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Startseite ›Großbritannien: Streiks in der Bau - und Energiebranche - eine erste Antwort auf die Wirtschaftskrise
Statement unserer britischen Schwesterorganisation CWO - Communist Workers' Organisation
Mit dem Ausbruch des spontanen Streiks in der Raffinerie des Ölkonzerns TOTAL, gerieten Bilder von geschwenkten Plakaten und Schildern mit der Losung „Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter“ verstärkt ins Zentrum der Öffentlichkeit. Die Medien stellen das Ganze als einen rassistischen Backlash gegen ausländische Arbeiter dar. Allerdings ist die Situation sehr viel komplexer. Die Parole „Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter“ ist ein direktes Zitat aus Gordon Browns Rede auf dem Parteitag der Labour Party im November 2007. Zu dieser Zeit gab es eine weit verbreitete Hysteriewelle über den angeblichen wachsenden Zustrom von Arbeitsmigranten aus Osteuropa an der Brown anknüpfen wollte. Selbst der Führer der Konservativen mokierte damals diese Fremdenfeindlichkeit und die Nähe zur faschistischen British National Party. (...)
Die Streiks haben ihren Ursprung in Ereignissen des letzten Jahres, als das italienische Subunternehmen IREM einen Bauvertrag in Höhe von 17 Millionen Pfund an Land zog. IREM kündigte an, für die Durchführung spezieller Arbeiten auf die eigene Belegschaft zurückzugreifen. So wurden Ende des Jahres über hundert italienische Arbeiter in der Nähe der Küstenstadt Cleethorpes auf einem Schiff untergebracht. Weitere 300 portugiesische Arbeiter sollten auf weiteren Schiffen untergebracht werden. Es gibt hier eine Menge Unklarheiten, da das ganze dem Geschäftsgeheimnis unterliegt. Zwar hat TOTAL erklärt, dass keine Lohndrückerei beabsichtigt sei, allerdings stellt sich die Frage warum IREM die Kosten für die schwimmende Unterkünfte nicht scheute, wo doch vor Ort auf tausende qualifizierte Bauarbeiter zurückgegriffen werden könnte. Die Arbeitslosigkeit in der Region Lincolnshire liegt bei 47%. Derzeit verlieren in England täglich 2500 Arbeiter ihren Job. Jede Woche müssen 600 Kleinunternehmen und Geschäfte schließen. Gerade die Baubranche ist von der Finanz - und Immobilienkrise im besonderen Maße betroffen.
Als Anfang des Jahres die britische Baufirma Shaws ankündigte, dass sie ein Drittel ihrer Auftragskapazitäten verlieren würde, hatte sich die letzte Hoffnung vieler Bauarbeiter auf einen Arbeitsplatz zerschlagen. Die Arbeiter gaben der IREM die Schuld für den Verlust ihrer Arbeitsplätze. Dies hat wesentlich den Ausbruch der Streiks provoziert.
Die Ausweitung der Streiks
Seitdem hat sich die Zahl spontaner inoffizieller Streiks multipliziert: 400 Arbeiter legten in der ConocoPhilipps Raffinerie die Arbeit nieder, ihrem Beispiel folgten 300 weitere Arbeiter derselben Firma im Kraftwerk Immingham. 100 Arbeiter streikten im Gas-Terminal Dimlington (Yorkshire), 700 im INEOS Gas-Terminal im schottischen Grangemouth ( dieselben Arbeiter, die sich schon im letzten Jahr gegen die Kürzungen der Renten wehrten), weitere 500 in drei Kraftwerken in Schottland und 200 Arbeiter in Kraftwerken in Cheshire und Süd-Wales. Am Montag, den 2 Februar beschlossen 800 Arbeiter des Atomkraftwerks Sellafield in einer Vollversammlung aus Solidarität mit den Kollegen in Yorkshire in den Streik zu treten.
Selbiges beschlossen am selben Tag 400 Arbeiter des Kraftwerkes Longannet in Fife. Diese spontanen Solidaritätsbekundungen lassen sich zum Teil durch die spezifische Arbeitssituation erklären. Viele Arbeiter müssen sich von Vertrag zu Vertrag hangeln wodurch vielfältige Kontakte und Netzwerke entstehen, über die man sich über Arbeitsmöglichkeiten und Jobangebote austauscht. Über SMS-Nachrichten und Telefon sind sie im ständigen Kontakt mit anderen Kollegen.
Allerdings hatten auch die Gewerkschaften Unite und GMB ihre Finger im Spiel, die von Anfang an frisch gedruckte Plakate und Schilder mit der besagten Parole unter die Leute brachten. Die Gewerkschaften halten jedoch die Version eines wilden Streiks aufrecht, um sich keine Klage wegen Bruchs des Arbeitsrechts einzuhandeln. Die Labourregierung hat die Streiks logischerweise verurteilt. Allerdings steht sie ihnen auch mit gemischten Gefühlen gegenüber. Auf der einen Seite will sie natürlich nicht, dass dem britischen Kapital der Zugriff auf billige Arbeitskräfte verwehrt wird, auf der anderen Seite hat sie seit ihrem Amtsantritt hart an der Propagierung einer nationalen Identität gearbeitet, um die Arbeiter hinter dem Union Jack zu vereinen zu können. New Labour war immer ein Fürsprecher des Kapitals und Gordon Brown ist einer der Hauptarchitekten dieser Allianz. Gordon Brown ignorierte geflissentlich die Tatsache, dass die Arbeiter (bzw. vielmehr die Gewerkschaften) sich auf seine eigenen Worte beriefen und bezeichnete die Streikaktion als „ungerechtfertigt“. Der Wirtschaftsminister Mandelson, der für das Annehmen von Geschenken der Reichen berühmt und berüchtigt ist, erklärte, dass TOTAL sich vollkommen im Einklang mit den europäischen Gesetzesnormen befinde und die Streikenden die Jobs britischer Arbeiter im Ausland gefährdeten.
