Der Streik der Lokführer

Seit Wochen bestimmt der Tarifkonflikt zwischen der Lokführergewerkschaft GDL (Gewerkschaft der Lokführer) und der Deutschen Bahn AG das politische Geschehen in Deutschland. Das Management der Deutschen Bahn stemmt sich entschieden gegen die Lohnforderungen der GDL und scheint fest entschlossen an den Lokführern ein Exempel zu statuieren. Unterstützt von Medien, Politkern und auch Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wird nichts unversucht gelassen, um den Kampf der Lokführer als überzogenen gruppenegoistischen Verteilungskampf einer angeblich privilegierten Berufsgruppe zu diskreditieren.

Am Beispiel der Deutschen Bahn spiegelt sich das Ausmaß der in den letzten Jahren durchgeführten Kapitaloffensive deutlich wieder. Seit der ersten Stufe der Bahnprivatisierung haben die Bosse mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze vernichtet - von damals 380 000 existieren nur noch 180 000. Während die Beschäftigten seit 1994 einen Reallohnverlust von 9,5 Prozent in Kauf nehmen mussten, wurden die Bezüge der Vorstandsmitglieder laut des DB-Geschäftsberichts 2006 um 62,5 Prozent, die der Aufsichtsratsmitglieder um fast 300 Prozent angehoben. Der Trend hin zur weiteren Lohnkürzungen, Stellenabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen wird sich in Zuge der geplanten Bahnprivatisierung weiter fortsetzen.

Bisher bekommt ein Lokführer rund 1500 Euro netto im Monat. Mit 41 Stunden pro Woche müssen die Lokführer 2 Stunden länger arbeiten als andere Kollegen. Dies bei unregelmäßigen Schicht und Wechseldienst mit Dienstbeginn und ende zu jeder Tages - und Nachtzeit. Kein Wunder also das die Stimmung bei den Lokführern und beim Zugpersonal schon lange am kochen ist. 2003 kam es bei der Berliner S-Bahn zu kurzen wilden Streiks, die dann aber wieder schnell abflauten.

Die 1867 gegründete GDL (Gewerkschaft der Lokomotivführer) feiert sich gerne als eine der ältesten Gewerkschaften in Deutschland. Sie agierte aber über die Jahre eher als ständischer Berufsverband und führte eine Schattenexistenz. Im Jahr 2003 verließ die GDL auf massiven Druck der Kolleginnen und Kollegen an der Basis die Tarifgemeinschaft mit Transnet ( der offiziellen Mitgliedsgewerkschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes, DGB) Transnet hatte einen Ergänzungstarifvertrag mit dem Bahnvorstand ausgehandelt, der massive Verschlechterungen der Arbeits- und Einkommensbedingungen für Lokführer und Zugbegleiter vorsah. Dies war bei der Basis der GDL nicht mehr zu vermitteln. Seitdem herrscht bei der Bahn ein erbitterter Konkurrenzkampf zwischen den Gewerkschafen Transnet, GDBA (Gewerkschaft der Bahnangestellten) und der GDL um Pfründe, Macht und Einflusszonen. Mit der Forderung nach einem eigenen Spartentarifvertrag für die Lokführer und das Zugpersonal verfolgt die GDL in erster Linie das Ziel ihre Stellung als „Tarifpartner“ zu stärken, und ebenso wie ihre Konkurrenzgewerkschaften einen Posten im Aufsichtrat der Deutschen Bahn zu ergattern. Die Forderung nach einem eigenen Spartentarifvertrag für die Lokführer und das Zugpersonal ist somit der entscheidende Punkt in der jetzigen Auseinandersetzung. Folgerichtig signalisierte die GDL auch mehrfach, dass sie in Fragen der Löhne und der Arbeitszeit durchaus zu Kompromissen bereit sei, allerdings nicht von der Forderung eines eigenen Spartentarifvertrages abweichen werde. Derzeit fordert die GDL eine Lohnerhöhung von 30 % (d.h. ein Anfangsentgeld für Lokführer von 2550 Euro, 2180 Euro für Zugbegleiter und 1820 für Gastronomieangestellte) sowie eine Verkürzung der Arbeitszeit von 41 auf 40 Stunden. Allerdings hat sie bisher wenig getan, um dieser Forderung auch wirklich Nachdruck zu verliehen. Vo einigen wenigen kurzen und im Voraus angekündigten Arbeitsniederlegungen abgesehen, gab es bisher keine wirklichen größeren Kampfmaßnahmen. Stattdessen führt die GDL vorwiegend eine mediale und juristische Auseinandersetzung mit dem Bahnmanagement. Täglich werden in den Medien neue Verhandlungsanbote und Kompromisslösungen erörtert. Dieses ewige Hin und Her, sowie der schwankende legalistische Kurs der GDL trägt entscheidend zur Verunsicherung und Demoralisierung der Basis bei. Das Management der Deutschen Bahn hingegen hat sich in den letzten Wochen systematisch auf einen Arbeitskampf vorbereitet und scheint fest entschlossen, diesen mit harten Bandagen zu führen. Gegen ca. 200 Lokführer die sich an Arbeitsniederlegungen beteiligten wurden Abmahnungen und Kündigungen ausgesprochen, um so die Belegschaft einzuschüchtern. Neben der Erarbeitung sog. Notfalldienste wurden in flächendeckend geschalteten Zeitungsannoncen 1000 neue Stellen für Lokführer ausgeschrieben. Es liegt auf der Hand, dass hier perspektivisch eine regelrechte Streikbrecherbrigade zusammengestellt werden soll, um so einen weiteren Spaltungskeil in die Bahnbelegschaft zu treiben

Von besonderer Brisanz ist die Entscheidung der Arbeitsgerichte, die Streiks im Güterverkehr mit der bizarren Begründung untersagte, dass der durch einen Streik verursachte wirtschaftliche Schaden nicht im Sinne des Allgemeinwohls sei. Dies ist ein erster tastender aber gleichwohl ernstzunehmender Versuch der deutschen Bourgeoisie das Streikrecht weiter zu untergraben. Angesichts dieser Situation werden die Grenzen der auf Recht und Gesetzlichkeit eingeschworenen Gewerkschaften immer deutlicher. Insbesondere die Spaltung der Bahnbeschäftigen in bzw. durch drei miteinander konkurrierende Gewerkschaften wirkt sich fatal aus. Während bspw. die in der GDL organisierten Kollegen streiken, verrichten die in anderen Gewerkschaften organisierten Beschäftigten Streikbrecher dienste. Alles in allem eine bizarre Situation die die Gräben unter den Bahnbeschäftigen vertieft und zu weiteren Zerwürfnissen führen wird. Es ist davon auszugehen, dass das Management der Deutschen Bahn diese Spaltungslinien ausnutzen und alles daran setzen wird, die Lokführer weiter zu isolieren, um ihnen dann den entscheiden Schlag zu versetzen. Der Kampf der Lokführer ist ein weiterer Indikator für die Verschärfung der Klassenauseinandersetzungen in Deutschland. Im legalistischen und bornierten gewerkschaftlichen Handlungsrahmen der GDL sind diesem Kampf jedoch enge Grenzen gesetzt. Wenn es nicht gelingt diesen Rahmen zu durchbrechen, den Kampf auszuweiten und politisch zu verallgemeinern, droht den Lokführern eine Niederlage, die für die deutsche Arbeiterklasse als Ganzes schwere Konsequenzen haben würde.

Jost - 29.10.2007