Zwei Parteien, ein verlogenes System

Im kranken und krisengeschüttelten politischen System der USA ist eine weitere Wahlkampfsaison angebrochen. Mit dem Ausscheiden von Biden und dem Aufstieg von Kamala Harris hat die Demokratische Partei einen Ausweg aus der sich abzeichnenden Niederlage geschaffen. Nichtsdestotrotz stellen beide Regierungsparteien nichts Geringeres als die absolute politische Reaktion dar. Der Grund für das politische Chaos ist die Krise des Kapitalismus und der unbestreitbare Niedergang des amerikanischen Imperiums. Die Rivalitäten zwischen den Fraktionen der Kapitalisten an der Macht gehen die ArbeiterInnen nichts an, die unbedingt selbstorganisiert den Klassenkampf gegen die Wirtschaftskrise und die imperialistischen Kriegsvorbereitungen aufnehmen müssen.

Die Propaganda rund um die Wahlen lässt einen glauben, dass jede Wahl eine Abstimmung zwischen dem Guten und dem Bösen in Person ist. Sind die Wahlen dann entschieden, gilt trotzdem die gleiche Außen- und Innenpolitik. Dies ist ein Prozess in der politischen Geschichte der USA, der auf die Verfestigung des Duopols zurückgeht, wie er sich im neunzehnten Jahrhundert herausgebildet hat. In der Gegenwart ist dieser Zustand noch erbitterter umkämpft und wird mit knappsten Vorsprüngen entschieden. Eine Ausnahme bildete die erste Wahl Obamas zum Präsidenten mit den hohlen Slogans von „Hoffnung“ und „Wandel“.

Die Wahl von 2024 lässt die Krise des US-Kapitalismus deutlich zutage treten. Mit der Ersetzung von Biden durch Harris, sowie dem Attentat auf Trump hat sich der Kampf um das Oval Office verschärft. Die üblichen Razzien und Massenverhaftungen von Obdachlosen für die Parteikongresse der Republikaner und der Demokraten, d. h. der Krönung von Trump und Harris durch einen Haufen besoffener Kapitalisten, geben den Ton an für das, was die beiden Kandidaten der ArbeiterInnenklasse versprechen. Trump hat J.D. Vance aus demselben Grund ausgewählt, aus dem auch Harris Walz ausgewählt hat. Vance befürwortet „worker-management committees“, also die Einbindung einiger weniger ArbeiterInnen aus den Betrieben in Verhandlungen mit den Bossen, um so Arbeitszeitverdichtung und die Zersplitterung wirklicher ArbeiterInnenselbstorganisation reibungsloser umzusetzen. Walz gab den ArbeiterInnen in Minnesota ein paar Krumen in Form eines kostenlosen Schulessens, aber das verschleiert nur die Auslöschung der Kaufkraft unserer Klasse durch die Inflation und die allgemeine kapitalistische Krise. In Wirklichkeit konditionieren beide Parteien die ArbeiterInnenklasse ideologisch darauf, einen katastrophalen Krieg mit dem Hauptkonkurrenten des US-Imperialismus, China, zu akzeptieren. Vance ruft dazu auf, die US-Waffen an die Ukraine zurückzufahren, um die Artillerie für einen Krieg mit China aufzusparen, während Harris fordert, dass der US-Imperialismus „die tödlichste Militärmacht der Welt“ aufrechterhalten soll. Die beiden kapitalistischen Parteien sind außer sich bei dem Gedanken an einen verheerenden Krieg, in dem sich die ArbeiterInnen in den USA und die ArbeiterInnen in China im Dienste unserer jeweiligen herrschenden Klasse gegenseitig massakrieren werden.

