aus - aber auch beim US-Imperialismus. Obwohl sie in ihm über 30 Jahre einen loyalen Verbündeten hatten, sahen die USA es an der Zeit Mubarak nach einigem Zögern und Schwanken fallen zu lassen. Das ist alles andere als ungewöhnlich. Diese Unentschlossenheit entsprang zum Teil ihrer Überraschung und zum Teil dem Widerstandswillen des Pharao. Washington brauchte einige Tage um zu verstehen, dass ihr alter Bündnispartner nicht mehr nützlich war, und es an der Zeit war einen „Wechsel“ einzuleiten, um weiter eine wichtige Rolle in der Region zu spielen. Auf längere Sicht war nun so ziemlich jede Regierung - ob nun „demokratisch“ oder nicht - die bessere Option geworden. Es gab auch keinen Mangel an Kandidaten, darunter auch El Baradei, der schon seine Bereitschaft angekündigt hatte zu kandidieren. Die militärische Lösung erschien jedoch unmittelbar die beste Lösung zu sein. Erstens weil sie für Kontinuität steht, auch wenn ein „Fortschritt zur Demokratie“ versprochen wird; zweitens weil die Machtübergabe an das Militär gerade diejenige Organisation stärkt, der die USA am meisten vertrauen können. Über Jahre wurde die ägyptische Armee von den USA jährlich mit 1,5 Milliarden Dollar unterstützt. In den höheren Rängen hat sich eine Oligarchie herausgebildet, die über hohe Einkommen und finanzielle Vorteile verfügt, eng mit dem US-Imperialismus verbunden und letztendlich auch von ihm abhängig ist. Unter Mubarak haben die Armee und der gefürchtete Geheimdienst (Mabhet Amn Dawla) mit Duldung und Unterstützung der USA jede Opposition ausgemerzt.

Heute, angesichts der Menschen auf den Straßen, gibt sie vor ein Garant für die Geburt einer „Demokratie“ zu sein - allerdings unter der Bedingung, dass die Proteste aufhören, die nationale Wirtschaft keine großen Schläge erleiden muss und das imperialistische Gefüge unangetastet bleibt. (...)

Am Tag ihrer Machtübernahme kam es zu einem Treffen der Armeeführung mit dem israelischen Außenminister Ehud Barak. Hier wurde versichert, dass das Friedensabkommen mit Israel weiter Gültigkeit habe und beide Länder wie zuvor im Machtkorridor Washingtons agieren würden. Nachdem schließlich erste Streiks im Hafen von Suez, in der Textilfabrik von Mahalla al Kouba, (die im April 2008 der Ausgangspunkt für die Brotrevolte war), und in anderen Städten wie Port Said, Ismailia und Assyut ausbrachen, konnte die Armee besser als jede andere „demokratische Institution“ wie in den vergangen Jahren ihre Rolle als Repressionsorgan spielen. Man sollte nicht vergessen, dass die Interimsregierung des Militärs das Parlament aufgelöst und einen sechsmonatigen Ausnahmezustand verhängt hat, der Demonstrationen und vor allem Streiks unter Strafe stellt. Weiterhin droht das Damoklesschwert der Repression. Sie haben lediglich einige Äußerlichkeiten geändert, als Trostpflaster für eine Bevölkerung, die sozial am Ende und politisch entwaffnet ist.

Der Charakter der Bewegung

Kommen wir zu den Protesten selber. Wenn die Lebensbedingungen unhaltbar und die Verzweiflung immer größer wird, kann eine Bewegung auf der Straße entstehen, die selbst das schrecklichste Regime innerhalb von wenigen Tagen aus dem Amt fegt. Wenn sich die Massen in Bewegung setzen, stellen sich die tiefer gehenden Fragen nach der sozialen Zusammensetzung der Bewegung, ihrer weiteren Entwicklung und ihren Zielen. In Ägypten war so ziemlich jeder auf der Straße. Es war jedoch in erster Linie die Jugend, die Kinder des Kleinbürgertums und der Mittelklasse, gut ausgebildet und qualifiziert, aber ohne Job und Zukunft, alle auf dem Weg zur Proletarisierung. Darunter waren auch junge Arbeitslose und Gelegenheitsarbeiter, die seit Jahren auf den Straßen von Kairo und anderen Großstädten ums nackte Überleben kämpfen. Die Wirtschaftskrise hat sie immer ärmer und umso wütender gemacht.

Gleichzeitig entlud sich die proletarische Wut nicht nur auf den Straßen sondern vor allem in den Fabriken der Textilindustrie, im gewerblichen Bereich und in den Häfen von Suez und Port Said. Es ist kein Zufall, dass sowohl die lokalen als auch die internationalen Medien wenig davon berichteten. Als der Oberste Rat der Armee durch seinen Sprecher Marschall Hussein Tantawi die Außerkraftsetzung der Verfassung, die Auflösung des Parlaments und ein Ende der Demonstrationen verkündete, machte er deutlich, dass angesichts der Wirtschaftslage des Landes keinerlei Streiks geduldet würden. Politische Institutionen können kritisiert werden, Unmut kann geäußert werden und die Jugendlichen auf den Straße können toleriert werden, aber die ArbeiterInnenklasse muss an ihrem Platz bleiben und für Hungerlöhne und unter prekären Bedingungen weiter für die Profite des Kapitals schuften. Die Bewegung auf der Straße forderte den Rücktritt Mubaraks und das Ende des korrupten und repressiven Regimes. Sie rief nach Demokratie und Freiheit. Doch trotz dieser außergewöhnlichen Ereignisse blieb alles im kapitalistischen Rahmen. Die diversen politischen Gruppierungen sind alle grundlegend bürgerlich. Alles, was sie anbieten, ist die Wahl zwischen einer Diktatur oder einem Militärregime, zwischen einer „Demokratie“ in Uniform oder in Zivilkleidung, zwischen einer religiösen oder einer laizistischen Regierung. All diese „Alternativen“ lassen die kapitalistische Produktionsweise intakt. Doch diese Verhältnisse sind die eigentliche Wurzel der wirtschaftlichen Krise, die die Bewegung auf der Straße hervorgerufen hat. Die Welle des Protests, die die Regime des Maghreb und des Mittleren Ostens erschüttert, hat Bewegung in den Klassenkampf gebracht. Aber der Kampf muss den gewöhnlichen bürgerlichen Rahmen durchbrechen, den interklassistischen Reformismus überwinden, eine revolutionäre Richtung einschlagen und alle bürgerlichen Staaten zerstören, egal welches Mäntelchen sie sich auch umhängen mögen. Was wir brauchen, ist ein Bruch zwischen Lohnarbeit und Kapital. Ansonsten wird alles so bleiben wie es war - oder vielmehr schlimmer werden.

FD