Angesichts des nationalistischen Elements widmeten die Medien der herrschenden Klasse den Streiks große Aufmerksamkeit. In den letzten 25 Jahren wurde noch nie so viel über Streiks berichtet wie über die jetzigen. In der Daily Mail wurde bspw. ein Foto eines italienischen Arbeiters veröffentlicht, der angeblich den Streikenden einen Stinkefinger zeigte (damit aber höchstwahrscheinlich die anwesenden Medienvertreter meinte) Die Rattenfänger der British National Party (BNP) versuchen massiv aus den Streiks Kapital zu schlagen. Die BNP hat bereits im Herbst letzten Jahres versucht, sich in den Streik beim Stayhorpe- Kraftwerk in Nottinghamshire einzuschalten, und es gibt zweifellos einige Elemente die sich für ihre Parolen empfänglich zeigen. Ihr neuster Trick besteht darin durch das Schalten einer „British Wildcats“ -Website Gordon Browns Parole für sich zu reklamieren. Dann gibt es da natürlich noch die Gewerkschaften. Von den Gewerkschaften Unite und GMB wurde und wird die Parole “Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter” geradezu wie ein Mantra runtergebetet. Ebenso wurden die Plakate und Schilder mit der besagten Parole von ihnen verteilt. Trotz dieses Fahnenschwenkens haben viele Streikende keine nationalistischen Sympathien. Viele von ihnen haben bereits selber im Ausland gearbeitet und die meisten die sich gegenüber der Presse oder im Internet äußern heben hervor, dass sie nichts gegen ausländische Arbeiter haben sondern gegen die Bosse die ihnen Jobs vorenthalten.
Das wirkliche Problem
Dies bringt uns der eigentlichen Frage näher. Die EU ist eine der größten Freihandelszonen des Kapitals. Wenn sie von der „Bewegungsfreiheit von Kapital und Arbeit“ reden, meinen sie die Möglichkeit die billigsten Arbeitskräfte auszubeuten und die Löhne überall zu drücken. Zwar soll das europäische Entsendegesetz das Lohndumping begrenzen, dennoch unterliegen Vergabeverträge (wie z.B. der von IREM) in Großbritannien dem Geschäftsgeheimnis. Bisher hat noch keine Regierung den Versuch unternommen Einsicht in diese Vertragswerke zu bekommen.
Seumas Milne brachte es im Guardian vom 30.1.09 folgendermaßen auf den Punkt:
„... In Wirklichkeit ermuntern die EU-Richtlinien und mehr noch die britische Gesetzgebung die Arbeitgeber dazu, auf den deregulierten Arbeitsmärkten ganze Belegschaften gegeneinander auszuspielen um die Personalkosten zu drücken. Jetzt wo viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, ignorieren die organisierten britischen Arbeiter die restriktiven Arbeitsgesetze und melden sich lautstark zu Wort.“
Während den Banken Millionen in den Rachen geworfen werden und die Aktionäre ihre Dividenden einheimsen, sind diejenigen die den Reichtum produziert haben mit Stellenabbau bedroht. Die Arbeiter haben viel zu lange die Kürzung ihrer Renten (die heute unter noch schärferem Beschuss stehen), die Senkung ihres Lebensstandards und die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse als Begleiterscheinung der sog.
„Globalisierung“ hingenommen. Trotz falscher Slogans haben die Bauarbeiter die richtige Antwort auf die Angriffe der Kapitalistenklasse gegeben. Eine Gegenoffensive der Arbeiterklasse ist notwendig - allerdings nicht mit engstirnigen nationalistischen Parolen. Wenn wir denjenigen die Schuld geben, die genau in den gleichen Problemen wie wir stecken, spielen wir den Bossen in die Hände. Teile und Herrsche - das ist das oberste Prinzip der Kapitalisten, um die Löhne überall zu drücken. Glücklicherweise sind viele Bauarbeiter nicht den nationalistischen Parolen auf den Leim gegangen. Dies liegt auch daran, dass sie selber in Länder wie Dubai, Deutschland oder selbst Kasachstan fahren müssen um Arbeit zu finden.
Die einzige Perspektive aus dem Dilemma kann nur eine internationalistische sein. Überall auf der Welt sind die Arbeiter von der Krise betroffen weswegen es notwenig ist sich zusammenzuschließen und sich gemeinsam zu weigern für die Krise des Kapitalismus zu zahlen.
Als Organisations- und Kampfformen sind wilde Streiks, die sich der gewerkschaftlichen Kontrolle entziehen und durch Vollversammlungen und gewählte Koordinierungskomitees organisiert werden ein bedeutender Schritt vorwärts. Um der Welle von Angriffen widerstehen zu können, darf der Kampf jedoch nicht auf einen oder einzelne Sektoren begrenzt sein. Gegen die von den Herrschenden gewollte und forcierte Sündenbocksuche und Spaltung in „Engländer“, „Portugiesen“, „Italiener“, „Deutsche“, „Polen“, „Griechen“ usw. muss die Arbeiterklasse in Europa und der ganzen Welt in ihrer Gesamtheit den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen, anstatt den Parolen der Bosse und Gewerkschaftsführer hinterherzulaufen.
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