Für diese Wahl haben einige Funktionäre der Demokratischen Partei offen den politischen Krieg ausgerufen, dritte Parteien von den Wahlzetteln fernzuhalten, indem sie dafür sorgen, dass Unterschriften von Anträgen auf Wahlzulassung als ungültig verworfen werden. Das ist ein normales Verhalten für beide Regierungsparteien, aber bei dieser Wahl bleibt noch weniger Raum für Protestwahlen. Natürlich stellen auch die Protestparteien keine echte politische Lösung für die ArbeiterInnen dar. Die Libertären sind die Republikaner für die politisch Unbedarften, die Grünen hängen den neuesten Trends der kapitalistischen linken Szene der USA hinterher, die „uncommitted“ Bewegung(1) ist zahnlos und steht für die totale Hingabe an die Demokratische Partei, die niemals aufhören würde die imperialistischen Massaker an ProletarierInnen in Gaza zu finanzieren, die PSL („Party für Socialism and Liberation“) verspricht ein Programm des reformierten Staatskapitalismus in der stalinistischen Variante... die Liste der kleinbürgerlichen Rackets lässt sich fortsetzen. Diese sehen ArbeiterInnen bestenfalls als deklassierte Wähler, die sie in politische Ämter hieven sollen, oder als Eintrittskarte, um ihre „Aktivisten“-Karriere weiter zu betreiben.

Die USA haben eine Reihe von Niederlagen und Rückschlägen erlitten, die für die gesamte Biden-Administration bezeichnend wurden, wobei Biden in seiner Demenz ein amerikanisches Imperium in der Krise verkörperte. Obwohl die Regierung mit der Niederlage der US-Streitkräfte in Afghanistan begann, zögerte sie nicht, andere lukrative imperialistische Debakel in Angriff zu nehmen. Die teuerste staatliche Militärmaschinerie der Geschichte ist machtlos, wenn es darum geht, Houthi-Kämpfer daran zu hindern, das Rote Meer an der Meerenge von Bab-el-Mandeb abzuschneiden. Es handelt sich derzeit um die größte Kampagne, die die US-Marine seit dem letzten Weltkrieg unternommen hat. In der Ukraine wird eine weitere von den USA bewaffnete und ausgebildete Armee langsam zu Staub zermahlen. Die USA haben ihren Vorteil mit einem extrem teuren Verteidigungssektor verspielt, der Schwierigkeiten hat, irgendetwas zu produzieren, das in der benötigten Menge funktioniert.

Es gibt wenige Bemühungen amerikanischer Kapitalisten, eine Industrie mit ausreichenden Kapazitäten aufzubauen, um einen Krieg im industriellen Maßstab zu führen. Jahrzehntelang waren die einzigen Feinde des US-Militärs Guerillakämpfer. Ohne Industrie und eine ArbeiterInnenklasse, die direkt an der Produktion beteiligt ist, ist es unmöglich, einen größeren Konflikt zwischen imperialistischen Mächten zu führen. Amerika als postindustrielle Gesellschaft befindet sich nun in der Situation, dass es keine Arbeitskräfte hat, die in Fabriken arbeiten, die nicht existieren, voller Maschinen, von denen sie nicht mehr wissen, wie man sie baut, und eine Armee, die nicht genug Uniformen füllen kann, um die blutige Arbeit des Imperialismus auszuführen.

Mit dem Zusammenbruch der UdSSR trat der US-Imperialismus in seine letzte Expansionsphase ein. Die Anschläge vom 11. September 2001 markierten eine entscheidende aggressive Wende, mit der die folgenden Jahrzehnte andauernder Kriege eingeleitet wurden. Dies spiegelt sich innenpolitisch in der dekadenten bürgerlichen Fäulnis des politischen Prozesses in den USA wider. Zum einen gibt es das Ritual der politischen Vorwahlen, das in den Krönungsritualen der politischen Kongresse der regierenden Parteien gipfelt. Dann folgt die endgültige Wahl, die in den Medien heiß umkämpft ist, ein Kampf der bürgerlichen Titanen. Schließlich gibt es das erniedrigende Ritual der Stimmabgabe, das die ArbeiterInnen in die Rivalitäten und Verbrechen der herrschenden Klasse hineinzieht.

Marx spielte einmal mit dem Gedanken, dass ein friedlicher Wandel über die Wahlurne in bestimmten Ländern wie Großbritannien funktionieren könnte, aber selbst dies würde seiner Meinung nach mit einem „Aufstand der Sklavenhalter“ beantwortet werden. Zu Lenins Zeiten konnten die Bolschewiki ihre Sitze in der Duma des Zaren nutzen, um Propaganda gegen die Regierung zu betreiben. Zu diesem Zeitpunkt diente jede Art von Parlamentarismus lediglich der Propaganda für die ArbeiterInnenklasse. Auch dies war durch die Schwäche der russischen Bourgeoisie und ihr korruptes, blutleeres Regime bedingt. Heute gibt es solche Möglichkeiten nicht mehr. Die regierenden Demokraten brauchen ihre „Democratic Socialists of America“, um die Linke im Namen ihrer Herren zu isolieren und zu kontrollieren. Jede unpopuläre Politik, die die Demokraten betreiben, kann dann den „Sozialisten“ angelastet werden.

Eine Hauptgrundlage für die Fortsetzung des Wahlrituals ist die politische Erpressung (wähle oder du verlierst dein Recht auf Abtreibung), ein zynischer bürgerlicher Trick, um arbeitende Frauen zum Wählen zu bewegen. Als politische Opportunisten brauchen sie vom atomisierten Bürger nichts mehr, sobald sie gewählt sind. In Wirklichkeit haben die Politiker der Demokratischen Partei nie etwas anderes als das Kapital verteidigt. Aber die Entscheidungsgewalt liegt nicht in den Händen der gewählten Vertreter, sondern in denen der nicht gewählten Bürokratie. Ein Beispiel ist Victoria Nuland vom US-Außenministerium, die im Laufe der Jahre unter sechs Präsidenten diente und die Außenpolitik des US-Imperialismus leitete. Niemand kann gegen Imperialismus und Krieg abstimmen.

Jede Wahl ist eine Krise und wird zu einem Referendum über die Idee der Freiheit an sich. Die Bourgeoisie verkündet, dass „wir unsere Demokratie verlieren“ und sagt uns, dass wir wählen müssen. Denjenigen die sich weigern zu wählen wird gesagt, sie hätten kein Recht sich zu beschweren, da sie sich nicht die Mühe gemacht hätten zu wählen. Es gibt einen alternativen Weg, der nicht nur darin besteht eine politisch leere reaktionäre Aktivität (wie die Teilnahme an bürgerlichen Wahlen) aufzugeben, sondern den Klassenkampf aufzunehmen anstatt auf die Wahlen als Ersatz für kollektive Aktionen zu setzen.

Amerikas Niedergang und Abrutschen in eine offene Krise ist offensichtlich geworden. Die USA sind eine deindustrialisierte postmoderne Ruine. Die Prozesse, mit denen die amerikanischen Kapitalisten ihre Macht erhalten, sind genau die Prozesse, die das Land zerstören. Der politische Kampf zwischen den beiden Fraktionen hat viele in den USA davon überzeugt, dass sie wählen müssen oder in der Katastrophe untergehen. Doch weder Harris noch Trump werden den Kurs, auf dem sich der US-amerikanische und der globale Kapitalismus befinden, grundlegend ändern. Anstatt zur Wahl zu gehen und damit ihre Klassenherrschaft zu legitimieren, muss sich unsere Klasse selbst organisieren und die wirtschaftlichen Angriffe und allgemeinen Kriegsvorbereitungen bekämpfen, die unter beiden Kandidaten im Falle ihrer Wahl stattfinden werden. Wir sollten uns ein Beispiel an dem heldenhaften Kampf nehmen, den die ÖlarbeiterInnen im Iran in den letzten Jahren geführt haben, die zur Bildung von ArbeiterInnenräten aufgerufen haben, oder an den ArbeiterInnen in China, die 2022 gegen Fabrikschlafsäle mobilisiert haben. Wir sollten die Kontrolle über unsere eigenen Kämpfe für unsere eigenen Klassenforderungen behalten. Wir sollten uns politisch betätigen und signalisieren, dass unser Ausweg aus der kapitalistischen Vorkriegskrise im Aufbau unserer eigenen internationalen kommunistischen Partei liegt, die unseren selbstorganisierten Kampf leitet, und nicht im Wahlzirkus, der unser Bewusstsein an das Gefängnis der Wahlurnen kettet.

Internationalist Workers’ Group (US-amerikanische Sektion der IKT)

(1) Die ‘uncommitted’ movement ist eine Kampagne, die sich für einen Waffenstillstand im Krieg zwischen Israel und der Hamas einsetzt und ein Waffenembargo gegen Israel fordert.

Saturday, October 12, 2024